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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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An der Heilquelle.

Dialoge gelegt, von denen der letzte genau so ohne vorher absichtlich gesteigerte
Spannung und Erregung des Lesers gegeben wird als der erste. Und es ist
doch unmöglich, daß er so. schlicht und anspruchslos, auf den Leser denselben
Eindruck macht, den dieser machte. Zudem, mag das alles denn im besten
Falle nichts schaden, in jedem Falle liegt doch in der allmählichen Steigerung
des Niveaus, des Tones der Handlung ein mächtiger Reiz, dessen ein Werk von
so mannichfaltigen Interesse nicht ohne Not verlustig gehen sollte.

Und doch ist es, als sei der Dichter dieser Modulation der Handlung
gegenüber ganz sorglos, und nach einer Richtung hin ganz gewiß zu sorglos
Verfahren. Denn über einen bestimmten Punkt hinaus wird die Gleichgiltigkeit
gegen einzelne, allenfalls noch auszuklügelnde Effekte zum positiven Fehler.
Sich gleich bleiben, das alte As<iuam wöliröirto . . ., ist gewiß ein Zeichen vor¬
nehme" Geistes und edeln, reifen Charakters. Aber auch der vornehme und
edle Mensch giebt sich im gewöhnlichen Gespräche, bei Abhandlung der ge¬
wöhnlichen und unvermeidlichen Geschäfte des Tages anders als bei herz¬
erschütternden Ereignissen, die bis in die verborgensten Tiefen seiner Brust greifen.
Nun sind Spielhagens Hauptpersonen gewiß vornehme Leute in jenem Sinne:
"" Schmerz bewahren sie Haltung und Würde, nur die Freude reißt sie
'nächtig aus ihrer Gelassenheit. Aber dieser ewig gleichen Gelassenheit ist
manchmal doch ein wenig zu viel. Wir können ja den Leuten in der Novelle
s" wenig ins Herz sehen als denen von Fleisch und Blut; wir erleben auch
alle jene herzerschütternden Ereignisse nicht selbst mit, Saldern lassen sie uns
schildern. Und da kommen sie in ihrer vollen, vom Dichter ja doch gewollten
Folgenschwere uns erst dadurch recht kräftig zum Bewußtsein, wenn wir ihre
Wirkung auf die Beteiligten sehen. Also immerhin ein wenig mehr sieht- und
merkbares Ans- und Absteigen auf der "schwanken Leiter der Gefühle." Es
berührt auch das wieder unsre Klage von dem gleichbleibenden Niveau der
Handlung. Sie würde an Abstufung, an Perspektive gewinnen. Und die thut
ihr ebenso not wie den Personen.

Ausnahmsweise zum guten Schluß auch einmal eine Einzelheit, die zum
Teil freilich mit der eben besprochenen generellen Eigenheit zusammenhängt: es
wäre gut gewesen, die gegenseitige stille Liebe von Kora und Eschebnrg, die dem
feinfühligen Leser ja allerdings uicht gänzlich verborgen bleibt, von Anfang ein
mehr durchblicken zu lassen. Ginge dadurch ein Teil der Spannung verloren,
so könnte man dafür mit ruhigerem Genuß der Charakterführung der beiden
sich erfreuen.

Also Tadel und nichts als Tadel! Ja, wenn die Novelle nicht zu den
Kunstwerken gehörte, mit denen man auf jeden Fall ins Reine kommen möchte!
Ins Reine namentlich auch darüber, daß sie, die doch mit solcher Leichtigkeit
und Grazie geschaffen ist. doch im Grunde keinen nachhaltigerem Eindruck macht.
Warum müssen wir doch in dieser Herzensgeschichte die vollen, warmen, rührenden


Grenzboten IV. 1835. 48
An der Heilquelle.

Dialoge gelegt, von denen der letzte genau so ohne vorher absichtlich gesteigerte
Spannung und Erregung des Lesers gegeben wird als der erste. Und es ist
doch unmöglich, daß er so. schlicht und anspruchslos, auf den Leser denselben
Eindruck macht, den dieser machte. Zudem, mag das alles denn im besten
Falle nichts schaden, in jedem Falle liegt doch in der allmählichen Steigerung
des Niveaus, des Tones der Handlung ein mächtiger Reiz, dessen ein Werk von
so mannichfaltigen Interesse nicht ohne Not verlustig gehen sollte.

Und doch ist es, als sei der Dichter dieser Modulation der Handlung
gegenüber ganz sorglos, und nach einer Richtung hin ganz gewiß zu sorglos
Verfahren. Denn über einen bestimmten Punkt hinaus wird die Gleichgiltigkeit
gegen einzelne, allenfalls noch auszuklügelnde Effekte zum positiven Fehler.
Sich gleich bleiben, das alte As<iuam wöliröirto . . ., ist gewiß ein Zeichen vor¬
nehme« Geistes und edeln, reifen Charakters. Aber auch der vornehme und
edle Mensch giebt sich im gewöhnlichen Gespräche, bei Abhandlung der ge¬
wöhnlichen und unvermeidlichen Geschäfte des Tages anders als bei herz¬
erschütternden Ereignissen, die bis in die verborgensten Tiefen seiner Brust greifen.
Nun sind Spielhagens Hauptpersonen gewiß vornehme Leute in jenem Sinne:
"» Schmerz bewahren sie Haltung und Würde, nur die Freude reißt sie
'nächtig aus ihrer Gelassenheit. Aber dieser ewig gleichen Gelassenheit ist
manchmal doch ein wenig zu viel. Wir können ja den Leuten in der Novelle
s» wenig ins Herz sehen als denen von Fleisch und Blut; wir erleben auch
alle jene herzerschütternden Ereignisse nicht selbst mit, Saldern lassen sie uns
schildern. Und da kommen sie in ihrer vollen, vom Dichter ja doch gewollten
Folgenschwere uns erst dadurch recht kräftig zum Bewußtsein, wenn wir ihre
Wirkung auf die Beteiligten sehen. Also immerhin ein wenig mehr sieht- und
merkbares Ans- und Absteigen auf der „schwanken Leiter der Gefühle." Es
berührt auch das wieder unsre Klage von dem gleichbleibenden Niveau der
Handlung. Sie würde an Abstufung, an Perspektive gewinnen. Und die thut
ihr ebenso not wie den Personen.

Ausnahmsweise zum guten Schluß auch einmal eine Einzelheit, die zum
Teil freilich mit der eben besprochenen generellen Eigenheit zusammenhängt: es
wäre gut gewesen, die gegenseitige stille Liebe von Kora und Eschebnrg, die dem
feinfühligen Leser ja allerdings uicht gänzlich verborgen bleibt, von Anfang ein
mehr durchblicken zu lassen. Ginge dadurch ein Teil der Spannung verloren,
so könnte man dafür mit ruhigerem Genuß der Charakterführung der beiden
sich erfreuen.

Also Tadel und nichts als Tadel! Ja, wenn die Novelle nicht zu den
Kunstwerken gehörte, mit denen man auf jeden Fall ins Reine kommen möchte!
Ins Reine namentlich auch darüber, daß sie, die doch mit solcher Leichtigkeit
und Grazie geschaffen ist. doch im Grunde keinen nachhaltigerem Eindruck macht.
Warum müssen wir doch in dieser Herzensgeschichte die vollen, warmen, rührenden


Grenzboten IV. 1835. 48
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[0385] An der Heilquelle. Dialoge gelegt, von denen der letzte genau so ohne vorher absichtlich gesteigerte Spannung und Erregung des Lesers gegeben wird als der erste. Und es ist doch unmöglich, daß er so. schlicht und anspruchslos, auf den Leser denselben Eindruck macht, den dieser machte. Zudem, mag das alles denn im besten Falle nichts schaden, in jedem Falle liegt doch in der allmählichen Steigerung des Niveaus, des Tones der Handlung ein mächtiger Reiz, dessen ein Werk von so mannichfaltigen Interesse nicht ohne Not verlustig gehen sollte. Und doch ist es, als sei der Dichter dieser Modulation der Handlung gegenüber ganz sorglos, und nach einer Richtung hin ganz gewiß zu sorglos Verfahren. Denn über einen bestimmten Punkt hinaus wird die Gleichgiltigkeit gegen einzelne, allenfalls noch auszuklügelnde Effekte zum positiven Fehler. Sich gleich bleiben, das alte As<iuam wöliröirto . . ., ist gewiß ein Zeichen vor¬ nehme« Geistes und edeln, reifen Charakters. Aber auch der vornehme und edle Mensch giebt sich im gewöhnlichen Gespräche, bei Abhandlung der ge¬ wöhnlichen und unvermeidlichen Geschäfte des Tages anders als bei herz¬ erschütternden Ereignissen, die bis in die verborgensten Tiefen seiner Brust greifen. Nun sind Spielhagens Hauptpersonen gewiß vornehme Leute in jenem Sinne: "» Schmerz bewahren sie Haltung und Würde, nur die Freude reißt sie 'nächtig aus ihrer Gelassenheit. Aber dieser ewig gleichen Gelassenheit ist manchmal doch ein wenig zu viel. Wir können ja den Leuten in der Novelle s» wenig ins Herz sehen als denen von Fleisch und Blut; wir erleben auch alle jene herzerschütternden Ereignisse nicht selbst mit, Saldern lassen sie uns schildern. Und da kommen sie in ihrer vollen, vom Dichter ja doch gewollten Folgenschwere uns erst dadurch recht kräftig zum Bewußtsein, wenn wir ihre Wirkung auf die Beteiligten sehen. Also immerhin ein wenig mehr sieht- und merkbares Ans- und Absteigen auf der „schwanken Leiter der Gefühle." Es berührt auch das wieder unsre Klage von dem gleichbleibenden Niveau der Handlung. Sie würde an Abstufung, an Perspektive gewinnen. Und die thut ihr ebenso not wie den Personen. Ausnahmsweise zum guten Schluß auch einmal eine Einzelheit, die zum Teil freilich mit der eben besprochenen generellen Eigenheit zusammenhängt: es wäre gut gewesen, die gegenseitige stille Liebe von Kora und Eschebnrg, die dem feinfühligen Leser ja allerdings uicht gänzlich verborgen bleibt, von Anfang ein mehr durchblicken zu lassen. Ginge dadurch ein Teil der Spannung verloren, so könnte man dafür mit ruhigerem Genuß der Charakterführung der beiden sich erfreuen. Also Tadel und nichts als Tadel! Ja, wenn die Novelle nicht zu den Kunstwerken gehörte, mit denen man auf jeden Fall ins Reine kommen möchte! Ins Reine namentlich auch darüber, daß sie, die doch mit solcher Leichtigkeit und Grazie geschaffen ist. doch im Grunde keinen nachhaltigerem Eindruck macht. Warum müssen wir doch in dieser Herzensgeschichte die vollen, warmen, rührenden Grenzboten IV. 1835. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/385>, abgerufen am 15.01.2025.