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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Großbulgarien.

stuck als nächsten Zweck der vom König verfügten Mvbilisirnng ein Eintreten
für die Erhaltung des Statnsquo an, der durch den Berliner Friedensvertrag
auf der Valkanhalbinsel festgestellt worden ist. Er fiigt aber sogleich hinzu,
falls es zu einer neuen Gruppirung der Interessen auf diesem Gebiete kommeu
sollte, so solle jene Maßregel die Regierung des Königs in den Stand setzen,
"ihre vitalen Interessen in ernste Erwägung zu ziehen." Aus dem Diploma¬
tischen übersetzt, heißt das augenscheinlich: Die serbische Negierung sieht die
Bildung eines größeren Bnlgarenstaates neben sich ungern und möchte sie mit
Waffengewalt verhindern, wenn dies den Mächten recht wäre. Dieselben würden
diesen Dienst nicht umsonst verlangen, sondern mit einer Vergrößerung des
loyalen Staates durch altserbischcs Gebiet belohnen. Sollte dies nicht beliebt
werden, die Union vielmehr die Sanktion Europas finden, so würde Serbien
sich nach einer Ausgleichung der damit gegebnen Herabdrückung seiner Stellung
als erste slavische Macht auf der Balkanhalbinsel umsehen und Altserbicn vktu-
piren müssen. Serbien stand schon bisher auf keinem guten Fuße mit Bul¬
garien, es fühlte sich verkürzt, als diesem der Berliner Kongreß Teile der Kriegs¬
beute zusprach, die man in Belgrad selbst beanspruchen zu dürfen glaubte. Es
hatte wiederholt Grenzstreitigkeiten mit Bulgarien, und schließlich gewährte dieses
den Rädelsführern des serbischen Aufstandes bei sich Zuflucht und ließ sie von
hier aus weiter gegen die Dynastie Obrenowitsch agitiren.

Wir nehmen an, daß man sich mit diesen Spekulationen in Belgrad wie
in Athen verrechnet hat, und daß auch Montenegro, welches beiläufig mit
ähnlichen Absichten ebenfalls eine Mobilisirung plant, vorläufig nichts zu hoffen
hat, und bleiben dabei, daß die Angelegenheit von einer Konferenz friedlich ge¬
regelt werden wird, die vermutlich in Konstantinopel zusammentreten und
schließlich zu dem Beschlusse kommen wird, die Revolution vom 18. September
als vollendete Thatsache anzuerkennen, ihr Resultat aber dermaßen zu gestalten,
daß das Verhältnis Südbulgariens zur Pforte nur der Form, nicht dem Wesen
nach geändert erscheint, rasch Ordnung und Friede wiederhergestellt werden und
die Bewegung sich nicht nach Macedonien fortpflanzt. Die drei Kaisermächte
sind, wie bestimmt anzunehmen ist, in diesen: Ziele einig, Frankreich hat kaum
Anlaß, Einspruch dagegen zu thun, und Lord Salisbury wird am Vorabend
der Wahlen, die seinem Regiment ein Ende machen können, schwerlich wagen,
ans seiner Absicht einer unbedingten Rückkehr zur Trennung der Bulgaren zu
bestehen, die selbst der Pforte nicht sehr am Herzen zu liegen scheint.




Grcnzwten IV. 1835.7
Großbulgarien.

stuck als nächsten Zweck der vom König verfügten Mvbilisirnng ein Eintreten
für die Erhaltung des Statnsquo an, der durch den Berliner Friedensvertrag
auf der Valkanhalbinsel festgestellt worden ist. Er fiigt aber sogleich hinzu,
falls es zu einer neuen Gruppirung der Interessen auf diesem Gebiete kommeu
sollte, so solle jene Maßregel die Regierung des Königs in den Stand setzen,
„ihre vitalen Interessen in ernste Erwägung zu ziehen." Aus dem Diploma¬
tischen übersetzt, heißt das augenscheinlich: Die serbische Negierung sieht die
Bildung eines größeren Bnlgarenstaates neben sich ungern und möchte sie mit
Waffengewalt verhindern, wenn dies den Mächten recht wäre. Dieselben würden
diesen Dienst nicht umsonst verlangen, sondern mit einer Vergrößerung des
loyalen Staates durch altserbischcs Gebiet belohnen. Sollte dies nicht beliebt
werden, die Union vielmehr die Sanktion Europas finden, so würde Serbien
sich nach einer Ausgleichung der damit gegebnen Herabdrückung seiner Stellung
als erste slavische Macht auf der Balkanhalbinsel umsehen und Altserbicn vktu-
piren müssen. Serbien stand schon bisher auf keinem guten Fuße mit Bul¬
garien, es fühlte sich verkürzt, als diesem der Berliner Kongreß Teile der Kriegs¬
beute zusprach, die man in Belgrad selbst beanspruchen zu dürfen glaubte. Es
hatte wiederholt Grenzstreitigkeiten mit Bulgarien, und schließlich gewährte dieses
den Rädelsführern des serbischen Aufstandes bei sich Zuflucht und ließ sie von
hier aus weiter gegen die Dynastie Obrenowitsch agitiren.

Wir nehmen an, daß man sich mit diesen Spekulationen in Belgrad wie
in Athen verrechnet hat, und daß auch Montenegro, welches beiläufig mit
ähnlichen Absichten ebenfalls eine Mobilisirung plant, vorläufig nichts zu hoffen
hat, und bleiben dabei, daß die Angelegenheit von einer Konferenz friedlich ge¬
regelt werden wird, die vermutlich in Konstantinopel zusammentreten und
schließlich zu dem Beschlusse kommen wird, die Revolution vom 18. September
als vollendete Thatsache anzuerkennen, ihr Resultat aber dermaßen zu gestalten,
daß das Verhältnis Südbulgariens zur Pforte nur der Form, nicht dem Wesen
nach geändert erscheint, rasch Ordnung und Friede wiederhergestellt werden und
die Bewegung sich nicht nach Macedonien fortpflanzt. Die drei Kaisermächte
sind, wie bestimmt anzunehmen ist, in diesen: Ziele einig, Frankreich hat kaum
Anlaß, Einspruch dagegen zu thun, und Lord Salisbury wird am Vorabend
der Wahlen, die seinem Regiment ein Ende machen können, schwerlich wagen,
ans seiner Absicht einer unbedingten Rückkehr zur Trennung der Bulgaren zu
bestehen, die selbst der Pforte nicht sehr am Herzen zu liegen scheint.




Grcnzwten IV. 1835.7
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[0057] Großbulgarien. stuck als nächsten Zweck der vom König verfügten Mvbilisirnng ein Eintreten für die Erhaltung des Statnsquo an, der durch den Berliner Friedensvertrag auf der Valkanhalbinsel festgestellt worden ist. Er fiigt aber sogleich hinzu, falls es zu einer neuen Gruppirung der Interessen auf diesem Gebiete kommeu sollte, so solle jene Maßregel die Regierung des Königs in den Stand setzen, „ihre vitalen Interessen in ernste Erwägung zu ziehen." Aus dem Diploma¬ tischen übersetzt, heißt das augenscheinlich: Die serbische Negierung sieht die Bildung eines größeren Bnlgarenstaates neben sich ungern und möchte sie mit Waffengewalt verhindern, wenn dies den Mächten recht wäre. Dieselben würden diesen Dienst nicht umsonst verlangen, sondern mit einer Vergrößerung des loyalen Staates durch altserbischcs Gebiet belohnen. Sollte dies nicht beliebt werden, die Union vielmehr die Sanktion Europas finden, so würde Serbien sich nach einer Ausgleichung der damit gegebnen Herabdrückung seiner Stellung als erste slavische Macht auf der Balkanhalbinsel umsehen und Altserbicn vktu- piren müssen. Serbien stand schon bisher auf keinem guten Fuße mit Bul¬ garien, es fühlte sich verkürzt, als diesem der Berliner Kongreß Teile der Kriegs¬ beute zusprach, die man in Belgrad selbst beanspruchen zu dürfen glaubte. Es hatte wiederholt Grenzstreitigkeiten mit Bulgarien, und schließlich gewährte dieses den Rädelsführern des serbischen Aufstandes bei sich Zuflucht und ließ sie von hier aus weiter gegen die Dynastie Obrenowitsch agitiren. Wir nehmen an, daß man sich mit diesen Spekulationen in Belgrad wie in Athen verrechnet hat, und daß auch Montenegro, welches beiläufig mit ähnlichen Absichten ebenfalls eine Mobilisirung plant, vorläufig nichts zu hoffen hat, und bleiben dabei, daß die Angelegenheit von einer Konferenz friedlich ge¬ regelt werden wird, die vermutlich in Konstantinopel zusammentreten und schließlich zu dem Beschlusse kommen wird, die Revolution vom 18. September als vollendete Thatsache anzuerkennen, ihr Resultat aber dermaßen zu gestalten, daß das Verhältnis Südbulgariens zur Pforte nur der Form, nicht dem Wesen nach geändert erscheint, rasch Ordnung und Friede wiederhergestellt werden und die Bewegung sich nicht nach Macedonien fortpflanzt. Die drei Kaisermächte sind, wie bestimmt anzunehmen ist, in diesen: Ziele einig, Frankreich hat kaum Anlaß, Einspruch dagegen zu thun, und Lord Salisbury wird am Vorabend der Wahlen, die seinem Regiment ein Ende machen können, schwerlich wagen, ans seiner Absicht einer unbedingten Rückkehr zur Trennung der Bulgaren zu bestehen, die selbst der Pforte nicht sehr am Herzen zu liegen scheint. Grcnzwten IV. 1835.7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/57>, abgerufen am 15.01.2025.