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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Auslieferungsverträge mit Rußland.

hat, braucht nicht ausdrücklich gesagt zu werden; einer solchen Vertragsbestim¬
mung würde schon der § 9 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich ent¬
gegenstehen, eine reichsgesetzliche Bestimmung, welche von dem Vertrage eines
Partikularstaates nicht aufgehoben werden kann.

Der Vertrag wurde bald darauf als Entwurf eiues von dem Reiche abzu¬
schließende» Vertrages, mit der Zustimmung des Bundesrates versehen, beim
deutschen Reichstage eingebracht, weil nach Art. 11 Abs. 3, Art. 4 der Reichs-
verfassung zum Abschlüsse dieses Vertrages für das Reich die Genehmigung des
Reichstages neben der Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist. Der
Reichstag konnte nicht dazu kommen, die Beratung und Beschlußfassung über
diesen Vertrag zu unternehmen; die Session mußte geschlossen werden, ohne daß
in dieser Beziehung etwas geschehen war. Inzwischen hat am 17. Oktober d. I.
Baiern für sich einen Vertrag über die gegenseitige Auslieferung der Verbrecher
mit Rußland abgeschlossen, welcher seinem Inhalte nach dem preußisch-russischen
Vertrage völlig gleich ist, und es ist anzunehmen, daß sich diesem Vorgange die
übrigen deutschen Vuudesstaatcu anschließen werden. In der That verlautet
bereits von einem gleichen Vertragsabschlüsse Württembergs mit Rußland.

Dies alles gefällt nur den Oppositionsblättern nicht, denn sie hatten bereits
mit Sicherheit darauf gerechnet, daß der Reichstag die von ihm begehrte Ge¬
nehmigung zu dem Ncichsvcrtrage nicht gewähren und daß demgemäß ein Aus¬
lieferungsvertrag mit Nußland nicht zu stände kommen werde. Sie haben jetzt
staatsrechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des Abschlusses solcher Verträge
durch die Einzelstaaten zurechtgelegt, und es tritt bei ihnen jetzt ein auffallender
Eifer zu Tage, die Kompetenz des Reiches nicht durch die Einzelstaaten beein¬
trächtigen zu lassen. Die Blätter finden es geradezu spaßhaft, daß es einem
Einzelstaate einfallen könne, einen solche» Vertrag abzuschließen, nachdem sich
doch schon das Reich mit dieser Materie befaßt habe, und sie lassen die Einzel¬
staaten recht empfindlich fühle», was sie doch für armselige Geschöpfe gegenüber
dem großen Reiche sind, was für eine naive Anmaßung es von ihnen ist,
selbständige Politik machen zu wolle». Die Oppvsitivusblütter folgern: Weil
der ursprünglich preußisch-russische Vertrag an den Reichstag gebracht worden
sei (um dessen Geltung für das ganze Reich herbeizuführen), iuvvlvire dies die
Anerkennung, daß in dieser Materie die Kompetenz allein beim Reiche sei. Mit
Unrecht erkläre man die Frage, ob ein deutscher Einzelstaat noch berechtigt sei,
einen derartigen Vertrag abzuschließen, staatsrechtlich für streitig und berufe sich
hierfür auf die auseinandergehenden Ansichten der Lehrer und Kommentatoren
des Staatsrechts. Einmal sei bei diesen wohl über jede einzelne Frage Streit,
anderseits könne für den, der sich lediglich an Sinn und Wortlaut der Ver¬
fassung halte, eine Kontroverse garnicht existiren. Nach Art. 11 der deutschen
Reichsverfassung habe der Kaiser das Reich völkerrechtlich zu vertreten; zu dieser
Vertretung gehöre — nach ausdrücklicher Bestimmung (Abs. 1 des Art. 11) —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/538>, abgerufen am 23.01.2025.