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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Großbulgarien.

Konstantinopel gewährte, haben nicht bloß die Bulgaren Macedoniens, sondern
auch die dortigen Serben sehr viele Popen und Schullehrer bulgarischer Natio¬
nalität erhalten, und diese wirken sämtlich für die Ausbreitung der grvßbnl-
garischcu Idee. Sie haben bei ihrer Umgebung keine schwere Arbeit mit
diesem Bemühen, da dieselbe die feinern Unterschiede zwischen Serben und Bul¬
garen nicht kennt und nur von der Einheit beider in kirchlicher Beziehung weiß.
Ein eigentlicher Wettbewerb findet lediglich zwischen den Griechen und den
Bulgaren statt, und zwar ringen und wühlen jene in der Stille mit listigen
Ranken, diese mit grobbüuerlicher Rücksichtslosigkeit, und die Türken sehen dem
Treiben mit ihrem altgewohnten apathischen Maschallah zu. Mit allerlei
Greuelgeschichten, die ganz erfunden oder stark übertrieben sind, regen die
Wühler für die bulgarische Sache die unwissende Masse auf, und daneben wird
mit Vorspiegelungen hantirt, die auf die Brüder am Balkan hinweisen. So
ist für die Zukunft gut vorgearbeitet, und die Saat könnte, wenn die Erhebung
an der Maritza ihren Zweck ungehindert und uneingehemmt erreichte, bald auf¬
gehen. An Geld fehlt es nicht, um einen Aufstand der macedonischen Bulgaren,
denen sich viele dortige Serben anschließen würden, hervorzurufen, und ebenso
wenig würde es an Mannschaften zur Bildung von Jusurgentenbauden mangeln,
denn ein Teil der Bevölkerung ist besitzlos und muß sich seinen Unterhalt jedes
Frühjahr durch Wanderung nach dem Osten suchen, wo die Leute meist als
Maurer und Zimmerleute Arbeit finden. Versuche, die bulgarische Herrschaft
nach Macedonien auszudehnen, würden also unter günstigen Umständen, wie
wir sie andeuteten, nicht ausbleiben.

Zu gleicher Zeit aber würden sich Nachbarn regen, die ebenfalls Ansprüche
zu haben meinen und Gelegenheit sehen würden, sie zu befriedigen, und da diese
Ansprüche zum Teil mit denen der Bulgaren kollidiren, so gäbe das einen
Kampf mit diesen und über kurz oder lang einen Wirrwarr in den Baltan-
lündern, wie er noch nicht dagewesen wäre, und wie er nicht verfehlen könnte,
die Interessen Österreich-Ungarns in Bosnien mittelbar und unmittelbar in
Mitleidenschaft zu ziehen. In Athen denkt man offenbar zunächst an Nord-
thessalicn und das südwestliche Macedonien, dann wohl auch an Erweiterung
der Grenzen nach Südalbanien hin. Man hat in dieser Absicht bereits einen
Teil des griechischen Heeres zu mobilisiren begonnen und einen diplomatischen
Feldzug eröffnet, der sich bis jetzt allerdings auf Vorstellungen bei den west¬
lichen Kabinetten beschränkt. In Belgrad, wo man die Erwerbung von Land¬
schaften jenseits der südwestlichen Grenze des Königreiches im Auge hat, ist
nun scholl weiter gegangen, indem dort nicht bloß die Mobilisirung der ge¬
samten Armee im Gange ist, sondern der Minister Garaschcmin anch eine Zirkular¬
note an alle Mächte gerichtet hat, die in ziemlich deutlicher Weise ausspricht,
was man, falls die Gelegenheit sich günstiger gestaltet, zu erstreben beabsichtigt.
Der serbische Minister der auswärtigen Angelegenheiten giebt in diesem Schrift-


Großbulgarien.

Konstantinopel gewährte, haben nicht bloß die Bulgaren Macedoniens, sondern
auch die dortigen Serben sehr viele Popen und Schullehrer bulgarischer Natio¬
nalität erhalten, und diese wirken sämtlich für die Ausbreitung der grvßbnl-
garischcu Idee. Sie haben bei ihrer Umgebung keine schwere Arbeit mit
diesem Bemühen, da dieselbe die feinern Unterschiede zwischen Serben und Bul¬
garen nicht kennt und nur von der Einheit beider in kirchlicher Beziehung weiß.
Ein eigentlicher Wettbewerb findet lediglich zwischen den Griechen und den
Bulgaren statt, und zwar ringen und wühlen jene in der Stille mit listigen
Ranken, diese mit grobbüuerlicher Rücksichtslosigkeit, und die Türken sehen dem
Treiben mit ihrem altgewohnten apathischen Maschallah zu. Mit allerlei
Greuelgeschichten, die ganz erfunden oder stark übertrieben sind, regen die
Wühler für die bulgarische Sache die unwissende Masse auf, und daneben wird
mit Vorspiegelungen hantirt, die auf die Brüder am Balkan hinweisen. So
ist für die Zukunft gut vorgearbeitet, und die Saat könnte, wenn die Erhebung
an der Maritza ihren Zweck ungehindert und uneingehemmt erreichte, bald auf¬
gehen. An Geld fehlt es nicht, um einen Aufstand der macedonischen Bulgaren,
denen sich viele dortige Serben anschließen würden, hervorzurufen, und ebenso
wenig würde es an Mannschaften zur Bildung von Jusurgentenbauden mangeln,
denn ein Teil der Bevölkerung ist besitzlos und muß sich seinen Unterhalt jedes
Frühjahr durch Wanderung nach dem Osten suchen, wo die Leute meist als
Maurer und Zimmerleute Arbeit finden. Versuche, die bulgarische Herrschaft
nach Macedonien auszudehnen, würden also unter günstigen Umständen, wie
wir sie andeuteten, nicht ausbleiben.

Zu gleicher Zeit aber würden sich Nachbarn regen, die ebenfalls Ansprüche
zu haben meinen und Gelegenheit sehen würden, sie zu befriedigen, und da diese
Ansprüche zum Teil mit denen der Bulgaren kollidiren, so gäbe das einen
Kampf mit diesen und über kurz oder lang einen Wirrwarr in den Baltan-
lündern, wie er noch nicht dagewesen wäre, und wie er nicht verfehlen könnte,
die Interessen Österreich-Ungarns in Bosnien mittelbar und unmittelbar in
Mitleidenschaft zu ziehen. In Athen denkt man offenbar zunächst an Nord-
thessalicn und das südwestliche Macedonien, dann wohl auch an Erweiterung
der Grenzen nach Südalbanien hin. Man hat in dieser Absicht bereits einen
Teil des griechischen Heeres zu mobilisiren begonnen und einen diplomatischen
Feldzug eröffnet, der sich bis jetzt allerdings auf Vorstellungen bei den west¬
lichen Kabinetten beschränkt. In Belgrad, wo man die Erwerbung von Land¬
schaften jenseits der südwestlichen Grenze des Königreiches im Auge hat, ist
nun scholl weiter gegangen, indem dort nicht bloß die Mobilisirung der ge¬
samten Armee im Gange ist, sondern der Minister Garaschcmin anch eine Zirkular¬
note an alle Mächte gerichtet hat, die in ziemlich deutlicher Weise ausspricht,
was man, falls die Gelegenheit sich günstiger gestaltet, zu erstreben beabsichtigt.
Der serbische Minister der auswärtigen Angelegenheiten giebt in diesem Schrift-


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[0056] Großbulgarien. Konstantinopel gewährte, haben nicht bloß die Bulgaren Macedoniens, sondern auch die dortigen Serben sehr viele Popen und Schullehrer bulgarischer Natio¬ nalität erhalten, und diese wirken sämtlich für die Ausbreitung der grvßbnl- garischcu Idee. Sie haben bei ihrer Umgebung keine schwere Arbeit mit diesem Bemühen, da dieselbe die feinern Unterschiede zwischen Serben und Bul¬ garen nicht kennt und nur von der Einheit beider in kirchlicher Beziehung weiß. Ein eigentlicher Wettbewerb findet lediglich zwischen den Griechen und den Bulgaren statt, und zwar ringen und wühlen jene in der Stille mit listigen Ranken, diese mit grobbüuerlicher Rücksichtslosigkeit, und die Türken sehen dem Treiben mit ihrem altgewohnten apathischen Maschallah zu. Mit allerlei Greuelgeschichten, die ganz erfunden oder stark übertrieben sind, regen die Wühler für die bulgarische Sache die unwissende Masse auf, und daneben wird mit Vorspiegelungen hantirt, die auf die Brüder am Balkan hinweisen. So ist für die Zukunft gut vorgearbeitet, und die Saat könnte, wenn die Erhebung an der Maritza ihren Zweck ungehindert und uneingehemmt erreichte, bald auf¬ gehen. An Geld fehlt es nicht, um einen Aufstand der macedonischen Bulgaren, denen sich viele dortige Serben anschließen würden, hervorzurufen, und ebenso wenig würde es an Mannschaften zur Bildung von Jusurgentenbauden mangeln, denn ein Teil der Bevölkerung ist besitzlos und muß sich seinen Unterhalt jedes Frühjahr durch Wanderung nach dem Osten suchen, wo die Leute meist als Maurer und Zimmerleute Arbeit finden. Versuche, die bulgarische Herrschaft nach Macedonien auszudehnen, würden also unter günstigen Umständen, wie wir sie andeuteten, nicht ausbleiben. Zu gleicher Zeit aber würden sich Nachbarn regen, die ebenfalls Ansprüche zu haben meinen und Gelegenheit sehen würden, sie zu befriedigen, und da diese Ansprüche zum Teil mit denen der Bulgaren kollidiren, so gäbe das einen Kampf mit diesen und über kurz oder lang einen Wirrwarr in den Baltan- lündern, wie er noch nicht dagewesen wäre, und wie er nicht verfehlen könnte, die Interessen Österreich-Ungarns in Bosnien mittelbar und unmittelbar in Mitleidenschaft zu ziehen. In Athen denkt man offenbar zunächst an Nord- thessalicn und das südwestliche Macedonien, dann wohl auch an Erweiterung der Grenzen nach Südalbanien hin. Man hat in dieser Absicht bereits einen Teil des griechischen Heeres zu mobilisiren begonnen und einen diplomatischen Feldzug eröffnet, der sich bis jetzt allerdings auf Vorstellungen bei den west¬ lichen Kabinetten beschränkt. In Belgrad, wo man die Erwerbung von Land¬ schaften jenseits der südwestlichen Grenze des Königreiches im Auge hat, ist nun scholl weiter gegangen, indem dort nicht bloß die Mobilisirung der ge¬ samten Armee im Gange ist, sondern der Minister Garaschcmin anch eine Zirkular¬ note an alle Mächte gerichtet hat, die in ziemlich deutlicher Weise ausspricht, was man, falls die Gelegenheit sich günstiger gestaltet, zu erstreben beabsichtigt. Der serbische Minister der auswärtigen Angelegenheiten giebt in diesem Schrift-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/56>, abgerufen am 15.01.2025.