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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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von dem edeln Mmichcmer dadurch, daß ich nicht gegen Windmühlen kämpfe,
sondern gegen die nnr zu wirklichen Riesen des menschlichen Elends und der
menschlichen Schlechtigkeit, Die Prinzessin, welche ich befreien möchte, ist die
ganze Menschheit.

Bravo! Und glauben Sie wirklich, als Einzelner dazu etwas ausrichten
zu können?

Die Frage würde ich übel nehmen, Herr Baron, wenn ich nicht wüßte,
daß Sie sie nur stellen, um mich zu versuchen, Sie sehen, ich bin krank; ich
täusche mich auch uicht darüber, daß mein Leben nicht lang sein wird. Dennoch
ist es meine heilige Pflicht, so lange ich einen Funken von Kraft in mir fühle,
alles zu thun, um mein Ideal von der Gestaltung der menschlichen Gesellschaft
zu verwirklichen. Und das ist die Pflicht aller. Es trage nur jeder sein Sand¬
korn herbei, mit der Zeit wird es ein Berg. Würden Sie sich hinter den So¬
phismus der Selbstsucht und der Faulheit verschanzen: Was kann ich Ein¬
zelner thun?

Gewiß uicht! rief ich lebhaft. Erst vor kurzem habe ich unser,? Prediger
gebeten, dies einmal von der Kanzel herab auszusprechen. Er hat es gethan,
aber leider lange nicht so derb, wie ich's gewünscht hatte.

Dr. A. lächelte.

Lächeln Sie, so viel Sie wollen, Herr Doktor. Es liegt eine große Macht
in der Predigt. Sie wissen das freilich nicht, denn Sie gehen nie in die Kirche.

Vielleicht beneide ich Sie in diesem Pnnkte. Aber lassen wir das. Der
Grund Ihres Kommens ist, daß Sie wünschen, etwas über russische Zustände
zu erfahren.

Ganz recht. Werden Sie geneigt sein, mir ans meine Fragen offen und
rückhaltlos zu nutworteu?

Warum sollte ich nicht? Sehr gern sogar. Mir liegt daran, daß die vielen
falschen Ansichten, welche namentlich in Deutschland über Rußland herrschen,
beseitigt werden; ich werde Ihnen sogar dankbar sein, wenn Sie dazu mitwirken
wollen. Meine Ideen und Ziele habe ich stets offen bekannt; ich habe sie mit
der Feder furchtlos ausgesprochen, und in meinem Leben ist nicht das Geringste,
dessen ich mich zu schämen oder das ich zu bereuen hätte.

So sind Sie nicht politischer Flüchtling?

Durchaus nicht. Ich habe Rußland verlassen, weil ich von dem mildern
Klima Italiens und der Schweiz Hilfe für mein Vrustleiden erwartete. Freilich,
wenn ich geblieben wäre, würde ich jetzt wohl in der Gegend von Irkutsk un¬
freiwilligerweise dem Zobelfange obliegen.

Was war denn früher Ihr Beruf?

Ich bin ursprünglich Arzt; zuletzt war ich Direktor einer großen Gewerbe¬
schule zu Odessa.

Und jetzt?


von dem edeln Mmichcmer dadurch, daß ich nicht gegen Windmühlen kämpfe,
sondern gegen die nnr zu wirklichen Riesen des menschlichen Elends und der
menschlichen Schlechtigkeit, Die Prinzessin, welche ich befreien möchte, ist die
ganze Menschheit.

Bravo! Und glauben Sie wirklich, als Einzelner dazu etwas ausrichten
zu können?

Die Frage würde ich übel nehmen, Herr Baron, wenn ich nicht wüßte,
daß Sie sie nur stellen, um mich zu versuchen, Sie sehen, ich bin krank; ich
täusche mich auch uicht darüber, daß mein Leben nicht lang sein wird. Dennoch
ist es meine heilige Pflicht, so lange ich einen Funken von Kraft in mir fühle,
alles zu thun, um mein Ideal von der Gestaltung der menschlichen Gesellschaft
zu verwirklichen. Und das ist die Pflicht aller. Es trage nur jeder sein Sand¬
korn herbei, mit der Zeit wird es ein Berg. Würden Sie sich hinter den So¬
phismus der Selbstsucht und der Faulheit verschanzen: Was kann ich Ein¬
zelner thun?

Gewiß uicht! rief ich lebhaft. Erst vor kurzem habe ich unser,? Prediger
gebeten, dies einmal von der Kanzel herab auszusprechen. Er hat es gethan,
aber leider lange nicht so derb, wie ich's gewünscht hatte.

Dr. A. lächelte.

Lächeln Sie, so viel Sie wollen, Herr Doktor. Es liegt eine große Macht
in der Predigt. Sie wissen das freilich nicht, denn Sie gehen nie in die Kirche.

Vielleicht beneide ich Sie in diesem Pnnkte. Aber lassen wir das. Der
Grund Ihres Kommens ist, daß Sie wünschen, etwas über russische Zustände
zu erfahren.

Ganz recht. Werden Sie geneigt sein, mir ans meine Fragen offen und
rückhaltlos zu nutworteu?

Warum sollte ich nicht? Sehr gern sogar. Mir liegt daran, daß die vielen
falschen Ansichten, welche namentlich in Deutschland über Rußland herrschen,
beseitigt werden; ich werde Ihnen sogar dankbar sein, wenn Sie dazu mitwirken
wollen. Meine Ideen und Ziele habe ich stets offen bekannt; ich habe sie mit
der Feder furchtlos ausgesprochen, und in meinem Leben ist nicht das Geringste,
dessen ich mich zu schämen oder das ich zu bereuen hätte.

So sind Sie nicht politischer Flüchtling?

Durchaus nicht. Ich habe Rußland verlassen, weil ich von dem mildern
Klima Italiens und der Schweiz Hilfe für mein Vrustleiden erwartete. Freilich,
wenn ich geblieben wäre, würde ich jetzt wohl in der Gegend von Irkutsk un¬
freiwilligerweise dem Zobelfange obliegen.

Was war denn früher Ihr Beruf?

Ich bin ursprünglich Arzt; zuletzt war ich Direktor einer großen Gewerbe¬
schule zu Odessa.

Und jetzt?


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[0552] von dem edeln Mmichcmer dadurch, daß ich nicht gegen Windmühlen kämpfe, sondern gegen die nnr zu wirklichen Riesen des menschlichen Elends und der menschlichen Schlechtigkeit, Die Prinzessin, welche ich befreien möchte, ist die ganze Menschheit. Bravo! Und glauben Sie wirklich, als Einzelner dazu etwas ausrichten zu können? Die Frage würde ich übel nehmen, Herr Baron, wenn ich nicht wüßte, daß Sie sie nur stellen, um mich zu versuchen, Sie sehen, ich bin krank; ich täusche mich auch uicht darüber, daß mein Leben nicht lang sein wird. Dennoch ist es meine heilige Pflicht, so lange ich einen Funken von Kraft in mir fühle, alles zu thun, um mein Ideal von der Gestaltung der menschlichen Gesellschaft zu verwirklichen. Und das ist die Pflicht aller. Es trage nur jeder sein Sand¬ korn herbei, mit der Zeit wird es ein Berg. Würden Sie sich hinter den So¬ phismus der Selbstsucht und der Faulheit verschanzen: Was kann ich Ein¬ zelner thun? Gewiß uicht! rief ich lebhaft. Erst vor kurzem habe ich unser,? Prediger gebeten, dies einmal von der Kanzel herab auszusprechen. Er hat es gethan, aber leider lange nicht so derb, wie ich's gewünscht hatte. Dr. A. lächelte. Lächeln Sie, so viel Sie wollen, Herr Doktor. Es liegt eine große Macht in der Predigt. Sie wissen das freilich nicht, denn Sie gehen nie in die Kirche. Vielleicht beneide ich Sie in diesem Pnnkte. Aber lassen wir das. Der Grund Ihres Kommens ist, daß Sie wünschen, etwas über russische Zustände zu erfahren. Ganz recht. Werden Sie geneigt sein, mir ans meine Fragen offen und rückhaltlos zu nutworteu? Warum sollte ich nicht? Sehr gern sogar. Mir liegt daran, daß die vielen falschen Ansichten, welche namentlich in Deutschland über Rußland herrschen, beseitigt werden; ich werde Ihnen sogar dankbar sein, wenn Sie dazu mitwirken wollen. Meine Ideen und Ziele habe ich stets offen bekannt; ich habe sie mit der Feder furchtlos ausgesprochen, und in meinem Leben ist nicht das Geringste, dessen ich mich zu schämen oder das ich zu bereuen hätte. So sind Sie nicht politischer Flüchtling? Durchaus nicht. Ich habe Rußland verlassen, weil ich von dem mildern Klima Italiens und der Schweiz Hilfe für mein Vrustleiden erwartete. Freilich, wenn ich geblieben wäre, würde ich jetzt wohl in der Gegend von Irkutsk un¬ freiwilligerweise dem Zobelfange obliegen. Was war denn früher Ihr Beruf? Ich bin ursprünglich Arzt; zuletzt war ich Direktor einer großen Gewerbe¬ schule zu Odessa. Und jetzt?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/552>, abgerufen am 15.01.2025.