Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Großbulgarien. Die andern höheren Offiziersstellen waren bis vor kurzem mit Russen besetzt, Großbulgarien. Die andern höheren Offiziersstellen waren bis vor kurzem mit Russen besetzt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196787"/> <fw type="header" place="top"> Großbulgarien.</fw><lb/> <p xml:id="ID_126" prev="#ID_125" next="#ID_127"> Die andern höheren Offiziersstellen waren bis vor kurzem mit Russen besetzt,<lb/> die aber i» diesen Tagen von ihrem Kaiser abberufen wurden, die niedern meist<lb/> mit Bulgaren. Über den militärischen Wert der vstrumelischen Miliz äußert<lb/> sich der „Russische Invalide" auf Grund der vorjährigen Herbstübnngen sehr<lb/> wenig günstig. Die Marschdisziplin war schlecht, sodaß ein großer Teil der<lb/> Mannschaften zurückblieb und gefahren werden mußte. Die Organisation des<lb/> Proviantwesens erwies sich unzweckmäßig. Im Lager herrschte wenig Ordnung.<lb/> Die Infanterie wie die Artillerie eröffnete ihr Feuer auf viel zu große Ent¬<lb/> fernungen. Diese Miliz zählt in ihren Reihen schließlich auch Muhamedaner,<lb/> und so können die Unionisten auch deshalb nicht unbedingt auf sie rechnen. Der<lb/> Sultan hat diesen großenteils mangelhafte» Streitkräften der Unionisten gegen¬<lb/> über zunächst zwei Armeekorps zur Verfügung: die Garde in Konstantinopel<lb/> und das zweite Korps in Adrianopel, von denen jedes 28 Bataillone, 24 Schwa¬<lb/> dronen und 12 Batterien zählt, sodaß, wem? die Pforte sich entschließen sollte,<lb/> die Union der Bulgaren mit Waffengewalt wieder zu sprengen, binnen drei<lb/> Wochen ein Heer von ungefähr 50- bis 60000 Mann gegen die Bulgarei? auf<lb/> dem Marsche sein könnte. Die Türken sind vortreffliche Soldaten, wohlbcwnffnet<lb/> und gut geübt, und bei einigermaßen intelligenter und energischer Führung winden<lb/> jene beiden Korps ohne Aufgebot weiterer Streitkräfte aller Wahrscheinlichkeit nach<lb/> genügen, den Aufstand rasch niederzuschlagen und das unzweifelhafte Recht des<lb/> Padischa wieder zu voller Geltung zu bringen, sodaß es einer Heranziehung von<lb/> Abteilungen des dritten Armeekorps, das in Macedonien steht und von Mouastir<lb/> Truppen nach Ostrnmelien abgeben könnte, kaum bedürfen würde. Könnte die<lb/> Türkei mit dem Schwert einschreiten wollen, und könnte sie dann in raschem Zuge<lb/> die Rebellion der Bulgaren militärisch bewältigen, so wäre es, wenn alsdann nicht<lb/> von andrer Seite Einspruch erfolgte, selbst mit der Herrschaft Fürst Alexanders<lb/> vorbei, jedenfalls aber mit dem Großbulgarieu, das jetzt proklamirt worden ist.<lb/> siegte dagegen wider Erwarten die Bewegung, so erstünde aus derselben ein<lb/> ebenso ansehnlicher als für die Pforte und die übrigen Nachbarländer sowie<lb/> mittelbar für die Ruhe Europas gefährlicher Staat, der, durch diesen erste»<lb/> Erfolg ermutigt, sehr bald »ach Westen und Süden weiter zu greifen versuchen<lb/> würde. Durch den Anschluß der Provinz Ostrumelien würde das Gebiet des<lb/> Fürsten Alexander, das jetzt 63865 Quadratkilometer umfaßt, fast 100000<lb/> Quadratkilometer groß werden, und die Einwohnerzahl desselben, die gegenwärtig<lb/> etwa zwei Millionen beträgt, auf ziemlich drei Millionen steigen. Die Süd¬<lb/> grenze Bulgariens, die bisher von der Kette des Balkans gebildet wurde, würde<lb/> um fast zwanzig Meilen näher nach Konstcintinvpel hingerückt, über die Maritza<lb/> hinaus, an welcher Philippopel liegt, das wahrscheinlich die Hauptstadt des<lb/> vergrößerten Bulgarenstaates werden würde. Die Grenzen desselben wären nur<lb/> noch zehn Meilen von Adrianopel und nur noch fünfundzwanzig von der Haupt-<lb/> und Residenzstadt des Sultans entfernt. Sie würden durch die nördlichen Ans-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
Großbulgarien.
Die andern höheren Offiziersstellen waren bis vor kurzem mit Russen besetzt,
die aber i» diesen Tagen von ihrem Kaiser abberufen wurden, die niedern meist
mit Bulgaren. Über den militärischen Wert der vstrumelischen Miliz äußert
sich der „Russische Invalide" auf Grund der vorjährigen Herbstübnngen sehr
wenig günstig. Die Marschdisziplin war schlecht, sodaß ein großer Teil der
Mannschaften zurückblieb und gefahren werden mußte. Die Organisation des
Proviantwesens erwies sich unzweckmäßig. Im Lager herrschte wenig Ordnung.
Die Infanterie wie die Artillerie eröffnete ihr Feuer auf viel zu große Ent¬
fernungen. Diese Miliz zählt in ihren Reihen schließlich auch Muhamedaner,
und so können die Unionisten auch deshalb nicht unbedingt auf sie rechnen. Der
Sultan hat diesen großenteils mangelhafte» Streitkräften der Unionisten gegen¬
über zunächst zwei Armeekorps zur Verfügung: die Garde in Konstantinopel
und das zweite Korps in Adrianopel, von denen jedes 28 Bataillone, 24 Schwa¬
dronen und 12 Batterien zählt, sodaß, wem? die Pforte sich entschließen sollte,
die Union der Bulgaren mit Waffengewalt wieder zu sprengen, binnen drei
Wochen ein Heer von ungefähr 50- bis 60000 Mann gegen die Bulgarei? auf
dem Marsche sein könnte. Die Türken sind vortreffliche Soldaten, wohlbcwnffnet
und gut geübt, und bei einigermaßen intelligenter und energischer Führung winden
jene beiden Korps ohne Aufgebot weiterer Streitkräfte aller Wahrscheinlichkeit nach
genügen, den Aufstand rasch niederzuschlagen und das unzweifelhafte Recht des
Padischa wieder zu voller Geltung zu bringen, sodaß es einer Heranziehung von
Abteilungen des dritten Armeekorps, das in Macedonien steht und von Mouastir
Truppen nach Ostrnmelien abgeben könnte, kaum bedürfen würde. Könnte die
Türkei mit dem Schwert einschreiten wollen, und könnte sie dann in raschem Zuge
die Rebellion der Bulgaren militärisch bewältigen, so wäre es, wenn alsdann nicht
von andrer Seite Einspruch erfolgte, selbst mit der Herrschaft Fürst Alexanders
vorbei, jedenfalls aber mit dem Großbulgarieu, das jetzt proklamirt worden ist.
siegte dagegen wider Erwarten die Bewegung, so erstünde aus derselben ein
ebenso ansehnlicher als für die Pforte und die übrigen Nachbarländer sowie
mittelbar für die Ruhe Europas gefährlicher Staat, der, durch diesen erste»
Erfolg ermutigt, sehr bald »ach Westen und Süden weiter zu greifen versuchen
würde. Durch den Anschluß der Provinz Ostrumelien würde das Gebiet des
Fürsten Alexander, das jetzt 63865 Quadratkilometer umfaßt, fast 100000
Quadratkilometer groß werden, und die Einwohnerzahl desselben, die gegenwärtig
etwa zwei Millionen beträgt, auf ziemlich drei Millionen steigen. Die Süd¬
grenze Bulgariens, die bisher von der Kette des Balkans gebildet wurde, würde
um fast zwanzig Meilen näher nach Konstcintinvpel hingerückt, über die Maritza
hinaus, an welcher Philippopel liegt, das wahrscheinlich die Hauptstadt des
vergrößerten Bulgarenstaates werden würde. Die Grenzen desselben wären nur
noch zehn Meilen von Adrianopel und nur noch fünfundzwanzig von der Haupt-
und Residenzstadt des Sultans entfernt. Sie würden durch die nördlichen Ans-
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