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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Anarchisten und ihre Begünstiger.

als daß die sechs Monate Gefängnis, welche als Maximum auf Verweigerung
des Zeugnisses angedroht seien, voll zur Geltung gebracht werden können. In
einem andern Leitartikel eines Blattes dieser Richtung wird gesagt: Bei den
derzeitigen Bestimmungen unsrer Preßgesetzgebung würde die preußische Novelle
thatsächlich die Preßfreiheit vernichten. Der Redakteur werde als Thäter be¬
straft; das schließe aber die Thäterschaft andrer Personen nicht aus. Gelänge
es nach Jahren, den Autor zu ermitteln, so würde man noch nachträglich gegen
ihn das Verfahren eröffnen können. Es wäre garnicht einmal nötig, das Vor¬
handensein besondrer Umstände, welche die Thäterschaft des Redakteurs aus¬
schließen, anzunehmen. Das Netz der Verantwortlichkeit, welches die Presse
umstrickte, sei wahrlich dicht genug, und die vereinzelten Fälle, in welchen durch
seine Maschen einmal eine strafbare Publikation ungeahndet hindurchschlüpfen
möge, können nicht im entferntesten eine Maßregel rechtfertigen, welche der Pre߬
freiheit einen so schweren Schlag versetzen würde.

Diese Phrasen mögen geeignet sein, den dumpfen Haß des Anhäugerkrcises
dieser Blätter gegen alle Regierungsmaßnahmen, auch gegen die vorliegend be¬
antragte Gesetzesänderung, zu erregen; wem aber nicht die einfache Entfaltung
des roten Tuches "Reaktion" genügt, um in blinder Wut gegen den vorgehal¬
tenen Lappen anzustürmen, der muß sich doch gewiß sagen: der bestehende ge¬
setzliche Zustand ist so unhaltbar, daß für seine Aufrechterhaltung nur Verbrecher
oder deren Begünstiger eintreten können. Was wird von der Regierung ver¬
langt? Nichts, aber auch garnichts andres, als daß ein Verbrecher nicht deshalb
der Strafe entgehe, weil er zur VerÜbung seines Verbrechens die Presse benutzt
und sechs Monate außer Landes zubringt. Nichts wird verlangt, als daß ein
Mensch, welcher bei mündlicher Verübung seines Verbrechens zehn Jahre lang
der Verfolgung des Strafrichters unterliegt, nicht deshalb das Privilegium einer
nur sechs Monate dauernden Verfolgung genieße, weil er sein Verbrechen durch
den Druck verübt hat, weil er eiuen Weg gewühlt hat, auf welchem er sein
Verbrechen viel sicherer begehen, auf welchem er dasselbe Millionen statt bloß
Hunderten von Menschen zur Kenntnis bringen konnte.

Um eine Beschränkung der berechtigten Äußerungen der Presse handelt es
sich überhaupt nicht, sondern um die Ermöglichung, verbrecherischen Mißbrauch
derselben wirksam zu begegnen. Wollten sich doch die aufgesetzten Leser der
fortschrittlichen Blätter immer vergegenwärtigen, daß Verbrecher verfolgt werden
sollen und nicht unschuldige Leute. Mit welchem Rechte treten denn die Fort¬
schrittsmänner, die ja bei jeder Gelegenheit ihre Treue gegen Kaiser und Reich
hervorheben, für Leute in die Schranken, welche die Ermordung des Kaisers,
die Tötung der deutschen Bundesfürsten, die gewaltsame Änderung der deutschen
Staatsverfassung predigen? Wo liegt denn das berechtigte Interesse, sich für
solches Gesindel zu engagiren? Nicht die Preßfreiheit, sondern die Pre߬
frechheit soll getroffen werden, und wenn durch die beabsichtigte Änderung des


Die Anarchisten und ihre Begünstiger.

als daß die sechs Monate Gefängnis, welche als Maximum auf Verweigerung
des Zeugnisses angedroht seien, voll zur Geltung gebracht werden können. In
einem andern Leitartikel eines Blattes dieser Richtung wird gesagt: Bei den
derzeitigen Bestimmungen unsrer Preßgesetzgebung würde die preußische Novelle
thatsächlich die Preßfreiheit vernichten. Der Redakteur werde als Thäter be¬
straft; das schließe aber die Thäterschaft andrer Personen nicht aus. Gelänge
es nach Jahren, den Autor zu ermitteln, so würde man noch nachträglich gegen
ihn das Verfahren eröffnen können. Es wäre garnicht einmal nötig, das Vor¬
handensein besondrer Umstände, welche die Thäterschaft des Redakteurs aus¬
schließen, anzunehmen. Das Netz der Verantwortlichkeit, welches die Presse
umstrickte, sei wahrlich dicht genug, und die vereinzelten Fälle, in welchen durch
seine Maschen einmal eine strafbare Publikation ungeahndet hindurchschlüpfen
möge, können nicht im entferntesten eine Maßregel rechtfertigen, welche der Pre߬
freiheit einen so schweren Schlag versetzen würde.

Diese Phrasen mögen geeignet sein, den dumpfen Haß des Anhäugerkrcises
dieser Blätter gegen alle Regierungsmaßnahmen, auch gegen die vorliegend be¬
antragte Gesetzesänderung, zu erregen; wem aber nicht die einfache Entfaltung
des roten Tuches „Reaktion" genügt, um in blinder Wut gegen den vorgehal¬
tenen Lappen anzustürmen, der muß sich doch gewiß sagen: der bestehende ge¬
setzliche Zustand ist so unhaltbar, daß für seine Aufrechterhaltung nur Verbrecher
oder deren Begünstiger eintreten können. Was wird von der Regierung ver¬
langt? Nichts, aber auch garnichts andres, als daß ein Verbrecher nicht deshalb
der Strafe entgehe, weil er zur VerÜbung seines Verbrechens die Presse benutzt
und sechs Monate außer Landes zubringt. Nichts wird verlangt, als daß ein
Mensch, welcher bei mündlicher Verübung seines Verbrechens zehn Jahre lang
der Verfolgung des Strafrichters unterliegt, nicht deshalb das Privilegium einer
nur sechs Monate dauernden Verfolgung genieße, weil er sein Verbrechen durch
den Druck verübt hat, weil er eiuen Weg gewühlt hat, auf welchem er sein
Verbrechen viel sicherer begehen, auf welchem er dasselbe Millionen statt bloß
Hunderten von Menschen zur Kenntnis bringen konnte.

Um eine Beschränkung der berechtigten Äußerungen der Presse handelt es
sich überhaupt nicht, sondern um die Ermöglichung, verbrecherischen Mißbrauch
derselben wirksam zu begegnen. Wollten sich doch die aufgesetzten Leser der
fortschrittlichen Blätter immer vergegenwärtigen, daß Verbrecher verfolgt werden
sollen und nicht unschuldige Leute. Mit welchem Rechte treten denn die Fort¬
schrittsmänner, die ja bei jeder Gelegenheit ihre Treue gegen Kaiser und Reich
hervorheben, für Leute in die Schranken, welche die Ermordung des Kaisers,
die Tötung der deutschen Bundesfürsten, die gewaltsame Änderung der deutschen
Staatsverfassung predigen? Wo liegt denn das berechtigte Interesse, sich für
solches Gesindel zu engagiren? Nicht die Preßfreiheit, sondern die Pre߬
frechheit soll getroffen werden, und wenn durch die beabsichtigte Änderung des


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[0419] Die Anarchisten und ihre Begünstiger. als daß die sechs Monate Gefängnis, welche als Maximum auf Verweigerung des Zeugnisses angedroht seien, voll zur Geltung gebracht werden können. In einem andern Leitartikel eines Blattes dieser Richtung wird gesagt: Bei den derzeitigen Bestimmungen unsrer Preßgesetzgebung würde die preußische Novelle thatsächlich die Preßfreiheit vernichten. Der Redakteur werde als Thäter be¬ straft; das schließe aber die Thäterschaft andrer Personen nicht aus. Gelänge es nach Jahren, den Autor zu ermitteln, so würde man noch nachträglich gegen ihn das Verfahren eröffnen können. Es wäre garnicht einmal nötig, das Vor¬ handensein besondrer Umstände, welche die Thäterschaft des Redakteurs aus¬ schließen, anzunehmen. Das Netz der Verantwortlichkeit, welches die Presse umstrickte, sei wahrlich dicht genug, und die vereinzelten Fälle, in welchen durch seine Maschen einmal eine strafbare Publikation ungeahndet hindurchschlüpfen möge, können nicht im entferntesten eine Maßregel rechtfertigen, welche der Pre߬ freiheit einen so schweren Schlag versetzen würde. Diese Phrasen mögen geeignet sein, den dumpfen Haß des Anhäugerkrcises dieser Blätter gegen alle Regierungsmaßnahmen, auch gegen die vorliegend be¬ antragte Gesetzesänderung, zu erregen; wem aber nicht die einfache Entfaltung des roten Tuches „Reaktion" genügt, um in blinder Wut gegen den vorgehal¬ tenen Lappen anzustürmen, der muß sich doch gewiß sagen: der bestehende ge¬ setzliche Zustand ist so unhaltbar, daß für seine Aufrechterhaltung nur Verbrecher oder deren Begünstiger eintreten können. Was wird von der Regierung ver¬ langt? Nichts, aber auch garnichts andres, als daß ein Verbrecher nicht deshalb der Strafe entgehe, weil er zur VerÜbung seines Verbrechens die Presse benutzt und sechs Monate außer Landes zubringt. Nichts wird verlangt, als daß ein Mensch, welcher bei mündlicher Verübung seines Verbrechens zehn Jahre lang der Verfolgung des Strafrichters unterliegt, nicht deshalb das Privilegium einer nur sechs Monate dauernden Verfolgung genieße, weil er sein Verbrechen durch den Druck verübt hat, weil er eiuen Weg gewühlt hat, auf welchem er sein Verbrechen viel sicherer begehen, auf welchem er dasselbe Millionen statt bloß Hunderten von Menschen zur Kenntnis bringen konnte. Um eine Beschränkung der berechtigten Äußerungen der Presse handelt es sich überhaupt nicht, sondern um die Ermöglichung, verbrecherischen Mißbrauch derselben wirksam zu begegnen. Wollten sich doch die aufgesetzten Leser der fortschrittlichen Blätter immer vergegenwärtigen, daß Verbrecher verfolgt werden sollen und nicht unschuldige Leute. Mit welchem Rechte treten denn die Fort¬ schrittsmänner, die ja bei jeder Gelegenheit ihre Treue gegen Kaiser und Reich hervorheben, für Leute in die Schranken, welche die Ermordung des Kaisers, die Tötung der deutschen Bundesfürsten, die gewaltsame Änderung der deutschen Staatsverfassung predigen? Wo liegt denn das berechtigte Interesse, sich für solches Gesindel zu engagiren? Nicht die Preßfreiheit, sondern die Pre߬ frechheit soll getroffen werden, und wenn durch die beabsichtigte Änderung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/419>, abgerufen am 15.01.2025.