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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die dramatische Kunst G. v. Mldenbrnchs.

damit nicht recht gehabt hat, wenn er glaubte, die gemeinsame ernste und ge¬
wissenhafte Arbeit aller deutschen Dichter an einer Nationalbühne werde auch
die Nation herstellen, so ist doch das außer allem Zweifel, daß, wenn diese
zuerst geschaffen ist, eine vaterländische Bühne nicht minder als jeder andre
Faktor im öffentlichen Leben dazu angethan wäre, die moralischen Kräfte im
Volke zu heben. Sind es aber diese im letzten Grunde, welche einer Nation
in ihrem natürlichen Gegensatze zu andern Völkern den allein ausreichenden Halt
geben, so ist es nicht zu verkennen, daß jedes Schauspiel, welches sich die Auf¬
gabe gestellt hat, den Wert nationalen Lebens und Strebens vor Augen zu
bringen, den Anspruch auf vorzugsweise zu übende Berücksichtigung erheben
darf. Es kommt hinzu, daß der Inhalt der genannten Dramen aus der Zeit
der Freiheitskriege, oder der dieser unmittelbar vorhergehenden, also einer Zeit
entnommen ist, die erstens in nationalen Motiven vorzugsweise ergiebig ist und
zweitens auch in Bezug auf die Zeit beträchtliche Vorteile bietet.

Denn es ist durchaus nicht gleichgültig, in welche Zeit eine Handlung gelegt
wird. Natürlich ist hier nur von historischen Stoffen die Rede. Wie die künst¬
lerische Absicht eines Dichters gerade daran scheitern kann, daß er in eine zu
weite Vergangenheit hineingreift, kann man an einigen der ägyptischen Romane
von Ebers sehen. Die Schwierigkeit, die Menschen jenes Landes aus so ferner
Zeit dem Leser nahe zu bringen, wird nicht dadurch gelöst, daß mau sie bloß
in die äußere Umgebung von damals stellt, im übrigen aber sie mit modernen
Empfindungen anfüllt. Auch Jordan in seinen Nibelungen kann poetisch nur
verlieren, wenn er im Unterschiede vom alten Nibelungenliede die Handlungen
seiner Helden durch Motive bestimmt, die unsrer Gegenwart geläufig sind. Noch
gefährlicher kauu einem Dichter seine eigne Zeit werden. Gilt es allerdings
bloß, das ewig wiederholte Thema von: menschlichen Herzen zu variiren, so mag
die Gegenwart so gut sein wie jede andre hinter uns liegende Zeit, den nötigen
Vorrat herbeizuschaffen. Doch sind es solche Vorgänge, die in sich die Be¬
stimmung tragen, dermaleinst der Geschichte anzugehören, so sollte er doch das
ihm zu gehste stehende Material auch uach dieser Richtung hin aufs sorg¬
fältigste prüfen. Was hat von den vielen Werken dieses Genres selbst der an¬
erkannt bessern Schriftsteller bleibenden Wert? Man kann die Romane, welche
man noch in spätern Jahrzehnten lesen wird, an den Fingern herzählen, und
von diesen dürften die Mehrzahl diejenigen sein, welche sich mit den Ereignissen
einer noch nicht unserm Gesichtskreise entrückten Vergangenheit beschäftigen. Es
kann das nicht anders sein. Der Schriftsteller ist selbst das Kind seiner Zeit,
steht mitten in ihrem Fluten und Drängen. Er will die durch- und gegen-
einander treibenden Kräfte nach Wert und Gewicht abschätzen und in das richtige
Verhältnis unter sich bringen, aber wie kann er das, da er selbst jeden Augen¬
blick ihrem sich aufdrängenden Einflüsse preisgegeben ist? Oder wenn er starken
Geistes dieses Andringen ans ein geringstes Maß zurückführen kann, wie wird


Die dramatische Kunst G. v. Mldenbrnchs.

damit nicht recht gehabt hat, wenn er glaubte, die gemeinsame ernste und ge¬
wissenhafte Arbeit aller deutschen Dichter an einer Nationalbühne werde auch
die Nation herstellen, so ist doch das außer allem Zweifel, daß, wenn diese
zuerst geschaffen ist, eine vaterländische Bühne nicht minder als jeder andre
Faktor im öffentlichen Leben dazu angethan wäre, die moralischen Kräfte im
Volke zu heben. Sind es aber diese im letzten Grunde, welche einer Nation
in ihrem natürlichen Gegensatze zu andern Völkern den allein ausreichenden Halt
geben, so ist es nicht zu verkennen, daß jedes Schauspiel, welches sich die Auf¬
gabe gestellt hat, den Wert nationalen Lebens und Strebens vor Augen zu
bringen, den Anspruch auf vorzugsweise zu übende Berücksichtigung erheben
darf. Es kommt hinzu, daß der Inhalt der genannten Dramen aus der Zeit
der Freiheitskriege, oder der dieser unmittelbar vorhergehenden, also einer Zeit
entnommen ist, die erstens in nationalen Motiven vorzugsweise ergiebig ist und
zweitens auch in Bezug auf die Zeit beträchtliche Vorteile bietet.

Denn es ist durchaus nicht gleichgültig, in welche Zeit eine Handlung gelegt
wird. Natürlich ist hier nur von historischen Stoffen die Rede. Wie die künst¬
lerische Absicht eines Dichters gerade daran scheitern kann, daß er in eine zu
weite Vergangenheit hineingreift, kann man an einigen der ägyptischen Romane
von Ebers sehen. Die Schwierigkeit, die Menschen jenes Landes aus so ferner
Zeit dem Leser nahe zu bringen, wird nicht dadurch gelöst, daß mau sie bloß
in die äußere Umgebung von damals stellt, im übrigen aber sie mit modernen
Empfindungen anfüllt. Auch Jordan in seinen Nibelungen kann poetisch nur
verlieren, wenn er im Unterschiede vom alten Nibelungenliede die Handlungen
seiner Helden durch Motive bestimmt, die unsrer Gegenwart geläufig sind. Noch
gefährlicher kauu einem Dichter seine eigne Zeit werden. Gilt es allerdings
bloß, das ewig wiederholte Thema von: menschlichen Herzen zu variiren, so mag
die Gegenwart so gut sein wie jede andre hinter uns liegende Zeit, den nötigen
Vorrat herbeizuschaffen. Doch sind es solche Vorgänge, die in sich die Be¬
stimmung tragen, dermaleinst der Geschichte anzugehören, so sollte er doch das
ihm zu gehste stehende Material auch uach dieser Richtung hin aufs sorg¬
fältigste prüfen. Was hat von den vielen Werken dieses Genres selbst der an¬
erkannt bessern Schriftsteller bleibenden Wert? Man kann die Romane, welche
man noch in spätern Jahrzehnten lesen wird, an den Fingern herzählen, und
von diesen dürften die Mehrzahl diejenigen sein, welche sich mit den Ereignissen
einer noch nicht unserm Gesichtskreise entrückten Vergangenheit beschäftigen. Es
kann das nicht anders sein. Der Schriftsteller ist selbst das Kind seiner Zeit,
steht mitten in ihrem Fluten und Drängen. Er will die durch- und gegen-
einander treibenden Kräfte nach Wert und Gewicht abschätzen und in das richtige
Verhältnis unter sich bringen, aber wie kann er das, da er selbst jeden Augen¬
blick ihrem sich aufdrängenden Einflüsse preisgegeben ist? Oder wenn er starken
Geistes dieses Andringen ans ein geringstes Maß zurückführen kann, wie wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/480>, abgerufen am 15.01.2025.