Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.der nach den Absichten des Dichters und im Einklange mit der Fabel ihr Daß Spielhagen im vorliegenden Falle jedes derartige Mittel für ent¬ der nach den Absichten des Dichters und im Einklange mit der Fabel ihr Daß Spielhagen im vorliegenden Falle jedes derartige Mittel für ent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197118"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1208" prev="#ID_1207"> der nach den Absichten des Dichters und im Einklange mit der Fabel ihr<lb/> Seelenleben folgt. Auch sonst müssen sie den individuellen Lebensverhältnissen<lb/> der Betroffenen einigermaßen entsprechen. Es ist natürlich, daß man nicht<lb/> etwa eine junge Dame im Duell verwunden oder einen alten Herrn von einem<lb/> stürmischen Liebhaber entführen lassen wird Aber richtig angewendet liegt dies<lb/> Hilfsmittel durchaus im Bereiche des ästhetisch Zulässigem Fabuliren und<lb/> wieder fabuliren ist des Epikers — also auch des Novellen- und Romandichters —<lb/> A und O, und weder Gesetz noch Überlieferung gebieten ihm, wie dem Drama¬<lb/> tiker, sich bei seinen Darstellungen streng innerhalb des kausalen Zusammen¬<lb/> hanges der Ereignisse zu halten.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_1209" next="#ID_1210"> Daß Spielhagen im vorliegenden Falle jedes derartige Mittel für ent¬<lb/> behrlich gehalten hat, ja daß er die Heraushebung der Hauptcharaktere, so weit<lb/> er sie überhaupt gewollt hat, lediglich durch verfeinerte psychologische Analyse<lb/> angestrebt hat, zeigt sich nebenbei in einer sehr charakteristischen Weise an dem<lb/> Aufbau der Handlung. Die Entwicklung der Hauptpersonen in großen, ge¬<lb/> schlossenen, sorgfältig geführten Szenen zu geben, die der andern in leicht hin¬<lb/> geworfenen von einfachem Bau, würde ja schließlich für einen die Technik so<lb/> sicher beherrschenden Autor die bequemste Art gewesen sein, Abstufungen in der<lb/> Bedeutung der Handelnden deutlich erkennbar zu machen. Er thut das nur<lb/> so wenig, daß mehr als einmal gerade die für die Abwicklung des Haupt¬<lb/> motivs wichtigsten Szenen an nachdrücklicher und lebendiger Führung hinter<lb/> weit minder wichtigen zurückbleiben. Bisweilen selbst innerhalb desselben Ka¬<lb/> pitels. Das ist umso schwerer begreiflich, als, wenigstens in einzelnen Fällen,<lb/> beide, wichtige und weniger wichtige, nicht einmal in psychologischer Vertiefung<lb/> sich auffällig unterscheide». Natürlich ist das nicht ohne eingreifende Folgen<lb/> für deu Aufbau der Handlung. Wir wissen recht wohl, mit welch außer¬<lb/> ordentlicher Gewalt über den sprachlichen und — sagen wir mimischen — Aus¬<lb/> druck der Seelenbewegungen der Dichter es vermag, die poetische und psychische<lb/> Energie seiner Szenen ohne allen äußern Apparat zu steigern; sollte es nicht<lb/> aber dennoch gewagt sein, so fast vollständig ans diejenige Steigerung der<lb/> Handlung zu verzichten, die sich durch immer größere, reicher gegliederte, das<lb/> Widerstrebende in einen Nahmen zusammenzwängende Szenen ausdrückt? Ein<lb/> Dramatiker, der die Teile seines dritten und vierten Aktes in derselben Weise<lb/> anordnen und durchführen wollte, wie die des ersten und zweiten, könnte selbst<lb/> durch die gewaltigste Steigerung der dichterischen Intensität kaum das Verlorne<lb/> wieder einbringen. Wer schon zwei Aufzüge gesehen hat, braucht eben stärkere<lb/> Erregungsmittel seiner geistigen Spannkraft als der des ersten harrende; was<lb/> ihm damals nen war, ist ihm jetzt gewohnt. Sollte der Romandichter, dessen<lb/> Leser doch ebenfalls mit ihrer menschlichen Natur rechnen müssen, so ganz ohne<lb/> Schaden sich über diese Dinge hinwegsetzen dürfen? In unsrer Novelle werden<lb/> viermal sehr bedeutsame, ja die bedeutsamsten Momente der Entwicklung in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0384]
der nach den Absichten des Dichters und im Einklange mit der Fabel ihr
Seelenleben folgt. Auch sonst müssen sie den individuellen Lebensverhältnissen
der Betroffenen einigermaßen entsprechen. Es ist natürlich, daß man nicht
etwa eine junge Dame im Duell verwunden oder einen alten Herrn von einem
stürmischen Liebhaber entführen lassen wird Aber richtig angewendet liegt dies
Hilfsmittel durchaus im Bereiche des ästhetisch Zulässigem Fabuliren und
wieder fabuliren ist des Epikers — also auch des Novellen- und Romandichters —
A und O, und weder Gesetz noch Überlieferung gebieten ihm, wie dem Drama¬
tiker, sich bei seinen Darstellungen streng innerhalb des kausalen Zusammen¬
hanges der Ereignisse zu halten.
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Daß Spielhagen im vorliegenden Falle jedes derartige Mittel für ent¬
behrlich gehalten hat, ja daß er die Heraushebung der Hauptcharaktere, so weit
er sie überhaupt gewollt hat, lediglich durch verfeinerte psychologische Analyse
angestrebt hat, zeigt sich nebenbei in einer sehr charakteristischen Weise an dem
Aufbau der Handlung. Die Entwicklung der Hauptpersonen in großen, ge¬
schlossenen, sorgfältig geführten Szenen zu geben, die der andern in leicht hin¬
geworfenen von einfachem Bau, würde ja schließlich für einen die Technik so
sicher beherrschenden Autor die bequemste Art gewesen sein, Abstufungen in der
Bedeutung der Handelnden deutlich erkennbar zu machen. Er thut das nur
so wenig, daß mehr als einmal gerade die für die Abwicklung des Haupt¬
motivs wichtigsten Szenen an nachdrücklicher und lebendiger Führung hinter
weit minder wichtigen zurückbleiben. Bisweilen selbst innerhalb desselben Ka¬
pitels. Das ist umso schwerer begreiflich, als, wenigstens in einzelnen Fällen,
beide, wichtige und weniger wichtige, nicht einmal in psychologischer Vertiefung
sich auffällig unterscheide». Natürlich ist das nicht ohne eingreifende Folgen
für deu Aufbau der Handlung. Wir wissen recht wohl, mit welch außer¬
ordentlicher Gewalt über den sprachlichen und — sagen wir mimischen — Aus¬
druck der Seelenbewegungen der Dichter es vermag, die poetische und psychische
Energie seiner Szenen ohne allen äußern Apparat zu steigern; sollte es nicht
aber dennoch gewagt sein, so fast vollständig ans diejenige Steigerung der
Handlung zu verzichten, die sich durch immer größere, reicher gegliederte, das
Widerstrebende in einen Nahmen zusammenzwängende Szenen ausdrückt? Ein
Dramatiker, der die Teile seines dritten und vierten Aktes in derselben Weise
anordnen und durchführen wollte, wie die des ersten und zweiten, könnte selbst
durch die gewaltigste Steigerung der dichterischen Intensität kaum das Verlorne
wieder einbringen. Wer schon zwei Aufzüge gesehen hat, braucht eben stärkere
Erregungsmittel seiner geistigen Spannkraft als der des ersten harrende; was
ihm damals nen war, ist ihm jetzt gewohnt. Sollte der Romandichter, dessen
Leser doch ebenfalls mit ihrer menschlichen Natur rechnen müssen, so ganz ohne
Schaden sich über diese Dinge hinwegsetzen dürfen? In unsrer Novelle werden
viermal sehr bedeutsame, ja die bedeutsamsten Momente der Entwicklung in
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