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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mein Freund der Nihilist.

Eigentümer die an den Grundherrn zu zahlende Entschädigungssumme vor,
unter der Bedingung, diese zu einem geringen Zinsfuße zu verzinsen und binnen
neunundvierzig Jahren zu amortisiren. Meines Wissens ist man in Deutschland
bei der Ablösung der Feudallasten ganz ähnlich verfahren.

Allerdings. Es fragt sich nur, ob diese Maßregel auf eine gerechte und
für die Bauern nicht zu ungünstige Weise durchgeführt worden ist.

Das war bei den Regierungsbauern, welche etwa ein Drittel der leibeignen
Bevölkerung bilden, der Fall, bei denen des Adels nicht. Denn die Abschätzungs¬
kommissionen bestanden aus den Grundherren selbst und den von diesen bestochnen
kaiserlichen Beamten. So erhielten die Bauern das schlechteste Land und zu sehr
hohem Schätzungspreise. Schon ans diesem Grunde trug das Ganze den Keim
des Mißlingens in sich. Es zeigte sich aber bald auch auf andre Weise, daß
durch eine solche Emanzipation ein freier und wohlhabender Bauernstand nicht
wie mit einem Zauberschlage geschaffen werden kann; dergleichen will langsam
und organisch heranwachsen. Anstatt eines künftigen Bauernstandes entstand nichts
als ein erbärmliches ländliches Proletariat.

Sie überraschen mich.

Und doch konnte es garnicht anders kommen. Die Bauerngüter, oder
richtiger Tagelöhnergüter, waren von vornherein zu klein, um rationell bewirt¬
schaftet werden zu können. Der Bauer war außer stände, den erforderlichen
Viehstand anzuschaffen und zu erhalten, er war auch viel zu unwissend dazu,
und vor allem viel zu faul. Früher, als Leibeigner, mußte er arbeiten, schon
aus Furcht vor der Peitsche des Gutsherrn; jetzt zwang ihn nur der eigne
Kampf ums Dasein dazu. Da ging er lieber ins Wirtshaus und trank Brannt¬
wein. Die Familien vergrößerten sich, und zwar umso rascher, als dem Guts¬
herrn nicht mehr das Recht zustand, die Verheiratung zu verbieten; die auf die
ursprüngliche Kopfzahl berechnete Ackerfläche reichte bald nicht mehr aus. Die
Auswanderung in die Städte absorbirte nur einen sehr geringen Teil des vor¬
handenen Überschusses. Allerdings besaßen sowohl der Adel als die Regierung
auch nach Durchführung der Emanzipation ungeheure Flächen unbebauten Landes;
wie leicht hätte man diese mit Hilfe der wachsenden Bevölkerung kultiviren
können. Aber der Adel kümmerte sich nicht viel um dergleichen Dinge; er zog
es vor, sein Geld in unwürdiger Weise in Petersburg zu verprassen, und die
Regierung konservirte das Ödland, um es zu Geschenken an Beamte, Generale
u. s. w. zu verwenden. So entstand bald auf dem Lande Übervölkerung, mithin
Elend. Und es war niemand mehr da, um zu helfen; denn jedes Band zwischen
dem Grundherrn und dem freigewordenen Bauer war zerrissen. Früher half
dieser seinen Leibeignen durch; ja er hielt sie gut, denn sie waren wertvolle
Haustiere -- jetzt ließ er sie ruhig verderben. Noch schlimmeres kam hinzu.
Nicht nur die Grundsteuer mußte der freigewordene Bauer für seinen Acker
entrichten, sondern mich die Kopfsteuer, welche bis dahin der Grundherr für ihn


Mein Freund der Nihilist.

Eigentümer die an den Grundherrn zu zahlende Entschädigungssumme vor,
unter der Bedingung, diese zu einem geringen Zinsfuße zu verzinsen und binnen
neunundvierzig Jahren zu amortisiren. Meines Wissens ist man in Deutschland
bei der Ablösung der Feudallasten ganz ähnlich verfahren.

Allerdings. Es fragt sich nur, ob diese Maßregel auf eine gerechte und
für die Bauern nicht zu ungünstige Weise durchgeführt worden ist.

Das war bei den Regierungsbauern, welche etwa ein Drittel der leibeignen
Bevölkerung bilden, der Fall, bei denen des Adels nicht. Denn die Abschätzungs¬
kommissionen bestanden aus den Grundherren selbst und den von diesen bestochnen
kaiserlichen Beamten. So erhielten die Bauern das schlechteste Land und zu sehr
hohem Schätzungspreise. Schon ans diesem Grunde trug das Ganze den Keim
des Mißlingens in sich. Es zeigte sich aber bald auch auf andre Weise, daß
durch eine solche Emanzipation ein freier und wohlhabender Bauernstand nicht
wie mit einem Zauberschlage geschaffen werden kann; dergleichen will langsam
und organisch heranwachsen. Anstatt eines künftigen Bauernstandes entstand nichts
als ein erbärmliches ländliches Proletariat.

Sie überraschen mich.

Und doch konnte es garnicht anders kommen. Die Bauerngüter, oder
richtiger Tagelöhnergüter, waren von vornherein zu klein, um rationell bewirt¬
schaftet werden zu können. Der Bauer war außer stände, den erforderlichen
Viehstand anzuschaffen und zu erhalten, er war auch viel zu unwissend dazu,
und vor allem viel zu faul. Früher, als Leibeigner, mußte er arbeiten, schon
aus Furcht vor der Peitsche des Gutsherrn; jetzt zwang ihn nur der eigne
Kampf ums Dasein dazu. Da ging er lieber ins Wirtshaus und trank Brannt¬
wein. Die Familien vergrößerten sich, und zwar umso rascher, als dem Guts¬
herrn nicht mehr das Recht zustand, die Verheiratung zu verbieten; die auf die
ursprüngliche Kopfzahl berechnete Ackerfläche reichte bald nicht mehr aus. Die
Auswanderung in die Städte absorbirte nur einen sehr geringen Teil des vor¬
handenen Überschusses. Allerdings besaßen sowohl der Adel als die Regierung
auch nach Durchführung der Emanzipation ungeheure Flächen unbebauten Landes;
wie leicht hätte man diese mit Hilfe der wachsenden Bevölkerung kultiviren
können. Aber der Adel kümmerte sich nicht viel um dergleichen Dinge; er zog
es vor, sein Geld in unwürdiger Weise in Petersburg zu verprassen, und die
Regierung konservirte das Ödland, um es zu Geschenken an Beamte, Generale
u. s. w. zu verwenden. So entstand bald auf dem Lande Übervölkerung, mithin
Elend. Und es war niemand mehr da, um zu helfen; denn jedes Band zwischen
dem Grundherrn und dem freigewordenen Bauer war zerrissen. Früher half
dieser seinen Leibeignen durch; ja er hielt sie gut, denn sie waren wertvolle
Haustiere — jetzt ließ er sie ruhig verderben. Noch schlimmeres kam hinzu.
Nicht nur die Grundsteuer mußte der freigewordene Bauer für seinen Acker
entrichten, sondern mich die Kopfsteuer, welche bis dahin der Grundherr für ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/556>, abgerufen am 15.01.2025.