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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Rulturärzte,

Aber wenn die Sache nur so harmlos wäre, daß sie sich mit einem Epi¬
gramm abfertigen ließe. Unsre Helden sind eben keine Ritter von der traurigen
Gestalt, sie ziehen einher, verfolgt von den bewundernden Blicken der Menge,
die ihnen ihre Allüren einfältiglich nachäfft und sie vertrauensvoll begleitet in
das kahle Wüstenland ihrer verheißenen Wahrheit, wo die frischen Lebeusbäche
der Heimat vertrocknen und sie endlich mit der Überzeugung des Durstes ausrufen
kann: "Wahrhaftig, es ist alles Sand!" Und nun gar wenn der Führer mit
bekannter Bravour den allerdings geduldigen Klepper der Soziologie reitet! Es
ist ja erstaunlich, welch eine Magie heutzutage von diesem Wundertier ausgeht,
das freilich je nach der zügelführendeu Hand ein herrliches Preisroß oder eine
armselige Mähre wird. Wer sieht es aber darauf hin an! Tritt es vollends
auf in der großen Manege der Feuillctonistik, angethan mit der bunten Schabracke
des Quodlibets und aufgezäumt mit einigen Kalauern -- es wäre ein Wunder,
wenn nicht der ganze Zirkus cipplaudirte!

Doch das brauchte es garnicht. Das Leben selbst ist der dankbarste
Tummelplatz aller dieser modernen Ritter von der Materie. Betrachtet sie
nur, schon auf der Universität, wie sie bereits als Baccalcmrei "die halbe Welt
gewonnen," indes die andern nur "genickt, gesonnen" haben, "geträumt, erwogen,
Plan und immer Plan." Wer außer ihnen "entband euch aller Schranken
philisterhaft einklemmender Gedanken"? Was war "die Welt, bevor sie sie er¬
schufen"? Eine "große Kinderstube, bewohnt von Tröpfen, denen das Kvgitcitions-
zentrum fehlte." Die hvchbelobten Alten? -- "Sie haben das Pulver nicht
erfunden." Die Poesie, die Künste? -- "Armselige Äquivalente!" Die Philo¬
sophie? -- "Gott bewahre!" Kant? -- "Ein Vorurteil!" Es ist gewiß schon
manchem auffällig gewesen, wie in immer steigendem Maße die Hörer der
Medizin und in ihrem Gefolge die der gesamten Naturwissenschaften sich von
der übrigen Studentenschaft absondern. Begünstigt wird diese Absonderung sehr
durch die meist sehr bedeutende Entfernung ihrer speziellen Fachinstitute von
dem eigentlichen Lehrkörper, in die sich an vielen Orten auch Wohl die all¬
gemeineren Vorlesungen zurückziehen, sodaß es sehr wohl geschehen kann, daß
der junge Heilbeflissene nach überstandenem tsiilAnuM ganze Semester lang nicht
mehr auf die Universität kommt. Auf die Wohnungen, auf den Verkehr mit
den Kommilitonen, auf das soziale Verhältnis zu ihnen hat das seinen natür¬
lichen Einfluß. Es ist bezeichnend, daß die Angriffe auf unser bestehendes
Universitätswesen immer von dieser Seite ausgehen. Die Abzweigung einer
speziell naturwissenschaftlichen Fakultät von der allgemeinen philosophischen ist
nur ein vorläufiger Ausdruck dieser Bewegung. Sie wird wohl bald allgemein
durchgeführt sein. Bei der Erörterung der Vorteile dieser Einrichtung wird der
Nachteile selten gedacht. Sie liegen auf der Hand. Meist sind es rein formale
Dinge; die Gefahr aber, die hier überall im Hinterhalt lauert, ist eine sehr
reale.


Rulturärzte,

Aber wenn die Sache nur so harmlos wäre, daß sie sich mit einem Epi¬
gramm abfertigen ließe. Unsre Helden sind eben keine Ritter von der traurigen
Gestalt, sie ziehen einher, verfolgt von den bewundernden Blicken der Menge,
die ihnen ihre Allüren einfältiglich nachäfft und sie vertrauensvoll begleitet in
das kahle Wüstenland ihrer verheißenen Wahrheit, wo die frischen Lebeusbäche
der Heimat vertrocknen und sie endlich mit der Überzeugung des Durstes ausrufen
kann: „Wahrhaftig, es ist alles Sand!" Und nun gar wenn der Führer mit
bekannter Bravour den allerdings geduldigen Klepper der Soziologie reitet! Es
ist ja erstaunlich, welch eine Magie heutzutage von diesem Wundertier ausgeht,
das freilich je nach der zügelführendeu Hand ein herrliches Preisroß oder eine
armselige Mähre wird. Wer sieht es aber darauf hin an! Tritt es vollends
auf in der großen Manege der Feuillctonistik, angethan mit der bunten Schabracke
des Quodlibets und aufgezäumt mit einigen Kalauern — es wäre ein Wunder,
wenn nicht der ganze Zirkus cipplaudirte!

Doch das brauchte es garnicht. Das Leben selbst ist der dankbarste
Tummelplatz aller dieser modernen Ritter von der Materie. Betrachtet sie
nur, schon auf der Universität, wie sie bereits als Baccalcmrei „die halbe Welt
gewonnen," indes die andern nur „genickt, gesonnen" haben, „geträumt, erwogen,
Plan und immer Plan." Wer außer ihnen „entband euch aller Schranken
philisterhaft einklemmender Gedanken"? Was war „die Welt, bevor sie sie er¬
schufen"? Eine „große Kinderstube, bewohnt von Tröpfen, denen das Kvgitcitions-
zentrum fehlte." Die hvchbelobten Alten? — „Sie haben das Pulver nicht
erfunden." Die Poesie, die Künste? — „Armselige Äquivalente!" Die Philo¬
sophie? — „Gott bewahre!" Kant? — „Ein Vorurteil!" Es ist gewiß schon
manchem auffällig gewesen, wie in immer steigendem Maße die Hörer der
Medizin und in ihrem Gefolge die der gesamten Naturwissenschaften sich von
der übrigen Studentenschaft absondern. Begünstigt wird diese Absonderung sehr
durch die meist sehr bedeutende Entfernung ihrer speziellen Fachinstitute von
dem eigentlichen Lehrkörper, in die sich an vielen Orten auch Wohl die all¬
gemeineren Vorlesungen zurückziehen, sodaß es sehr wohl geschehen kann, daß
der junge Heilbeflissene nach überstandenem tsiilAnuM ganze Semester lang nicht
mehr auf die Universität kommt. Auf die Wohnungen, auf den Verkehr mit
den Kommilitonen, auf das soziale Verhältnis zu ihnen hat das seinen natür¬
lichen Einfluß. Es ist bezeichnend, daß die Angriffe auf unser bestehendes
Universitätswesen immer von dieser Seite ausgehen. Die Abzweigung einer
speziell naturwissenschaftlichen Fakultät von der allgemeinen philosophischen ist
nur ein vorläufiger Ausdruck dieser Bewegung. Sie wird wohl bald allgemein
durchgeführt sein. Bei der Erörterung der Vorteile dieser Einrichtung wird der
Nachteile selten gedacht. Sie liegen auf der Hand. Meist sind es rein formale
Dinge; die Gefahr aber, die hier überall im Hinterhalt lauert, ist eine sehr
reale.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/46>, abgerufen am 15.01.2025.