Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die dramatische,Aunsi G. v. Wildenbruchs.

auch angewandt wird, wie prächtig auch das Gewand ist, das, gewoben aus
glänzender Diktion und tönenden Sentenzen, ihm um die Schulter gehängt wird,
so scheint doch die Steifheit und Ungeradheit dnrch und läßt uns nicht zum
Glauben gelangen. Auch seine Thaten vermögen diesen Mangel nicht zu ver¬
denke". Mit so vielem Eifer und edelm Feuer er sich auch für deu jungen
Jngersleben verwendet, der gerade seinem Eingreifen Leben und Ehre verdankt,
so hat dies alles doch nicht den richtigen Wert, weil eine Sühne Hütte voraus¬
gehen müssen, und wenn sie auch nur in späterer richtiger Erkenntnis und Neue
bestanden hätte. Noch eins. Am Ende des vierten Aktes verlangt das Volk
mit Recht die Bestrafung der Verräter, nicht bloß des Vaters, sondern auch
des Sohnes. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, wie Wildenbruch dem ge¬
retteten Jngersleben das Recht einräume" kann, nun seinerseits auch die Rolle
des Retters zu spielen und die Aburteilung Heinrichs, wenn auch nicht durch
das leidenschaftliche Volk, sondern durch die zustündigen Richter, hintanzuhalten.
Bei diesem konnte er ein Fürsprecher sein, aber die Quelle der Gnade ist er
nicht, diese quillt an einem höhern Orte. Überhaupt geht es hier zu, als ob es
einen König von Preußen garnicht gäbe.

Der Sohn des Dorfschullehrcrs Valentin Bergmann stirbt an einer in der
Schlacht bei Großbeeren erhaltenen Wunde. Es ist schwer, das Richtige über
diesen Tod zu sagen. Soll nnr die schuldvolle That des zweiten Altes Geltung
haben, so wäre derselbe nach dem Begriffe des Tragischen nur dann als poetisch
berechtigt anzusehen, wenn er sich als der Abschluß einer innern Wandlung dar¬
stellte, welche in der Erkenntnis des gethanen schweren Fehltrittes das Leben
nicht mehr für lebenswert hielte. Wenn aber die Gutthaten der letzten Akte
maßgebend sein sollen, so ist sein Untergang mindestens nicht notwendig. Warum
soll er, der in der Dichtung nicht bloß nicht schuldig erscheint, sondern Ver¬
dienste aufweisen kann, die schöne Zukunft nicht erleben, der das befreite Vater¬
land entgegengeht? Mau sieht, wie der Dichter hier durch eigne Schuld in
einem Dilemma steckt, aus dem er uach keiner Richtung hin entkommen kann.

Und somit wären wir denn am Ende. Freilich sind auch uoch die andern
Personen des Stückes übrig, aber sie nehmen so geringes Interesse in Anspruch,
daß da mit wenig Worten genug gethan ist. Obenan unter ihnen steht die
Frau von Jngersleben, eine durchweg sympathische, charaktervolle und mutvollc
Erscheinung, die im Drange der Zeit den klaren, ruhigen Blick nicht verliert
und mit Eifer und Wärme ihrem Gatten Halt zu geben bemüht ist. Weniger
als sie tritt ihre Nichte Adelheid hervor. Sie greift kaum selbständig in die
Handlung ein und erweckt nur dadurch unsre Teilnahme, daß ihr Schicksal mit
dem des jungen Jngersleben, dessen Braut sie ist, aufs engste verknüpft wird.
Schließlich kann man von den auftretenden französischen und preußischen Offi¬
zieren füglich nichts andres sagen, als daß sie reden und handeln, wie sich nach
Lage der Dinge von ihnen erwarten läßt.


Die dramatische,Aunsi G. v. Wildenbruchs.

auch angewandt wird, wie prächtig auch das Gewand ist, das, gewoben aus
glänzender Diktion und tönenden Sentenzen, ihm um die Schulter gehängt wird,
so scheint doch die Steifheit und Ungeradheit dnrch und läßt uns nicht zum
Glauben gelangen. Auch seine Thaten vermögen diesen Mangel nicht zu ver¬
denke». Mit so vielem Eifer und edelm Feuer er sich auch für deu jungen
Jngersleben verwendet, der gerade seinem Eingreifen Leben und Ehre verdankt,
so hat dies alles doch nicht den richtigen Wert, weil eine Sühne Hütte voraus¬
gehen müssen, und wenn sie auch nur in späterer richtiger Erkenntnis und Neue
bestanden hätte. Noch eins. Am Ende des vierten Aktes verlangt das Volk
mit Recht die Bestrafung der Verräter, nicht bloß des Vaters, sondern auch
des Sohnes. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, wie Wildenbruch dem ge¬
retteten Jngersleben das Recht einräume» kann, nun seinerseits auch die Rolle
des Retters zu spielen und die Aburteilung Heinrichs, wenn auch nicht durch
das leidenschaftliche Volk, sondern durch die zustündigen Richter, hintanzuhalten.
Bei diesem konnte er ein Fürsprecher sein, aber die Quelle der Gnade ist er
nicht, diese quillt an einem höhern Orte. Überhaupt geht es hier zu, als ob es
einen König von Preußen garnicht gäbe.

Der Sohn des Dorfschullehrcrs Valentin Bergmann stirbt an einer in der
Schlacht bei Großbeeren erhaltenen Wunde. Es ist schwer, das Richtige über
diesen Tod zu sagen. Soll nnr die schuldvolle That des zweiten Altes Geltung
haben, so wäre derselbe nach dem Begriffe des Tragischen nur dann als poetisch
berechtigt anzusehen, wenn er sich als der Abschluß einer innern Wandlung dar¬
stellte, welche in der Erkenntnis des gethanen schweren Fehltrittes das Leben
nicht mehr für lebenswert hielte. Wenn aber die Gutthaten der letzten Akte
maßgebend sein sollen, so ist sein Untergang mindestens nicht notwendig. Warum
soll er, der in der Dichtung nicht bloß nicht schuldig erscheint, sondern Ver¬
dienste aufweisen kann, die schöne Zukunft nicht erleben, der das befreite Vater¬
land entgegengeht? Mau sieht, wie der Dichter hier durch eigne Schuld in
einem Dilemma steckt, aus dem er uach keiner Richtung hin entkommen kann.

Und somit wären wir denn am Ende. Freilich sind auch uoch die andern
Personen des Stückes übrig, aber sie nehmen so geringes Interesse in Anspruch,
daß da mit wenig Worten genug gethan ist. Obenan unter ihnen steht die
Frau von Jngersleben, eine durchweg sympathische, charaktervolle und mutvollc
Erscheinung, die im Drange der Zeit den klaren, ruhigen Blick nicht verliert
und mit Eifer und Wärme ihrem Gatten Halt zu geben bemüht ist. Weniger
als sie tritt ihre Nichte Adelheid hervor. Sie greift kaum selbständig in die
Handlung ein und erweckt nur dadurch unsre Teilnahme, daß ihr Schicksal mit
dem des jungen Jngersleben, dessen Braut sie ist, aufs engste verknüpft wird.
Schließlich kann man von den auftretenden französischen und preußischen Offi¬
zieren füglich nichts andres sagen, als daß sie reden und handeln, wie sich nach
Lage der Dinge von ihnen erwarten läßt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197225"/>
          <fw type="header" place="top"> Die dramatische,Aunsi G. v. Wildenbruchs.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1568" prev="#ID_1567"> auch angewandt wird, wie prächtig auch das Gewand ist, das, gewoben aus<lb/>
glänzender Diktion und tönenden Sentenzen, ihm um die Schulter gehängt wird,<lb/>
so scheint doch die Steifheit und Ungeradheit dnrch und läßt uns nicht zum<lb/>
Glauben gelangen. Auch seine Thaten vermögen diesen Mangel nicht zu ver¬<lb/>
denke». Mit so vielem Eifer und edelm Feuer er sich auch für deu jungen<lb/>
Jngersleben verwendet, der gerade seinem Eingreifen Leben und Ehre verdankt,<lb/>
so hat dies alles doch nicht den richtigen Wert, weil eine Sühne Hütte voraus¬<lb/>
gehen müssen, und wenn sie auch nur in späterer richtiger Erkenntnis und Neue<lb/>
bestanden hätte. Noch eins. Am Ende des vierten Aktes verlangt das Volk<lb/>
mit Recht die Bestrafung der Verräter, nicht bloß des Vaters, sondern auch<lb/>
des Sohnes. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, wie Wildenbruch dem ge¬<lb/>
retteten Jngersleben das Recht einräume» kann, nun seinerseits auch die Rolle<lb/>
des Retters zu spielen und die Aburteilung Heinrichs, wenn auch nicht durch<lb/>
das leidenschaftliche Volk, sondern durch die zustündigen Richter, hintanzuhalten.<lb/>
Bei diesem konnte er ein Fürsprecher sein, aber die Quelle der Gnade ist er<lb/>
nicht, diese quillt an einem höhern Orte. Überhaupt geht es hier zu, als ob es<lb/>
einen König von Preußen garnicht gäbe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1569"> Der Sohn des Dorfschullehrcrs Valentin Bergmann stirbt an einer in der<lb/>
Schlacht bei Großbeeren erhaltenen Wunde. Es ist schwer, das Richtige über<lb/>
diesen Tod zu sagen. Soll nnr die schuldvolle That des zweiten Altes Geltung<lb/>
haben, so wäre derselbe nach dem Begriffe des Tragischen nur dann als poetisch<lb/>
berechtigt anzusehen, wenn er sich als der Abschluß einer innern Wandlung dar¬<lb/>
stellte, welche in der Erkenntnis des gethanen schweren Fehltrittes das Leben<lb/>
nicht mehr für lebenswert hielte. Wenn aber die Gutthaten der letzten Akte<lb/>
maßgebend sein sollen, so ist sein Untergang mindestens nicht notwendig. Warum<lb/>
soll er, der in der Dichtung nicht bloß nicht schuldig erscheint, sondern Ver¬<lb/>
dienste aufweisen kann, die schöne Zukunft nicht erleben, der das befreite Vater¬<lb/>
land entgegengeht? Mau sieht, wie der Dichter hier durch eigne Schuld in<lb/>
einem Dilemma steckt, aus dem er uach keiner Richtung hin entkommen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1570"> Und somit wären wir denn am Ende. Freilich sind auch uoch die andern<lb/>
Personen des Stückes übrig, aber sie nehmen so geringes Interesse in Anspruch,<lb/>
daß da mit wenig Worten genug gethan ist. Obenan unter ihnen steht die<lb/>
Frau von Jngersleben, eine durchweg sympathische, charaktervolle und mutvollc<lb/>
Erscheinung, die im Drange der Zeit den klaren, ruhigen Blick nicht verliert<lb/>
und mit Eifer und Wärme ihrem Gatten Halt zu geben bemüht ist. Weniger<lb/>
als sie tritt ihre Nichte Adelheid hervor. Sie greift kaum selbständig in die<lb/>
Handlung ein und erweckt nur dadurch unsre Teilnahme, daß ihr Schicksal mit<lb/>
dem des jungen Jngersleben, dessen Braut sie ist, aufs engste verknüpft wird.<lb/>
Schließlich kann man von den auftretenden französischen und preußischen Offi¬<lb/>
zieren füglich nichts andres sagen, als daß sie reden und handeln, wie sich nach<lb/>
Lage der Dinge von ihnen erwarten läßt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0491] Die dramatische,Aunsi G. v. Wildenbruchs. auch angewandt wird, wie prächtig auch das Gewand ist, das, gewoben aus glänzender Diktion und tönenden Sentenzen, ihm um die Schulter gehängt wird, so scheint doch die Steifheit und Ungeradheit dnrch und läßt uns nicht zum Glauben gelangen. Auch seine Thaten vermögen diesen Mangel nicht zu ver¬ denke». Mit so vielem Eifer und edelm Feuer er sich auch für deu jungen Jngersleben verwendet, der gerade seinem Eingreifen Leben und Ehre verdankt, so hat dies alles doch nicht den richtigen Wert, weil eine Sühne Hütte voraus¬ gehen müssen, und wenn sie auch nur in späterer richtiger Erkenntnis und Neue bestanden hätte. Noch eins. Am Ende des vierten Aktes verlangt das Volk mit Recht die Bestrafung der Verräter, nicht bloß des Vaters, sondern auch des Sohnes. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, wie Wildenbruch dem ge¬ retteten Jngersleben das Recht einräume» kann, nun seinerseits auch die Rolle des Retters zu spielen und die Aburteilung Heinrichs, wenn auch nicht durch das leidenschaftliche Volk, sondern durch die zustündigen Richter, hintanzuhalten. Bei diesem konnte er ein Fürsprecher sein, aber die Quelle der Gnade ist er nicht, diese quillt an einem höhern Orte. Überhaupt geht es hier zu, als ob es einen König von Preußen garnicht gäbe. Der Sohn des Dorfschullehrcrs Valentin Bergmann stirbt an einer in der Schlacht bei Großbeeren erhaltenen Wunde. Es ist schwer, das Richtige über diesen Tod zu sagen. Soll nnr die schuldvolle That des zweiten Altes Geltung haben, so wäre derselbe nach dem Begriffe des Tragischen nur dann als poetisch berechtigt anzusehen, wenn er sich als der Abschluß einer innern Wandlung dar¬ stellte, welche in der Erkenntnis des gethanen schweren Fehltrittes das Leben nicht mehr für lebenswert hielte. Wenn aber die Gutthaten der letzten Akte maßgebend sein sollen, so ist sein Untergang mindestens nicht notwendig. Warum soll er, der in der Dichtung nicht bloß nicht schuldig erscheint, sondern Ver¬ dienste aufweisen kann, die schöne Zukunft nicht erleben, der das befreite Vater¬ land entgegengeht? Mau sieht, wie der Dichter hier durch eigne Schuld in einem Dilemma steckt, aus dem er uach keiner Richtung hin entkommen kann. Und somit wären wir denn am Ende. Freilich sind auch uoch die andern Personen des Stückes übrig, aber sie nehmen so geringes Interesse in Anspruch, daß da mit wenig Worten genug gethan ist. Obenan unter ihnen steht die Frau von Jngersleben, eine durchweg sympathische, charaktervolle und mutvollc Erscheinung, die im Drange der Zeit den klaren, ruhigen Blick nicht verliert und mit Eifer und Wärme ihrem Gatten Halt zu geben bemüht ist. Weniger als sie tritt ihre Nichte Adelheid hervor. Sie greift kaum selbständig in die Handlung ein und erweckt nur dadurch unsre Teilnahme, daß ihr Schicksal mit dem des jungen Jngersleben, dessen Braut sie ist, aufs engste verknüpft wird. Schließlich kann man von den auftretenden französischen und preußischen Offi¬ zieren füglich nichts andres sagen, als daß sie reden und handeln, wie sich nach Lage der Dinge von ihnen erwarten läßt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/491
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/491>, abgerufen am 15.01.2025.