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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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auch der Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten. Im Namen des
Reiches müßten alle diejenigen Verträge geschlossen werden, welche sich ans Dinge
beziehen, die in den Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches fallen.
Soweit es sich um Akte der Verwaltung handle, sei der Kaiser dabei souverän,
sobald aber Dinge in Frage kämen, die von der Gesetzgebung des Reiches ab¬
hängen, sei er bei dem Abschlüsse der Verträge an die Zustimmung des Bundes¬
rates gebunden, und weiter sei zu deren Giltigkeit die Genehmigung des Reichs¬
tages erforderlich (Abs. 3 des Art. 11). Hieraus ergebe sich, daß das Recht
der Einzelstaaten, Verträge abzuschließen, auf Gegenstände beschränkt sei, die nicht
in die gesetzgeberische oder administrative Kompetenz des Reiches fallen. Die
Abschließung von Koukordetcn z. B. sei den Einzelstaaten unverwehrt, da die
Reichsverfassung die kirchliche Gesetzgebung und Verwaltung garnicht berühre;
Einzelverträge über das bürgerliche Recht, über Strafrecht und gerichtliches
Verfahren aber seien unstatthaft, weil nach Art. 4 Ur. 13 der Reichsverfassung
lersetzt durch das Gesetz vom 20. Dezember 1873^ diese Materien der Gesetz¬
gebung des Reiches und der Beaufsichtigung desselben unterliegen. Hieraus
ergebe sich der unanfechtbare Grundsatz, daß für die Beurteilung der Frage,
welche Verträge ausschließlich dem Reiche zustehen, in jedem einzelnen Falle
Art. 4 der Verfassung maßgebend sei, da er die Gegenstande aufzähle, welche
der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches unterliegen. Auf Aus-
lieferungsverträge müsse dieser Art. 4 unbedingt Anwendung finden, da die¬
selben die Frcmdenpolizci berühren, welche nach Ur. 1 des genannten Artikels
zur Reichsgesetzgebung gehöre. Bisher sei auch die Praxis in dem oben an¬
geführten Sinne geübt worden, alle Ablieferungsverträge mit fremden Staaten
seien durch das Reich abgeschlossen worden, um dessen Genehmigung zu seiner
Giltigkeit zu erlangen. Was besage diese Vorlegung anders als die Aner¬
kennung der Kompetenz des Reiches? Diese Kompetenz sei aber eine aus¬
schließliche; wo sie vorhanden sei, sei eben der Einzelstaat in seiner Souveränität
beschränkt. Eine doppelte fakultative Kompetenz der Vertragsschließung, eine
partikulare und eine nationale, sei ein staatsrechtliches Unding. Kompetenz heiße
Berechtigung, und widersprechende Berechtigungen schlössen einander aus

Nun ist es unbestreitbar, daß die Einzelstaaten infolge der Beschränkung,
welche ihre Autonomie in Beziehung auf die völkerrechtliche Vertretung der¬
selben nach ciuszeu durch Art. 11 der Reichsverfassung zu gunsten der Reichs¬
gewalt erfahren hat, keine Staatsverträge abschließen dürfen, welche einer reichs¬
rechtlich geordneten Bestimmung widersprechen würden. Nicht richtig aber ist,
daß es ihnen verwehrt sei, Verträge mit fremden Staaten über Angelegenheiten
abzuschließen, solange das Reich von seiner Kompetenz in der betreffenden Materie
"och keinen Gebrauch gemacht hat. Die auf diesem Gebiete abgeschlossenen
Landesverträge würden dann ihre Geltung verlieren, wenn die Reichsgesetzgebung
die in Frage stehende Materie regelte; solange dies aber nicht der Fall ist, sind


auch der Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten. Im Namen des
Reiches müßten alle diejenigen Verträge geschlossen werden, welche sich ans Dinge
beziehen, die in den Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches fallen.
Soweit es sich um Akte der Verwaltung handle, sei der Kaiser dabei souverän,
sobald aber Dinge in Frage kämen, die von der Gesetzgebung des Reiches ab¬
hängen, sei er bei dem Abschlüsse der Verträge an die Zustimmung des Bundes¬
rates gebunden, und weiter sei zu deren Giltigkeit die Genehmigung des Reichs¬
tages erforderlich (Abs. 3 des Art. 11). Hieraus ergebe sich, daß das Recht
der Einzelstaaten, Verträge abzuschließen, auf Gegenstände beschränkt sei, die nicht
in die gesetzgeberische oder administrative Kompetenz des Reiches fallen. Die
Abschließung von Koukordetcn z. B. sei den Einzelstaaten unverwehrt, da die
Reichsverfassung die kirchliche Gesetzgebung und Verwaltung garnicht berühre;
Einzelverträge über das bürgerliche Recht, über Strafrecht und gerichtliches
Verfahren aber seien unstatthaft, weil nach Art. 4 Ur. 13 der Reichsverfassung
lersetzt durch das Gesetz vom 20. Dezember 1873^ diese Materien der Gesetz¬
gebung des Reiches und der Beaufsichtigung desselben unterliegen. Hieraus
ergebe sich der unanfechtbare Grundsatz, daß für die Beurteilung der Frage,
welche Verträge ausschließlich dem Reiche zustehen, in jedem einzelnen Falle
Art. 4 der Verfassung maßgebend sei, da er die Gegenstande aufzähle, welche
der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches unterliegen. Auf Aus-
lieferungsverträge müsse dieser Art. 4 unbedingt Anwendung finden, da die¬
selben die Frcmdenpolizci berühren, welche nach Ur. 1 des genannten Artikels
zur Reichsgesetzgebung gehöre. Bisher sei auch die Praxis in dem oben an¬
geführten Sinne geübt worden, alle Ablieferungsverträge mit fremden Staaten
seien durch das Reich abgeschlossen worden, um dessen Genehmigung zu seiner
Giltigkeit zu erlangen. Was besage diese Vorlegung anders als die Aner¬
kennung der Kompetenz des Reiches? Diese Kompetenz sei aber eine aus¬
schließliche; wo sie vorhanden sei, sei eben der Einzelstaat in seiner Souveränität
beschränkt. Eine doppelte fakultative Kompetenz der Vertragsschließung, eine
partikulare und eine nationale, sei ein staatsrechtliches Unding. Kompetenz heiße
Berechtigung, und widersprechende Berechtigungen schlössen einander aus

Nun ist es unbestreitbar, daß die Einzelstaaten infolge der Beschränkung,
welche ihre Autonomie in Beziehung auf die völkerrechtliche Vertretung der¬
selben nach ciuszeu durch Art. 11 der Reichsverfassung zu gunsten der Reichs¬
gewalt erfahren hat, keine Staatsverträge abschließen dürfen, welche einer reichs¬
rechtlich geordneten Bestimmung widersprechen würden. Nicht richtig aber ist,
daß es ihnen verwehrt sei, Verträge mit fremden Staaten über Angelegenheiten
abzuschließen, solange das Reich von seiner Kompetenz in der betreffenden Materie
»och keinen Gebrauch gemacht hat. Die auf diesem Gebiete abgeschlossenen
Landesverträge würden dann ihre Geltung verlieren, wenn die Reichsgesetzgebung
die in Frage stehende Materie regelte; solange dies aber nicht der Fall ist, sind


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[0539] auch der Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten. Im Namen des Reiches müßten alle diejenigen Verträge geschlossen werden, welche sich ans Dinge beziehen, die in den Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches fallen. Soweit es sich um Akte der Verwaltung handle, sei der Kaiser dabei souverän, sobald aber Dinge in Frage kämen, die von der Gesetzgebung des Reiches ab¬ hängen, sei er bei dem Abschlüsse der Verträge an die Zustimmung des Bundes¬ rates gebunden, und weiter sei zu deren Giltigkeit die Genehmigung des Reichs¬ tages erforderlich (Abs. 3 des Art. 11). Hieraus ergebe sich, daß das Recht der Einzelstaaten, Verträge abzuschließen, auf Gegenstände beschränkt sei, die nicht in die gesetzgeberische oder administrative Kompetenz des Reiches fallen. Die Abschließung von Koukordetcn z. B. sei den Einzelstaaten unverwehrt, da die Reichsverfassung die kirchliche Gesetzgebung und Verwaltung garnicht berühre; Einzelverträge über das bürgerliche Recht, über Strafrecht und gerichtliches Verfahren aber seien unstatthaft, weil nach Art. 4 Ur. 13 der Reichsverfassung lersetzt durch das Gesetz vom 20. Dezember 1873^ diese Materien der Gesetz¬ gebung des Reiches und der Beaufsichtigung desselben unterliegen. Hieraus ergebe sich der unanfechtbare Grundsatz, daß für die Beurteilung der Frage, welche Verträge ausschließlich dem Reiche zustehen, in jedem einzelnen Falle Art. 4 der Verfassung maßgebend sei, da er die Gegenstande aufzähle, welche der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches unterliegen. Auf Aus- lieferungsverträge müsse dieser Art. 4 unbedingt Anwendung finden, da die¬ selben die Frcmdenpolizci berühren, welche nach Ur. 1 des genannten Artikels zur Reichsgesetzgebung gehöre. Bisher sei auch die Praxis in dem oben an¬ geführten Sinne geübt worden, alle Ablieferungsverträge mit fremden Staaten seien durch das Reich abgeschlossen worden, um dessen Genehmigung zu seiner Giltigkeit zu erlangen. Was besage diese Vorlegung anders als die Aner¬ kennung der Kompetenz des Reiches? Diese Kompetenz sei aber eine aus¬ schließliche; wo sie vorhanden sei, sei eben der Einzelstaat in seiner Souveränität beschränkt. Eine doppelte fakultative Kompetenz der Vertragsschließung, eine partikulare und eine nationale, sei ein staatsrechtliches Unding. Kompetenz heiße Berechtigung, und widersprechende Berechtigungen schlössen einander aus Nun ist es unbestreitbar, daß die Einzelstaaten infolge der Beschränkung, welche ihre Autonomie in Beziehung auf die völkerrechtliche Vertretung der¬ selben nach ciuszeu durch Art. 11 der Reichsverfassung zu gunsten der Reichs¬ gewalt erfahren hat, keine Staatsverträge abschließen dürfen, welche einer reichs¬ rechtlich geordneten Bestimmung widersprechen würden. Nicht richtig aber ist, daß es ihnen verwehrt sei, Verträge mit fremden Staaten über Angelegenheiten abzuschließen, solange das Reich von seiner Kompetenz in der betreffenden Materie »och keinen Gebrauch gemacht hat. Die auf diesem Gebiete abgeschlossenen Landesverträge würden dann ihre Geltung verlieren, wenn die Reichsgesetzgebung die in Frage stehende Materie regelte; solange dies aber nicht der Fall ist, sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/539>, abgerufen am 15.01.2025.