Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Uulturärzte. Barbarei anzuführen! Ich habe Ärzte ihren Patienten und deren Angehörigen Bei einem Stande, der seine Jünger so augenfällig der Gefahr der Ge- Uulturärzte. Barbarei anzuführen! Ich habe Ärzte ihren Patienten und deren Angehörigen Bei einem Stande, der seine Jünger so augenfällig der Gefahr der Ge- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196782"/> <fw type="header" place="top"> Uulturärzte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_115" prev="#ID_114"> Barbarei anzuführen! Ich habe Ärzte ihren Patienten und deren Angehörigen<lb/> tötliche Krankheiten auf den Kopf zudiktiren hören mit einer Ruhe, als wünschten<lb/> sie ihnen einen guten Tag. Ich weiß nicht, ob das seltene Ausnahmen sind,<lb/> denn es kommt vielen schon wie selbstverständlich vor.</p><lb/> <p xml:id="ID_116" next="#ID_117"> Bei einem Stande, der seine Jünger so augenfällig der Gefahr der Ge-<lb/> mütsverrohung aussetzt, müßte der Konnex mit den feinern humanen Bestre¬<lb/> bungen des Geistes umsomehr gesucht, ja, falls keine Neigung vorhanden wäre,<lb/> förmlich geübt werden. Von altersher liegt das Amusische in der ärztlichen<lb/> Kaste. Schon der Vater unsrer modernen Dichtkunst, der erste moderne Mensch,<lb/> wie man ihn genannt hat, Petrarca, mußte seine Göttin gegen die Angriffe<lb/> eines Arztes schützen. (Inveotivaruru voutriZ, niöäieum qusuäÄnr libri IV.)<lb/> Den Arzt Claude Perrault, der mit seinem Bruder Charles in Verachtung der<lb/> großen Alten wetteiferte, hat Boileaus Satire unsterblich gemacht. Heutzutage<lb/> sind die Ärzte zu zählen, die den Homer nicht für eine tabls vonvsnus erklären.<lb/> Wo aber findet sich bei uns der Satiriker, der Komöde, der sie an den Pranger<lb/> stellt? O es giebt ihrer, die einer vielleicht gerade deshalb so segensreichen<lb/> Praxis noch ein Stündchen für ihren Goethe abzustehlen imstande sind, ja die<lb/> sich selbst für den innigen Zauber eines Eichendorff noch ein Organ bewahrt<lb/> haben, und ich drücke ihnen im Stillen die Hand. Sind sie uns doch Zeugen,<lb/> daß es anders sein könnte, daß es einmal anders gewesen ist. Ein schöngeistiger<lb/> Arzt — es kommt mir vor, als ob dies Epitheton wieder sehr im Preise zu<lb/> steigen verdiente — involvirt nicht immer einen Stümper. Von Harvey er¬<lb/> innere ich mich gelesen zu haben, daß er den Virgil bis zur Schwärmerei ver¬<lb/> ehrte, die großen holländischen Ärzte waren zum Teil tüchtige Philologen.<lb/> Jedermann weiß oder sollte es wissen, welche Bedeutung der gewaltige Name<lb/> Albrecht von Hallers für unsre Literaturgeschichte hat; im vorigen Jahrhundert<lb/> überhaupt stellte der ärztliche Stand ein so großes Kontingent zur schönen Li¬<lb/> teratur, wie etwa heutzutage der juristische. Daß aber deshalb die Sterblich¬<lb/> keit damals eine höhere gewesen sei, darüber liegen keine Nachrichten vor. Werden<lb/> doch die positiven Kräfte des Arztes (nicht des Hygieinikers) in dieser Beziehung<lb/> gerade heute mehr als je bestritten. Sie müßten denn in jenem bedenklichen Sinne<lb/> gefaßt werden, in dem die unzähligen Epigramme sie nehmen, mit welchen bos¬<lb/> hafte Poeten aller Zeiten und Völker ihre instinktiv erkannten Widersacher über¬<lb/> schütten. Der lebensgefährliche Arzt ist zu unsern wie zu Olims Zeiten die<lb/> Zielscheibe des Witzes jeder Art von fliegenden Blättern. Gerade der Tüchtigste<lb/> pflegt sich bescheiden nur einen Therapeuten und Diagnostiker zu nennen und<lb/> begnügt sich, treulich auf Mutter Natur zu achten und ihrer Spur zu folgen.<lb/> Die Doktor Eisenbarts sind immer verdächtig. Und doch sind sie es gerade, aus<lb/> denen sich zumeist der allverbreitete, überzahlreiche Orden moderner Cyniker zu¬<lb/> sammensetzt, dem wir es innigst wünschen, daß er einmal gründlich zur Ord¬<lb/> nung gerufen würde. Auf das Interesse, das namentlich das weibliche Geschlecht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
Uulturärzte.
Barbarei anzuführen! Ich habe Ärzte ihren Patienten und deren Angehörigen
tötliche Krankheiten auf den Kopf zudiktiren hören mit einer Ruhe, als wünschten
sie ihnen einen guten Tag. Ich weiß nicht, ob das seltene Ausnahmen sind,
denn es kommt vielen schon wie selbstverständlich vor.
Bei einem Stande, der seine Jünger so augenfällig der Gefahr der Ge-
mütsverrohung aussetzt, müßte der Konnex mit den feinern humanen Bestre¬
bungen des Geistes umsomehr gesucht, ja, falls keine Neigung vorhanden wäre,
förmlich geübt werden. Von altersher liegt das Amusische in der ärztlichen
Kaste. Schon der Vater unsrer modernen Dichtkunst, der erste moderne Mensch,
wie man ihn genannt hat, Petrarca, mußte seine Göttin gegen die Angriffe
eines Arztes schützen. (Inveotivaruru voutriZ, niöäieum qusuäÄnr libri IV.)
Den Arzt Claude Perrault, der mit seinem Bruder Charles in Verachtung der
großen Alten wetteiferte, hat Boileaus Satire unsterblich gemacht. Heutzutage
sind die Ärzte zu zählen, die den Homer nicht für eine tabls vonvsnus erklären.
Wo aber findet sich bei uns der Satiriker, der Komöde, der sie an den Pranger
stellt? O es giebt ihrer, die einer vielleicht gerade deshalb so segensreichen
Praxis noch ein Stündchen für ihren Goethe abzustehlen imstande sind, ja die
sich selbst für den innigen Zauber eines Eichendorff noch ein Organ bewahrt
haben, und ich drücke ihnen im Stillen die Hand. Sind sie uns doch Zeugen,
daß es anders sein könnte, daß es einmal anders gewesen ist. Ein schöngeistiger
Arzt — es kommt mir vor, als ob dies Epitheton wieder sehr im Preise zu
steigen verdiente — involvirt nicht immer einen Stümper. Von Harvey er¬
innere ich mich gelesen zu haben, daß er den Virgil bis zur Schwärmerei ver¬
ehrte, die großen holländischen Ärzte waren zum Teil tüchtige Philologen.
Jedermann weiß oder sollte es wissen, welche Bedeutung der gewaltige Name
Albrecht von Hallers für unsre Literaturgeschichte hat; im vorigen Jahrhundert
überhaupt stellte der ärztliche Stand ein so großes Kontingent zur schönen Li¬
teratur, wie etwa heutzutage der juristische. Daß aber deshalb die Sterblich¬
keit damals eine höhere gewesen sei, darüber liegen keine Nachrichten vor. Werden
doch die positiven Kräfte des Arztes (nicht des Hygieinikers) in dieser Beziehung
gerade heute mehr als je bestritten. Sie müßten denn in jenem bedenklichen Sinne
gefaßt werden, in dem die unzähligen Epigramme sie nehmen, mit welchen bos¬
hafte Poeten aller Zeiten und Völker ihre instinktiv erkannten Widersacher über¬
schütten. Der lebensgefährliche Arzt ist zu unsern wie zu Olims Zeiten die
Zielscheibe des Witzes jeder Art von fliegenden Blättern. Gerade der Tüchtigste
pflegt sich bescheiden nur einen Therapeuten und Diagnostiker zu nennen und
begnügt sich, treulich auf Mutter Natur zu achten und ihrer Spur zu folgen.
Die Doktor Eisenbarts sind immer verdächtig. Und doch sind sie es gerade, aus
denen sich zumeist der allverbreitete, überzahlreiche Orden moderner Cyniker zu¬
sammensetzt, dem wir es innigst wünschen, daß er einmal gründlich zur Ord¬
nung gerufen würde. Auf das Interesse, das namentlich das weibliche Geschlecht
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