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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgcwählten,

gegeneilt, dann darf man nicht müde oder verdrossen werden, muß vielmehr
sein ganzes Sprüchlein immer wieder hersagen. Fiasko ist ja alles, was der
Kanzler jemals unternommen hat, und wenn die ganze Welt ihn rühmt und
bewundert, wenn, so oft eine Wolke am europäischen Horizont aufsteigt, alles
schreit: "Bismarck hilf!" -- so wissen wir doch, daß dieser ganze Ruhm aus
dem Reptilienfonds baar bezahlt wird. Und diese große Wahrheit muß täglich
wiederholt werden. Endlich wird sie doch Glauben finden.

Zu sagen, daß Kamerun ein elendes Sandloch sei, genügt nicht; man muß
auch "klarstellen," weshalb andre Nationen dieses und andre Sandköcher gern
besitzen würden. Das ist ganz einfach. In den andern Ländern gebricht es an
Streusand, wovon wir bekanntlich genug haben, um alle in sämtlichen Zeitungs-
redaktionen unnütz vergossene Tinte zu trocknen, sodaß wir nicht erst nach Afrika
zu schicken brauchen. Da wird vom Schutze der heimischen Erzeugnisse gesprochen,
und gleichzeitig ladet man unserm vaterläuderischeu Saude eine überlegne Kon¬
kurrenz auf den Hals. Fiasko!

Und die ganze Kolonialpolitik, was hat sie genutzt? Sie besteht schon,
wenn ich nicht irre, zwei Jahre lang, und noch immer ist kein Potosi entdeckt,
nicht einmal die Ananas sind wohlfeiler geworden, sodaß mancher edle Bürger
noch seine Bowle mit Sellerie ansetzen muß. Fiasko!

Dann die Ausweisungen. Ich kann aus bester Quelle versichern, daß jeder
Polnische Jude, der nichts als seinen Kaftan mit über unsre Grenze bringt, den
festen Willen hat, so bald als möglich reich zu werdeu und sich in Berlin
einige Häuser zu bauen. Er nud seine Nachkommen werden zwar immer
Polnische Juden bleiben, aber sich mit der Zeit eine solche Fertigkeit im Ge¬
brauche der deutschen Sprache aneignen, daß sie das "Ich geb', ich neben'"
ohne Anstoß, wenn auch nicht ohne fremden Accent, so gut an der Börse wie in
der Presse hersagen. Nur Zeit muß mau ihnen lassen. Jetzt zieht man ihrem
Bildungstriebe in brutalster Weise eine Schranke, jagt sie zurück nach Polen
oder Galizien, wo es ihrer ohnehin genug giebt. Was wollen sie dort? Mit
einander Geschäfte machen? Sie werden sich bedanken! Das ist allerdings,
wie Herr Liebknecht sagt, eine Barbarei. Allein wie kann er die Austreibung
der Hugenotten damit vergleichen! Der König von Frankreich jagte nnr seine
eignen Unterthanen aus dem Lande, wir vertreiben gar Fremde, die vertrauens¬
voll zu uns gekommen sind. Auf diese Art machen wir uns keine Freunde.
Und glaubt denn die Regierung wirklich, daß die Vertriebenen nicht wieder¬
kommen werden? Da kennt sie sie schlecht. Wozu also der ganze Lärm? Fiasko!

Mit dem Widerstande gegen die Erhöhung des Marine- und des Kriegs¬
budgets ist nichts gethan, es muß endlich kurz und gut gesagt werden, daß
wir weder Land- noch Seemacht haben wollen. Was es mit deu Kriegen auf
sich hat, haben wir soeben erfahren. Die Serben schlagen die Bulgaren, die
Bulgaren schlagen dafür die Serben -- welchen Zweck hat das? Das Blut-


Ungehaltene Reden eines Nichtgcwählten,

gegeneilt, dann darf man nicht müde oder verdrossen werden, muß vielmehr
sein ganzes Sprüchlein immer wieder hersagen. Fiasko ist ja alles, was der
Kanzler jemals unternommen hat, und wenn die ganze Welt ihn rühmt und
bewundert, wenn, so oft eine Wolke am europäischen Horizont aufsteigt, alles
schreit: „Bismarck hilf!" — so wissen wir doch, daß dieser ganze Ruhm aus
dem Reptilienfonds baar bezahlt wird. Und diese große Wahrheit muß täglich
wiederholt werden. Endlich wird sie doch Glauben finden.

Zu sagen, daß Kamerun ein elendes Sandloch sei, genügt nicht; man muß
auch „klarstellen," weshalb andre Nationen dieses und andre Sandköcher gern
besitzen würden. Das ist ganz einfach. In den andern Ländern gebricht es an
Streusand, wovon wir bekanntlich genug haben, um alle in sämtlichen Zeitungs-
redaktionen unnütz vergossene Tinte zu trocknen, sodaß wir nicht erst nach Afrika
zu schicken brauchen. Da wird vom Schutze der heimischen Erzeugnisse gesprochen,
und gleichzeitig ladet man unserm vaterläuderischeu Saude eine überlegne Kon¬
kurrenz auf den Hals. Fiasko!

Und die ganze Kolonialpolitik, was hat sie genutzt? Sie besteht schon,
wenn ich nicht irre, zwei Jahre lang, und noch immer ist kein Potosi entdeckt,
nicht einmal die Ananas sind wohlfeiler geworden, sodaß mancher edle Bürger
noch seine Bowle mit Sellerie ansetzen muß. Fiasko!

Dann die Ausweisungen. Ich kann aus bester Quelle versichern, daß jeder
Polnische Jude, der nichts als seinen Kaftan mit über unsre Grenze bringt, den
festen Willen hat, so bald als möglich reich zu werdeu und sich in Berlin
einige Häuser zu bauen. Er nud seine Nachkommen werden zwar immer
Polnische Juden bleiben, aber sich mit der Zeit eine solche Fertigkeit im Ge¬
brauche der deutschen Sprache aneignen, daß sie das „Ich geb', ich neben'"
ohne Anstoß, wenn auch nicht ohne fremden Accent, so gut an der Börse wie in
der Presse hersagen. Nur Zeit muß mau ihnen lassen. Jetzt zieht man ihrem
Bildungstriebe in brutalster Weise eine Schranke, jagt sie zurück nach Polen
oder Galizien, wo es ihrer ohnehin genug giebt. Was wollen sie dort? Mit
einander Geschäfte machen? Sie werden sich bedanken! Das ist allerdings,
wie Herr Liebknecht sagt, eine Barbarei. Allein wie kann er die Austreibung
der Hugenotten damit vergleichen! Der König von Frankreich jagte nnr seine
eignen Unterthanen aus dem Lande, wir vertreiben gar Fremde, die vertrauens¬
voll zu uns gekommen sind. Auf diese Art machen wir uns keine Freunde.
Und glaubt denn die Regierung wirklich, daß die Vertriebenen nicht wieder¬
kommen werden? Da kennt sie sie schlecht. Wozu also der ganze Lärm? Fiasko!

Mit dem Widerstande gegen die Erhöhung des Marine- und des Kriegs¬
budgets ist nichts gethan, es muß endlich kurz und gut gesagt werden, daß
wir weder Land- noch Seemacht haben wollen. Was es mit deu Kriegen auf
sich hat, haben wir soeben erfahren. Die Serben schlagen die Bulgaren, die
Bulgaren schlagen dafür die Serben — welchen Zweck hat das? Das Blut-


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[0501] Ungehaltene Reden eines Nichtgcwählten, gegeneilt, dann darf man nicht müde oder verdrossen werden, muß vielmehr sein ganzes Sprüchlein immer wieder hersagen. Fiasko ist ja alles, was der Kanzler jemals unternommen hat, und wenn die ganze Welt ihn rühmt und bewundert, wenn, so oft eine Wolke am europäischen Horizont aufsteigt, alles schreit: „Bismarck hilf!" — so wissen wir doch, daß dieser ganze Ruhm aus dem Reptilienfonds baar bezahlt wird. Und diese große Wahrheit muß täglich wiederholt werden. Endlich wird sie doch Glauben finden. Zu sagen, daß Kamerun ein elendes Sandloch sei, genügt nicht; man muß auch „klarstellen," weshalb andre Nationen dieses und andre Sandköcher gern besitzen würden. Das ist ganz einfach. In den andern Ländern gebricht es an Streusand, wovon wir bekanntlich genug haben, um alle in sämtlichen Zeitungs- redaktionen unnütz vergossene Tinte zu trocknen, sodaß wir nicht erst nach Afrika zu schicken brauchen. Da wird vom Schutze der heimischen Erzeugnisse gesprochen, und gleichzeitig ladet man unserm vaterläuderischeu Saude eine überlegne Kon¬ kurrenz auf den Hals. Fiasko! Und die ganze Kolonialpolitik, was hat sie genutzt? Sie besteht schon, wenn ich nicht irre, zwei Jahre lang, und noch immer ist kein Potosi entdeckt, nicht einmal die Ananas sind wohlfeiler geworden, sodaß mancher edle Bürger noch seine Bowle mit Sellerie ansetzen muß. Fiasko! Dann die Ausweisungen. Ich kann aus bester Quelle versichern, daß jeder Polnische Jude, der nichts als seinen Kaftan mit über unsre Grenze bringt, den festen Willen hat, so bald als möglich reich zu werdeu und sich in Berlin einige Häuser zu bauen. Er nud seine Nachkommen werden zwar immer Polnische Juden bleiben, aber sich mit der Zeit eine solche Fertigkeit im Ge¬ brauche der deutschen Sprache aneignen, daß sie das „Ich geb', ich neben'" ohne Anstoß, wenn auch nicht ohne fremden Accent, so gut an der Börse wie in der Presse hersagen. Nur Zeit muß mau ihnen lassen. Jetzt zieht man ihrem Bildungstriebe in brutalster Weise eine Schranke, jagt sie zurück nach Polen oder Galizien, wo es ihrer ohnehin genug giebt. Was wollen sie dort? Mit einander Geschäfte machen? Sie werden sich bedanken! Das ist allerdings, wie Herr Liebknecht sagt, eine Barbarei. Allein wie kann er die Austreibung der Hugenotten damit vergleichen! Der König von Frankreich jagte nnr seine eignen Unterthanen aus dem Lande, wir vertreiben gar Fremde, die vertrauens¬ voll zu uns gekommen sind. Auf diese Art machen wir uns keine Freunde. Und glaubt denn die Regierung wirklich, daß die Vertriebenen nicht wieder¬ kommen werden? Da kennt sie sie schlecht. Wozu also der ganze Lärm? Fiasko! Mit dem Widerstande gegen die Erhöhung des Marine- und des Kriegs¬ budgets ist nichts gethan, es muß endlich kurz und gut gesagt werden, daß wir weder Land- noch Seemacht haben wollen. Was es mit deu Kriegen auf sich hat, haben wir soeben erfahren. Die Serben schlagen die Bulgaren, die Bulgaren schlagen dafür die Serben — welchen Zweck hat das? Das Blut-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/501>, abgerufen am 15.01.2025.