Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Iman Gontsch-irow, gestellt. Das Gesinde ist faul, die Herrschaft ist faul, und schlaue Schmarotzer Iman Gontsch-irow, gestellt. Das Gesinde ist faul, die Herrschaft ist faul, und schlaue Schmarotzer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197169"/> <fw type="header" place="top"> Iman Gontsch-irow,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1407" prev="#ID_1406" next="#ID_1408"> gestellt. Das Gesinde ist faul, die Herrschaft ist faul, und schlaue Schmarotzer<lb/> nisten sich ein. Die Abreise Alexanders verursacht fieberhafte Aufregung in<lb/> der gauzeu Umgebung. Das Einpacken von Wäsche und Kleidern ist keine<lb/> Kleinigkeit. Das junge Bräutchen, das ihm schon zugedacht ist. zerfließt in<lb/> Thränen, ein Freund kommt 160 Werft einhergejagt, um ihm noch ein gerührtes<lb/> Lebewohl zu sagen. Und erst die Mutter — sie kommt aus den Thränen nicht<lb/> heraus. Ihr ist der Drang Alexanders unbegreiflich. Sie fügt sich ihm nur.<lb/> weil sie überhaupt ihm alles zu willen thut, und ein kleiner Trost ist ihr.<lb/> daß in Petersburg ein Onkel lebt, der freilich siebzehn Jahre schon nichts mehr<lb/> von sich hat hören lassen, den aber die gute Fran, welcher der Begriff Ver¬<lb/> änderung ganz fremd ist, noch immer im alten Bilde vor sich sieht. Sie giebt<lb/> ihrem Sohne einen Brief an den mächtigen Onkel in Petersburg mit, worin<lb/> sie u. a. schreibt: „Ich schicke mein Herzenskind gerade zu Ihnen und habe ihm<lb/> streng angesagt, nur ja nicht irgendwo anders abzusteigen. In seiner Uner-<lb/> fahrenheit wäre er vielleicht in irgendeinem Gasthause abgestiegen, aber ich weiß,<lb/> wie sehr das einen leiblichen Onkel beleidigen könnte; daher wies ich ihm den<lb/> Weg zu Ihnen. Das wird ein frohes Wiedersehen sein. Stehen Sie ihm mit<lb/> Ratschlägen bei, mein lieber Schwager, nehmen Sie sich seiner an; ich übergebe<lb/> ihn Ihren Händen. Er hat ja dort nur Sie allein. Beaufsichtiger Sie ihn,<lb/> verwöhnen Sie ihn nicht gar zu sehr, doch seien Sie auch nicht zu streng<lb/> gegen ihn; überlassen Sie das fremden Menschen, die werden ihn schon mit<lb/> Strenge behandeln, aber liebevoll gegen ihn sein — das kann nur ein Ver¬<lb/> wandter; außerdem ist er selbst zutraulich, sobald Sie ihn sehen, können Sie<lb/> nicht mehr von ihm lassen. Sagen Sie auch dem Chef, bei dem Lascheuka<lb/> dienen wird, daß er ihn schonender und zartfühlender behandeln möchte;<lb/> denn er ist sehr schwächlich. Warum Sie ihn vor den Karten und dem<lb/> Wein. In der Nacht — Ihr werdet doch wahrscheinlich in einem Zimmer<lb/> schlafen — hat Lascheuka die Gewohnheit, auf dem Rücken zu liegen; deshalb<lb/> stöhnt und wirft sich das Herzenskind; wecken Sie ihn dann leise auf und machen<lb/> Sie über ihn das Zeichen des Kreuzes — denn geht es gleich vorüber; im<lb/> Sommer bedecken Sie ihm den Mund mit einem Taschentuch; er öffnet ihn im<lb/> Schlaf, und die verdammten Fliegen kriechen ihm dann am Morgen hinein.<lb/> Helfen Sie ihm auch im Notfall mit Geld" u. s. w. Mau kann sich leicht<lb/> vorstellen, wie enttäuscht dieses Muttersöhnchen bei seiner Ankunft in Peters¬<lb/> burg wird. Zunächst ist ihm die Stadt ganz ungemütlich. Die schöngeistige,<lb/> verstiegen idealistische Bildung, die er sich bisher erworben hat, paßt gar nicht<lb/> in dieses mir der Arbeit gewidmete Leben hinein. Er kommt sich wie in euier<lb/> andern Welt vor, sogar nicht unter Menschen in diesem Häusermeer. wo keiner<lb/> den andern kennt, wo jeder Schritt Geld fordert. Und erst der Onkel Peter<lb/> Jwanowitsch Adujew. Dieser hatte sichs zuvor noch überlegt, ob er den ihm<lb/> auf deu Hals geladenen Neffen überhaupt empfangen sollte. Der Brief der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0435]
Iman Gontsch-irow,
gestellt. Das Gesinde ist faul, die Herrschaft ist faul, und schlaue Schmarotzer
nisten sich ein. Die Abreise Alexanders verursacht fieberhafte Aufregung in
der gauzeu Umgebung. Das Einpacken von Wäsche und Kleidern ist keine
Kleinigkeit. Das junge Bräutchen, das ihm schon zugedacht ist. zerfließt in
Thränen, ein Freund kommt 160 Werft einhergejagt, um ihm noch ein gerührtes
Lebewohl zu sagen. Und erst die Mutter — sie kommt aus den Thränen nicht
heraus. Ihr ist der Drang Alexanders unbegreiflich. Sie fügt sich ihm nur.
weil sie überhaupt ihm alles zu willen thut, und ein kleiner Trost ist ihr.
daß in Petersburg ein Onkel lebt, der freilich siebzehn Jahre schon nichts mehr
von sich hat hören lassen, den aber die gute Fran, welcher der Begriff Ver¬
änderung ganz fremd ist, noch immer im alten Bilde vor sich sieht. Sie giebt
ihrem Sohne einen Brief an den mächtigen Onkel in Petersburg mit, worin
sie u. a. schreibt: „Ich schicke mein Herzenskind gerade zu Ihnen und habe ihm
streng angesagt, nur ja nicht irgendwo anders abzusteigen. In seiner Uner-
fahrenheit wäre er vielleicht in irgendeinem Gasthause abgestiegen, aber ich weiß,
wie sehr das einen leiblichen Onkel beleidigen könnte; daher wies ich ihm den
Weg zu Ihnen. Das wird ein frohes Wiedersehen sein. Stehen Sie ihm mit
Ratschlägen bei, mein lieber Schwager, nehmen Sie sich seiner an; ich übergebe
ihn Ihren Händen. Er hat ja dort nur Sie allein. Beaufsichtiger Sie ihn,
verwöhnen Sie ihn nicht gar zu sehr, doch seien Sie auch nicht zu streng
gegen ihn; überlassen Sie das fremden Menschen, die werden ihn schon mit
Strenge behandeln, aber liebevoll gegen ihn sein — das kann nur ein Ver¬
wandter; außerdem ist er selbst zutraulich, sobald Sie ihn sehen, können Sie
nicht mehr von ihm lassen. Sagen Sie auch dem Chef, bei dem Lascheuka
dienen wird, daß er ihn schonender und zartfühlender behandeln möchte;
denn er ist sehr schwächlich. Warum Sie ihn vor den Karten und dem
Wein. In der Nacht — Ihr werdet doch wahrscheinlich in einem Zimmer
schlafen — hat Lascheuka die Gewohnheit, auf dem Rücken zu liegen; deshalb
stöhnt und wirft sich das Herzenskind; wecken Sie ihn dann leise auf und machen
Sie über ihn das Zeichen des Kreuzes — denn geht es gleich vorüber; im
Sommer bedecken Sie ihm den Mund mit einem Taschentuch; er öffnet ihn im
Schlaf, und die verdammten Fliegen kriechen ihm dann am Morgen hinein.
Helfen Sie ihm auch im Notfall mit Geld" u. s. w. Mau kann sich leicht
vorstellen, wie enttäuscht dieses Muttersöhnchen bei seiner Ankunft in Peters¬
burg wird. Zunächst ist ihm die Stadt ganz ungemütlich. Die schöngeistige,
verstiegen idealistische Bildung, die er sich bisher erworben hat, paßt gar nicht
in dieses mir der Arbeit gewidmete Leben hinein. Er kommt sich wie in euier
andern Welt vor, sogar nicht unter Menschen in diesem Häusermeer. wo keiner
den andern kennt, wo jeder Schritt Geld fordert. Und erst der Onkel Peter
Jwanowitsch Adujew. Dieser hatte sichs zuvor noch überlegt, ob er den ihm
auf deu Hals geladenen Neffen überhaupt empfangen sollte. Der Brief der
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