Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Leopold von Ranke.

keit des Studiunis Ranke seinen Blick auf ein thatenreiches Leben zuriicklenkeu
kann, um wie viel mehr, da er jetzt beinahe sechzig Jahre schriftstellerisch thätig
und gegenwärtig noch damit beschäftigt ist, seinem Leben voller Arbeit und
Ruhm den schönsten Abschluß zu geben und allem die Krone aufzusetzen, indem
er noch am Abende seines Lebens es unternommen hat, in einer Weltgeschichte
die Summe alles dessen, was er bisher erstrebt und erdacht, zusammenzufassen,
gleichsam die Quintessenz aus allen feinen frühern Forschungen zu ziehen. Für¬
wahr, wenn schon lange das Bedürfnis herrschte, eine Weltgeschichte in wirklich
universeller Form zu besitze", so schien niemand unter den jetzt lebenden Ge¬
lehrten geeigneter als Leopold von Ranke, nicht mir sich der vollen Last dieser Auf¬
gabe bewußt zu sein, sondern sie auch zur Ausführung und Vollendung zu bringein

Wenn es sonst Brauch ist, das Leben und Wirken eines großen Mannes
der Welt erst nach seinem Tode vor die Augen zu führen, so wird es doch
heute nicht unangemessen erscheinen, auf die Vergangenheit dessen einen Blick
zu werfen, der nunmehr ans neunzig glücklich vollendete Jahre zurücksieht.

Es ist keine nichtige Behauptung, daß die Zeit, in der jemand aufgewachsen
ist, von Bedeutung für feinen Entwicklungsgang sei. Rankes Jugend gehört
jener Periode des Niederganges an, wo auf deutschen Landen die Hand eines aus¬
wärtigen Gewalthabers lastete, aber er hat auch mit jugendfrischem Auge auf die
Wiedererhebung des Deutschtums und speziell des Preußentnms geblickt. Als Knabe
von elf Jahren sah er die bei Jena und Auerstädt geschlagenen Preußen und
Sachsen durch sein Heimatsstädtchen Wiese in der goldnen Ane flüchten und
ihnen auf dem Fuße französische Chasseurs folgen, die auf jeden, der etwa mit
den Flüchtlingen in Verbindung zu stehen schien, fahndeten. Leopolds Vater
wurde als wohlhabender Rechtsanwalt und Gutsbesitzer zu den Kontributionen
von den Franzosen scharf herangezogen. Doch bald wandte sich das Blatt, Sachsen
trat auf die Seite Frankreichs. Wenn nun auch dieser Schritt nicht in allen Kreisen
des Landes Sympathie erweckte, die Jugend begeisterte sich doch für Napoleon,
da sie nicht den Unterdrücker, sondern den bewundernswürdigen Helden in ihm
erblickte. Leopolds Bruder Friedrich Heinrich, der spätere bairische Oberkonsistv-
rialrat, schreibt in seinen Jugenderinnerungen darüber Worte, die dies klar
wiederspiegeln: "Es hatte doch einen nicht geringen Einfluß auf uns, daß unser
König Friedrich August mit Napoleon verbündet war. Wir sahen mit Schrecken,
daß der große Kampf aus sächsischem Boden ausgefochten werden sollte; aber
wir haßten Napoleon nicht, dessen Thaten uns ja an die vielbewunderten
Helden des Altertums, Alexander den Großen und Julius Cäsar, erinnerten.
Unsern Kurfürsten hatte er auf jede Weise begünstigt und sogar zur Würde
eines Königs erhoben, und wir wußten nicht, daß diese scheinbare Erhebung
eine wahre Erniedrigung in sich schloß. Wohl wußten wir von den Nieder¬
lagen, die Napoleon in Rußland erlitten; aber wir schrieben sie nnr Unfällen
zu, die seinen Ruhm in unsern Augen nicht trübten. Wir dachten nicht anders,


Leopold von Ranke.

keit des Studiunis Ranke seinen Blick auf ein thatenreiches Leben zuriicklenkeu
kann, um wie viel mehr, da er jetzt beinahe sechzig Jahre schriftstellerisch thätig
und gegenwärtig noch damit beschäftigt ist, seinem Leben voller Arbeit und
Ruhm den schönsten Abschluß zu geben und allem die Krone aufzusetzen, indem
er noch am Abende seines Lebens es unternommen hat, in einer Weltgeschichte
die Summe alles dessen, was er bisher erstrebt und erdacht, zusammenzufassen,
gleichsam die Quintessenz aus allen feinen frühern Forschungen zu ziehen. Für¬
wahr, wenn schon lange das Bedürfnis herrschte, eine Weltgeschichte in wirklich
universeller Form zu besitze», so schien niemand unter den jetzt lebenden Ge¬
lehrten geeigneter als Leopold von Ranke, nicht mir sich der vollen Last dieser Auf¬
gabe bewußt zu sein, sondern sie auch zur Ausführung und Vollendung zu bringein

Wenn es sonst Brauch ist, das Leben und Wirken eines großen Mannes
der Welt erst nach seinem Tode vor die Augen zu führen, so wird es doch
heute nicht unangemessen erscheinen, auf die Vergangenheit dessen einen Blick
zu werfen, der nunmehr ans neunzig glücklich vollendete Jahre zurücksieht.

Es ist keine nichtige Behauptung, daß die Zeit, in der jemand aufgewachsen
ist, von Bedeutung für feinen Entwicklungsgang sei. Rankes Jugend gehört
jener Periode des Niederganges an, wo auf deutschen Landen die Hand eines aus¬
wärtigen Gewalthabers lastete, aber er hat auch mit jugendfrischem Auge auf die
Wiedererhebung des Deutschtums und speziell des Preußentnms geblickt. Als Knabe
von elf Jahren sah er die bei Jena und Auerstädt geschlagenen Preußen und
Sachsen durch sein Heimatsstädtchen Wiese in der goldnen Ane flüchten und
ihnen auf dem Fuße französische Chasseurs folgen, die auf jeden, der etwa mit
den Flüchtlingen in Verbindung zu stehen schien, fahndeten. Leopolds Vater
wurde als wohlhabender Rechtsanwalt und Gutsbesitzer zu den Kontributionen
von den Franzosen scharf herangezogen. Doch bald wandte sich das Blatt, Sachsen
trat auf die Seite Frankreichs. Wenn nun auch dieser Schritt nicht in allen Kreisen
des Landes Sympathie erweckte, die Jugend begeisterte sich doch für Napoleon,
da sie nicht den Unterdrücker, sondern den bewundernswürdigen Helden in ihm
erblickte. Leopolds Bruder Friedrich Heinrich, der spätere bairische Oberkonsistv-
rialrat, schreibt in seinen Jugenderinnerungen darüber Worte, die dies klar
wiederspiegeln: „Es hatte doch einen nicht geringen Einfluß auf uns, daß unser
König Friedrich August mit Napoleon verbündet war. Wir sahen mit Schrecken,
daß der große Kampf aus sächsischem Boden ausgefochten werden sollte; aber
wir haßten Napoleon nicht, dessen Thaten uns ja an die vielbewunderten
Helden des Altertums, Alexander den Großen und Julius Cäsar, erinnerten.
Unsern Kurfürsten hatte er auf jede Weise begünstigt und sogar zur Würde
eines Königs erhoben, und wir wußten nicht, daß diese scheinbare Erhebung
eine wahre Erniedrigung in sich schloß. Wohl wußten wir von den Nieder¬
lagen, die Napoleon in Rußland erlitten; aber wir schrieben sie nnr Unfällen
zu, die seinen Ruhm in unsern Augen nicht trübten. Wir dachten nicht anders,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0574" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197308"/>
          <fw type="header" place="top"> Leopold von Ranke.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1899" prev="#ID_1898"> keit des Studiunis Ranke seinen Blick auf ein thatenreiches Leben zuriicklenkeu<lb/>
kann, um wie viel mehr, da er jetzt beinahe sechzig Jahre schriftstellerisch thätig<lb/>
und gegenwärtig noch damit beschäftigt ist, seinem Leben voller Arbeit und<lb/>
Ruhm den schönsten Abschluß zu geben und allem die Krone aufzusetzen, indem<lb/>
er noch am Abende seines Lebens es unternommen hat, in einer Weltgeschichte<lb/>
die Summe alles dessen, was er bisher erstrebt und erdacht, zusammenzufassen,<lb/>
gleichsam die Quintessenz aus allen feinen frühern Forschungen zu ziehen. Für¬<lb/>
wahr, wenn schon lange das Bedürfnis herrschte, eine Weltgeschichte in wirklich<lb/>
universeller Form zu besitze», so schien niemand unter den jetzt lebenden Ge¬<lb/>
lehrten geeigneter als Leopold von Ranke, nicht mir sich der vollen Last dieser Auf¬<lb/>
gabe bewußt zu sein, sondern sie auch zur Ausführung und Vollendung zu bringein</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1900"> Wenn es sonst Brauch ist, das Leben und Wirken eines großen Mannes<lb/>
der Welt erst nach seinem Tode vor die Augen zu führen, so wird es doch<lb/>
heute nicht unangemessen erscheinen, auf die Vergangenheit dessen einen Blick<lb/>
zu werfen, der nunmehr ans neunzig glücklich vollendete Jahre zurücksieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1901" next="#ID_1902"> Es ist keine nichtige Behauptung, daß die Zeit, in der jemand aufgewachsen<lb/>
ist, von Bedeutung für feinen Entwicklungsgang sei. Rankes Jugend gehört<lb/>
jener Periode des Niederganges an, wo auf deutschen Landen die Hand eines aus¬<lb/>
wärtigen Gewalthabers lastete, aber er hat auch mit jugendfrischem Auge auf die<lb/>
Wiedererhebung des Deutschtums und speziell des Preußentnms geblickt. Als Knabe<lb/>
von elf Jahren sah er die bei Jena und Auerstädt geschlagenen Preußen und<lb/>
Sachsen durch sein Heimatsstädtchen Wiese in der goldnen Ane flüchten und<lb/>
ihnen auf dem Fuße französische Chasseurs folgen, die auf jeden, der etwa mit<lb/>
den Flüchtlingen in Verbindung zu stehen schien, fahndeten. Leopolds Vater<lb/>
wurde als wohlhabender Rechtsanwalt und Gutsbesitzer zu den Kontributionen<lb/>
von den Franzosen scharf herangezogen. Doch bald wandte sich das Blatt, Sachsen<lb/>
trat auf die Seite Frankreichs. Wenn nun auch dieser Schritt nicht in allen Kreisen<lb/>
des Landes Sympathie erweckte, die Jugend begeisterte sich doch für Napoleon,<lb/>
da sie nicht den Unterdrücker, sondern den bewundernswürdigen Helden in ihm<lb/>
erblickte. Leopolds Bruder Friedrich Heinrich, der spätere bairische Oberkonsistv-<lb/>
rialrat, schreibt in seinen Jugenderinnerungen darüber Worte, die dies klar<lb/>
wiederspiegeln: &#x201E;Es hatte doch einen nicht geringen Einfluß auf uns, daß unser<lb/>
König Friedrich August mit Napoleon verbündet war. Wir sahen mit Schrecken,<lb/>
daß der große Kampf aus sächsischem Boden ausgefochten werden sollte; aber<lb/>
wir haßten Napoleon nicht, dessen Thaten uns ja an die vielbewunderten<lb/>
Helden des Altertums, Alexander den Großen und Julius Cäsar, erinnerten.<lb/>
Unsern Kurfürsten hatte er auf jede Weise begünstigt und sogar zur Würde<lb/>
eines Königs erhoben, und wir wußten nicht, daß diese scheinbare Erhebung<lb/>
eine wahre Erniedrigung in sich schloß. Wohl wußten wir von den Nieder¬<lb/>
lagen, die Napoleon in Rußland erlitten; aber wir schrieben sie nnr Unfällen<lb/>
zu, die seinen Ruhm in unsern Augen nicht trübten. Wir dachten nicht anders,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0574] Leopold von Ranke. keit des Studiunis Ranke seinen Blick auf ein thatenreiches Leben zuriicklenkeu kann, um wie viel mehr, da er jetzt beinahe sechzig Jahre schriftstellerisch thätig und gegenwärtig noch damit beschäftigt ist, seinem Leben voller Arbeit und Ruhm den schönsten Abschluß zu geben und allem die Krone aufzusetzen, indem er noch am Abende seines Lebens es unternommen hat, in einer Weltgeschichte die Summe alles dessen, was er bisher erstrebt und erdacht, zusammenzufassen, gleichsam die Quintessenz aus allen feinen frühern Forschungen zu ziehen. Für¬ wahr, wenn schon lange das Bedürfnis herrschte, eine Weltgeschichte in wirklich universeller Form zu besitze», so schien niemand unter den jetzt lebenden Ge¬ lehrten geeigneter als Leopold von Ranke, nicht mir sich der vollen Last dieser Auf¬ gabe bewußt zu sein, sondern sie auch zur Ausführung und Vollendung zu bringein Wenn es sonst Brauch ist, das Leben und Wirken eines großen Mannes der Welt erst nach seinem Tode vor die Augen zu führen, so wird es doch heute nicht unangemessen erscheinen, auf die Vergangenheit dessen einen Blick zu werfen, der nunmehr ans neunzig glücklich vollendete Jahre zurücksieht. Es ist keine nichtige Behauptung, daß die Zeit, in der jemand aufgewachsen ist, von Bedeutung für feinen Entwicklungsgang sei. Rankes Jugend gehört jener Periode des Niederganges an, wo auf deutschen Landen die Hand eines aus¬ wärtigen Gewalthabers lastete, aber er hat auch mit jugendfrischem Auge auf die Wiedererhebung des Deutschtums und speziell des Preußentnms geblickt. Als Knabe von elf Jahren sah er die bei Jena und Auerstädt geschlagenen Preußen und Sachsen durch sein Heimatsstädtchen Wiese in der goldnen Ane flüchten und ihnen auf dem Fuße französische Chasseurs folgen, die auf jeden, der etwa mit den Flüchtlingen in Verbindung zu stehen schien, fahndeten. Leopolds Vater wurde als wohlhabender Rechtsanwalt und Gutsbesitzer zu den Kontributionen von den Franzosen scharf herangezogen. Doch bald wandte sich das Blatt, Sachsen trat auf die Seite Frankreichs. Wenn nun auch dieser Schritt nicht in allen Kreisen des Landes Sympathie erweckte, die Jugend begeisterte sich doch für Napoleon, da sie nicht den Unterdrücker, sondern den bewundernswürdigen Helden in ihm erblickte. Leopolds Bruder Friedrich Heinrich, der spätere bairische Oberkonsistv- rialrat, schreibt in seinen Jugenderinnerungen darüber Worte, die dies klar wiederspiegeln: „Es hatte doch einen nicht geringen Einfluß auf uns, daß unser König Friedrich August mit Napoleon verbündet war. Wir sahen mit Schrecken, daß der große Kampf aus sächsischem Boden ausgefochten werden sollte; aber wir haßten Napoleon nicht, dessen Thaten uns ja an die vielbewunderten Helden des Altertums, Alexander den Großen und Julius Cäsar, erinnerten. Unsern Kurfürsten hatte er auf jede Weise begünstigt und sogar zur Würde eines Königs erhoben, und wir wußten nicht, daß diese scheinbare Erhebung eine wahre Erniedrigung in sich schloß. Wohl wußten wir von den Nieder¬ lagen, die Napoleon in Rußland erlitten; aber wir schrieben sie nnr Unfällen zu, die seinen Ruhm in unsern Augen nicht trübten. Wir dachten nicht anders,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/574
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/574>, abgerufen am 15.01.2025.