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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Joch.

hatte seinen Wagen entlassen und wollte noch vor Abend einen größer"
Spaziergang machen,- so zog er denn hinaus durch die einsame, distelrciche Fläche
bis nach der Wiese des Braulio, und da er sich beim Hcrabschreiten immer be¬
haglicher und leichter fühlte, noch weiter hinab zu dem Punkte, wo eine hölzerne
Galerie über die Adda führt, bei deren Austritt das nichts ahnende Auge wie
geblendet auf die Gletscherwelt des Monte Cristallo fällt.

Bei dem Wasserfall einige Minuten tiefer mußte sich Harald niederlassen;
es wurde ihm zusehends übler zu Mute; er hatte, als er aus dem nahen va-hwo
api rot-tori <>i spynäa lunM eine" Straßcnwärter und Schneebahuer heran¬
kommen sah, nur noch die Besinnung, diesen z" bitten, einen Wagen ans Santa
Maria zu holen und ihn dorthin zu schaffei, -- dann schwanden ihm die
Sinne.




Dreizehntes Aapitel.

Als Harald wieder zu sich kam, sah er betroffen um sich. Er lag im
Bette in einer ihm völlig fremden Stube, nud mich des jungen Mädchens, das
zu seinen Füßen saß, vermochte er sich nicht zu erinnern. Sein Blick wurde
starr, als er mühsam das Haupt zum Fettster wandte und dessen Scheiben fest
gefroren, mit Eisblumen geschmückt sah. Das Mädchen erhob sich leise und
fragte in italienischer Sprache:

Seid Ihr endlich wieder bei Euch, Herr, und sind Eure wüsten Träume
geschwunden?

Wo bin ich denn, und wer bist du?

El, Herr, wißt Ihr das nimmer? Ihr habt das Albergo von Santa Maria
noch nicht verlassen, und ich bin Nina, die Nichte des Padrvno.

Wie kam ich her?

Ja, hergekommen seid Ihr nicht; aber getragen haben Euch der rottöro
Giuseppe und sein ^ohn Vittorio, und die brachten Euch halbtot hier an; am
letzten Dienstag, am Tag des heiligen Martin, waren es gerade fünf Woche",
aber Ihr wolltet nicht ruhig bleiben, sondern spracht immer fort in der Sprache
der Tedeschi allerlei, wie mir der Oheim sagte, wirres Zeug, denn ich verstehe
das nicht.

Harald wollte noch weiter sprechen, über sein Kopf sank ermattet in die
Kissen zurück.

Die Muhme sagt, bemerkte Nina. Ihr sollt hübsch ruhig liegen, wenn Ihr
aufwacht, und ich darf nicht mit Euch plaudern.

Der Kranke mußte sich dem Gebote fügen, aber er hatte doch sein Bewußt¬
sein wieder erlangt, konnte still sür sich hindeuten und sich des heitern Antlitzes
der zierlichen, etwa sechzehnjähriger Nina erfreuen, der man die Freude über
das Genesen des Gastes aus den Augen ablesen konnte.


Auf dem Stilfser Joch.

hatte seinen Wagen entlassen und wollte noch vor Abend einen größer»
Spaziergang machen,- so zog er denn hinaus durch die einsame, distelrciche Fläche
bis nach der Wiese des Braulio, und da er sich beim Hcrabschreiten immer be¬
haglicher und leichter fühlte, noch weiter hinab zu dem Punkte, wo eine hölzerne
Galerie über die Adda führt, bei deren Austritt das nichts ahnende Auge wie
geblendet auf die Gletscherwelt des Monte Cristallo fällt.

Bei dem Wasserfall einige Minuten tiefer mußte sich Harald niederlassen;
es wurde ihm zusehends übler zu Mute; er hatte, als er aus dem nahen va-hwo
api rot-tori <>i spynäa lunM eine» Straßcnwärter und Schneebahuer heran¬
kommen sah, nur noch die Besinnung, diesen z» bitten, einen Wagen ans Santa
Maria zu holen und ihn dorthin zu schaffei, — dann schwanden ihm die
Sinne.




Dreizehntes Aapitel.

Als Harald wieder zu sich kam, sah er betroffen um sich. Er lag im
Bette in einer ihm völlig fremden Stube, nud mich des jungen Mädchens, das
zu seinen Füßen saß, vermochte er sich nicht zu erinnern. Sein Blick wurde
starr, als er mühsam das Haupt zum Fettster wandte und dessen Scheiben fest
gefroren, mit Eisblumen geschmückt sah. Das Mädchen erhob sich leise und
fragte in italienischer Sprache:

Seid Ihr endlich wieder bei Euch, Herr, und sind Eure wüsten Träume
geschwunden?

Wo bin ich denn, und wer bist du?

El, Herr, wißt Ihr das nimmer? Ihr habt das Albergo von Santa Maria
noch nicht verlassen, und ich bin Nina, die Nichte des Padrvno.

Wie kam ich her?

Ja, hergekommen seid Ihr nicht; aber getragen haben Euch der rottöro
Giuseppe und sein ^ohn Vittorio, und die brachten Euch halbtot hier an; am
letzten Dienstag, am Tag des heiligen Martin, waren es gerade fünf Woche»,
aber Ihr wolltet nicht ruhig bleiben, sondern spracht immer fort in der Sprache
der Tedeschi allerlei, wie mir der Oheim sagte, wirres Zeug, denn ich verstehe
das nicht.

Harald wollte noch weiter sprechen, über sein Kopf sank ermattet in die
Kissen zurück.

Die Muhme sagt, bemerkte Nina. Ihr sollt hübsch ruhig liegen, wenn Ihr
aufwacht, und ich darf nicht mit Euch plaudern.

Der Kranke mußte sich dem Gebote fügen, aber er hatte doch sein Bewußt¬
sein wieder erlangt, konnte still sür sich hindeuten und sich des heitern Antlitzes
der zierlichen, etwa sechzehnjähriger Nina erfreuen, der man die Freude über
das Genesen des Gastes aus den Augen ablesen konnte.


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[0507] Auf dem Stilfser Joch. hatte seinen Wagen entlassen und wollte noch vor Abend einen größer» Spaziergang machen,- so zog er denn hinaus durch die einsame, distelrciche Fläche bis nach der Wiese des Braulio, und da er sich beim Hcrabschreiten immer be¬ haglicher und leichter fühlte, noch weiter hinab zu dem Punkte, wo eine hölzerne Galerie über die Adda führt, bei deren Austritt das nichts ahnende Auge wie geblendet auf die Gletscherwelt des Monte Cristallo fällt. Bei dem Wasserfall einige Minuten tiefer mußte sich Harald niederlassen; es wurde ihm zusehends übler zu Mute; er hatte, als er aus dem nahen va-hwo api rot-tori <>i spynäa lunM eine» Straßcnwärter und Schneebahuer heran¬ kommen sah, nur noch die Besinnung, diesen z» bitten, einen Wagen ans Santa Maria zu holen und ihn dorthin zu schaffei, — dann schwanden ihm die Sinne. Dreizehntes Aapitel. Als Harald wieder zu sich kam, sah er betroffen um sich. Er lag im Bette in einer ihm völlig fremden Stube, nud mich des jungen Mädchens, das zu seinen Füßen saß, vermochte er sich nicht zu erinnern. Sein Blick wurde starr, als er mühsam das Haupt zum Fettster wandte und dessen Scheiben fest gefroren, mit Eisblumen geschmückt sah. Das Mädchen erhob sich leise und fragte in italienischer Sprache: Seid Ihr endlich wieder bei Euch, Herr, und sind Eure wüsten Träume geschwunden? Wo bin ich denn, und wer bist du? El, Herr, wißt Ihr das nimmer? Ihr habt das Albergo von Santa Maria noch nicht verlassen, und ich bin Nina, die Nichte des Padrvno. Wie kam ich her? Ja, hergekommen seid Ihr nicht; aber getragen haben Euch der rottöro Giuseppe und sein ^ohn Vittorio, und die brachten Euch halbtot hier an; am letzten Dienstag, am Tag des heiligen Martin, waren es gerade fünf Woche», aber Ihr wolltet nicht ruhig bleiben, sondern spracht immer fort in der Sprache der Tedeschi allerlei, wie mir der Oheim sagte, wirres Zeug, denn ich verstehe das nicht. Harald wollte noch weiter sprechen, über sein Kopf sank ermattet in die Kissen zurück. Die Muhme sagt, bemerkte Nina. Ihr sollt hübsch ruhig liegen, wenn Ihr aufwacht, und ich darf nicht mit Euch plaudern. Der Kranke mußte sich dem Gebote fügen, aber er hatte doch sein Bewußt¬ sein wieder erlangt, konnte still sür sich hindeuten und sich des heitern Antlitzes der zierlichen, etwa sechzehnjähriger Nina erfreuen, der man die Freude über das Genesen des Gastes aus den Augen ablesen konnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/507>, abgerufen am 15.01.2025.