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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die dramatische Kunst L. v. Wildenbruchs.

Wieder auftritt, stellt der Dichter ihn ohne weiteres auf die Seite der Patrioten,
mit ihnen ist er bereit, Gut und Blut für das Vaterland, das sich eben zum
Freiheitskämpfe erhoben hat, zu lassen. Seine Vergangenheit scheint er ganz
vergessen zu haben. Er hat in der Zwischenzeit auf Kosten der Franzosen
studirt, er hat davon keine Ahnung, trotzdem daß ihm die Armut seines Vaters
genau bekannt ist. Ist es die Meinung des Dichters, daß wir den Sohn für so naiv
halten sollen, daß er während der ganzen Zeit, da er selbst den Schlüssel des
Geheimnisses nicht finden kann, nicht auf den Gedanken gekommen sei, sich beim
Vater über den Zusammenhang der Dinge zu erkundigen? Jetzt, wo der französische
General Gautier, dem er einst die Festung Küstrin in die Hände gespielt hat,
ihn zu sich hat bescheiden lassen, wundert er sich über die gefällige Bereit¬
willigkeit, mit der man ihm französischerseits begegnet. Ist er denn allein in
der damaligen Welt der handgreiflichsten Realitäten ein solcher Wvlkenwandler,
daß er nicht weiß, daß große Ursachen große Wirkungen haben und daß auch
diese wieder die Gründe zu weitern Folgen sind? In einer Unterredung, die
er dann mit seinem Vater hat, stellt es sich wirklich heraus, daß er der Meinung
ist, die Auslieferung der Festung sei bloß ein Racheakt gegen die Jngerslcbcn
gewesen. Aber wenn ihm schon damals in einem jüngern Alter die Einsicht in
die Tragweite seiner Handlungen fehlte, wurde sie später nicht ans der Universität
im Zusammenleben mit edeln, vaterlandsliebenden Jünglingen geweckt? Ging
ihm da nicht die Erkenntnis auf, daß er kein Recht habe, mit seinem schnld-
bcladncn Gewissen sich neben die Reinen und schuldlosen zu stellen? Es ist
leicht ersichtlich, wie Wildenbruch hier eine psychologische Unmöglichkeit geschaffen
hat. Doch man sehe von allem andern ab und stelle bloß nebeneinander, was
er den Jüngling im zweiten, und was im dritten Akte sagen läßt. Wie kann
der, welcher dort den Schwur leistet:


Und wie ich dieses Glas in Scherben Schackern,
So warf' ich euch zertrümmert vor die Fuße
Dies meines Herzens heiliges Gefühl,
Das Ihr durch Zwang entweihtet --

----Haß und Rache,

Das sei die Lösung zwischen nur und euch! --


hier seinem Vater antworten?


Eid gegen Eid! Des Mannes ganzes Leben
Ist stummer Treueschwur dem Vaterland.

Das ist eine Inkonsequenz in der Durchführung eines Charakters, der uner¬
klärlich wäre, wenn man nicht sonst wüßte, welche Rolle die Effekthascherei in
den Stücken Wildeubruchs spielt. Hier macht Wildenbruch einen Fehler, der
dnrch nichts wieder gut zu machen ist. Der Dichter schlüge selbst das Kind
seiner Phantasie zum Krüppel, und nun soll es hinterdrein doch für gerade ge¬
wachsen gelten. Aber wir lassen uns nicht täuschen, und so viel Heilgymnastik


Die dramatische Kunst L. v. Wildenbruchs.

Wieder auftritt, stellt der Dichter ihn ohne weiteres auf die Seite der Patrioten,
mit ihnen ist er bereit, Gut und Blut für das Vaterland, das sich eben zum
Freiheitskämpfe erhoben hat, zu lassen. Seine Vergangenheit scheint er ganz
vergessen zu haben. Er hat in der Zwischenzeit auf Kosten der Franzosen
studirt, er hat davon keine Ahnung, trotzdem daß ihm die Armut seines Vaters
genau bekannt ist. Ist es die Meinung des Dichters, daß wir den Sohn für so naiv
halten sollen, daß er während der ganzen Zeit, da er selbst den Schlüssel des
Geheimnisses nicht finden kann, nicht auf den Gedanken gekommen sei, sich beim
Vater über den Zusammenhang der Dinge zu erkundigen? Jetzt, wo der französische
General Gautier, dem er einst die Festung Küstrin in die Hände gespielt hat,
ihn zu sich hat bescheiden lassen, wundert er sich über die gefällige Bereit¬
willigkeit, mit der man ihm französischerseits begegnet. Ist er denn allein in
der damaligen Welt der handgreiflichsten Realitäten ein solcher Wvlkenwandler,
daß er nicht weiß, daß große Ursachen große Wirkungen haben und daß auch
diese wieder die Gründe zu weitern Folgen sind? In einer Unterredung, die
er dann mit seinem Vater hat, stellt es sich wirklich heraus, daß er der Meinung
ist, die Auslieferung der Festung sei bloß ein Racheakt gegen die Jngerslcbcn
gewesen. Aber wenn ihm schon damals in einem jüngern Alter die Einsicht in
die Tragweite seiner Handlungen fehlte, wurde sie später nicht ans der Universität
im Zusammenleben mit edeln, vaterlandsliebenden Jünglingen geweckt? Ging
ihm da nicht die Erkenntnis auf, daß er kein Recht habe, mit seinem schnld-
bcladncn Gewissen sich neben die Reinen und schuldlosen zu stellen? Es ist
leicht ersichtlich, wie Wildenbruch hier eine psychologische Unmöglichkeit geschaffen
hat. Doch man sehe von allem andern ab und stelle bloß nebeneinander, was
er den Jüngling im zweiten, und was im dritten Akte sagen läßt. Wie kann
der, welcher dort den Schwur leistet:


Und wie ich dieses Glas in Scherben Schackern,
So warf' ich euch zertrümmert vor die Fuße
Dies meines Herzens heiliges Gefühl,
Das Ihr durch Zwang entweihtet —

----Haß und Rache,

Das sei die Lösung zwischen nur und euch! —


hier seinem Vater antworten?


Eid gegen Eid! Des Mannes ganzes Leben
Ist stummer Treueschwur dem Vaterland.

Das ist eine Inkonsequenz in der Durchführung eines Charakters, der uner¬
klärlich wäre, wenn man nicht sonst wüßte, welche Rolle die Effekthascherei in
den Stücken Wildeubruchs spielt. Hier macht Wildenbruch einen Fehler, der
dnrch nichts wieder gut zu machen ist. Der Dichter schlüge selbst das Kind
seiner Phantasie zum Krüppel, und nun soll es hinterdrein doch für gerade ge¬
wachsen gelten. Aber wir lassen uns nicht täuschen, und so viel Heilgymnastik


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/490>, abgerufen am 15.01.2025.