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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Schöffengerichte.

Daß aber derartige Schöffen sehr häufig vorkommen, ist gewiß nicht Schuld
des Schöffenrichters. Das Gerichtsverfasfungsgesetz hat ja allerdings vor¬
gesehen, daß bei der Auswahl der Schöffen wie der Geschwornen die möglichste
Sorgfalt angewendet wird; die Auswahl geschieht dnrch einen Ausschuß, der
aus sieben, von den einzelnen Gemeinden gewählten Personen, und einem Ver¬
waltungsbeamten, in der Regel dem Landrat, besteht und unter Vorsitz des
Amtsrichters zusammentritt. Es ist dem Amtsrichter aber unmöglich, die ein¬
zelnen Gerichtseingesessenen so genau zu kennen, um beurteilen zu können, ob
sie sich zu Schöffen eignen, er muß sich in der Regel auf das Urteil des be¬
treffenden Gemeindedclegirten verlassen, der leider die Frage, ob dieser oder
jener als Schöffe geeignet sei, von einem andern Standpunkte aus beurteilt
als der Richter. Zudem ist außer den Schöffen eine oft noch größere Anzahl
von Geschwornen auszuwählen, bei deren Auswahl mit noch größerer Sorgfalt
vorgegangen werden muß als bei den Schöffen.

Nicht unerheblich wird die Strafrechtspflege bei den Amtsgerichten dadurch
erschwert, daß auf den Gerichtstagen seit der Jnstizreorganisativn Strafsachen
nicht mehr verhandelt werden können. Der wegen einer geringfügigen Über¬
tretung angeklagte ist jetzt genötigt, den oft Meilen weiten Weg zum Amts¬
gerichte zu machen, da er nicht die Mittel hat, sich durch einen Anwalt vertreten
zu lassen; auf Erstattung seiner Auslagen und Versäumnis hat er meist keinen
gesetzlichen Anspruch.

Wenn wir glauben, in vorstehenden Zeilen nachgewiesen zu haben, wie
wenig sich das Institut des Schöffengerichts, vom praktischen Standpunkte aus
betrachtet, bewährt hat, so wollen wir anch die Hoffnung aussprechen, daß die
Zeit nicht allzufern sein werde, wo dem Richter die ihm immer mehr entzogene
Strafrechtspflege ganz zurückgegeben werden wird, jedenfalls aber, daß die
neuere Gesetzgebung von einer weitern Ausdehnung dieses Instituts absehen
werde. Leider soll man höhern Ortes vorläufig nicht sehr geneigt sein, dieses
Volksgericht fallen zu lassen.

Zu Anfang dieses Jahres forderte der preußische Justizminister von den
Landgerichtspräsidenten und den Amtsgerichten Bericht über die Schöffengerichte
ein. Über den Ausfall desselben ist nichts bekannt geworden, aber es ist zu
befürchten, daß manche Richter, namentlich ans ländlichen Bezirken, sich nicht
gegen dieselben ausgesprochen haben, weil die Schöffen ihnen doch niemals Oppo¬
sition machen und sie, wie man sagt, nicht geniren. Würden höhern Ortes
Berichte direkt von denjenigen Schöffenrichtern, welche sich ausschließlich oder
fast ausschließlich mit diesem Teile der Strafrechtspflege zu beschäftigen haben,
eingefordert werden, so würde sicher das Urteil anders ausfallen. Der Schösfen-
richter mit vielseitiger, umfangreicher Praxis wird selten ein Freund des Schöffen¬
gerichts sein und für Beibehaltung desselben schwärmen.




Die Schöffengerichte.

Daß aber derartige Schöffen sehr häufig vorkommen, ist gewiß nicht Schuld
des Schöffenrichters. Das Gerichtsverfasfungsgesetz hat ja allerdings vor¬
gesehen, daß bei der Auswahl der Schöffen wie der Geschwornen die möglichste
Sorgfalt angewendet wird; die Auswahl geschieht dnrch einen Ausschuß, der
aus sieben, von den einzelnen Gemeinden gewählten Personen, und einem Ver¬
waltungsbeamten, in der Regel dem Landrat, besteht und unter Vorsitz des
Amtsrichters zusammentritt. Es ist dem Amtsrichter aber unmöglich, die ein¬
zelnen Gerichtseingesessenen so genau zu kennen, um beurteilen zu können, ob
sie sich zu Schöffen eignen, er muß sich in der Regel auf das Urteil des be¬
treffenden Gemeindedclegirten verlassen, der leider die Frage, ob dieser oder
jener als Schöffe geeignet sei, von einem andern Standpunkte aus beurteilt
als der Richter. Zudem ist außer den Schöffen eine oft noch größere Anzahl
von Geschwornen auszuwählen, bei deren Auswahl mit noch größerer Sorgfalt
vorgegangen werden muß als bei den Schöffen.

Nicht unerheblich wird die Strafrechtspflege bei den Amtsgerichten dadurch
erschwert, daß auf den Gerichtstagen seit der Jnstizreorganisativn Strafsachen
nicht mehr verhandelt werden können. Der wegen einer geringfügigen Über¬
tretung angeklagte ist jetzt genötigt, den oft Meilen weiten Weg zum Amts¬
gerichte zu machen, da er nicht die Mittel hat, sich durch einen Anwalt vertreten
zu lassen; auf Erstattung seiner Auslagen und Versäumnis hat er meist keinen
gesetzlichen Anspruch.

Wenn wir glauben, in vorstehenden Zeilen nachgewiesen zu haben, wie
wenig sich das Institut des Schöffengerichts, vom praktischen Standpunkte aus
betrachtet, bewährt hat, so wollen wir anch die Hoffnung aussprechen, daß die
Zeit nicht allzufern sein werde, wo dem Richter die ihm immer mehr entzogene
Strafrechtspflege ganz zurückgegeben werden wird, jedenfalls aber, daß die
neuere Gesetzgebung von einer weitern Ausdehnung dieses Instituts absehen
werde. Leider soll man höhern Ortes vorläufig nicht sehr geneigt sein, dieses
Volksgericht fallen zu lassen.

Zu Anfang dieses Jahres forderte der preußische Justizminister von den
Landgerichtspräsidenten und den Amtsgerichten Bericht über die Schöffengerichte
ein. Über den Ausfall desselben ist nichts bekannt geworden, aber es ist zu
befürchten, daß manche Richter, namentlich ans ländlichen Bezirken, sich nicht
gegen dieselben ausgesprochen haben, weil die Schöffen ihnen doch niemals Oppo¬
sition machen und sie, wie man sagt, nicht geniren. Würden höhern Ortes
Berichte direkt von denjenigen Schöffenrichtern, welche sich ausschließlich oder
fast ausschließlich mit diesem Teile der Strafrechtspflege zu beschäftigen haben,
eingefordert werden, so würde sicher das Urteil anders ausfallen. Der Schösfen-
richter mit vielseitiger, umfangreicher Praxis wird selten ein Freund des Schöffen¬
gerichts sein und für Beibehaltung desselben schwärmen.




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[0378] Die Schöffengerichte. Daß aber derartige Schöffen sehr häufig vorkommen, ist gewiß nicht Schuld des Schöffenrichters. Das Gerichtsverfasfungsgesetz hat ja allerdings vor¬ gesehen, daß bei der Auswahl der Schöffen wie der Geschwornen die möglichste Sorgfalt angewendet wird; die Auswahl geschieht dnrch einen Ausschuß, der aus sieben, von den einzelnen Gemeinden gewählten Personen, und einem Ver¬ waltungsbeamten, in der Regel dem Landrat, besteht und unter Vorsitz des Amtsrichters zusammentritt. Es ist dem Amtsrichter aber unmöglich, die ein¬ zelnen Gerichtseingesessenen so genau zu kennen, um beurteilen zu können, ob sie sich zu Schöffen eignen, er muß sich in der Regel auf das Urteil des be¬ treffenden Gemeindedclegirten verlassen, der leider die Frage, ob dieser oder jener als Schöffe geeignet sei, von einem andern Standpunkte aus beurteilt als der Richter. Zudem ist außer den Schöffen eine oft noch größere Anzahl von Geschwornen auszuwählen, bei deren Auswahl mit noch größerer Sorgfalt vorgegangen werden muß als bei den Schöffen. Nicht unerheblich wird die Strafrechtspflege bei den Amtsgerichten dadurch erschwert, daß auf den Gerichtstagen seit der Jnstizreorganisativn Strafsachen nicht mehr verhandelt werden können. Der wegen einer geringfügigen Über¬ tretung angeklagte ist jetzt genötigt, den oft Meilen weiten Weg zum Amts¬ gerichte zu machen, da er nicht die Mittel hat, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen; auf Erstattung seiner Auslagen und Versäumnis hat er meist keinen gesetzlichen Anspruch. Wenn wir glauben, in vorstehenden Zeilen nachgewiesen zu haben, wie wenig sich das Institut des Schöffengerichts, vom praktischen Standpunkte aus betrachtet, bewährt hat, so wollen wir anch die Hoffnung aussprechen, daß die Zeit nicht allzufern sein werde, wo dem Richter die ihm immer mehr entzogene Strafrechtspflege ganz zurückgegeben werden wird, jedenfalls aber, daß die neuere Gesetzgebung von einer weitern Ausdehnung dieses Instituts absehen werde. Leider soll man höhern Ortes vorläufig nicht sehr geneigt sein, dieses Volksgericht fallen zu lassen. Zu Anfang dieses Jahres forderte der preußische Justizminister von den Landgerichtspräsidenten und den Amtsgerichten Bericht über die Schöffengerichte ein. Über den Ausfall desselben ist nichts bekannt geworden, aber es ist zu befürchten, daß manche Richter, namentlich ans ländlichen Bezirken, sich nicht gegen dieselben ausgesprochen haben, weil die Schöffen ihnen doch niemals Oppo¬ sition machen und sie, wie man sagt, nicht geniren. Würden höhern Ortes Berichte direkt von denjenigen Schöffenrichtern, welche sich ausschließlich oder fast ausschließlich mit diesem Teile der Strafrechtspflege zu beschäftigen haben, eingefordert werden, so würde sicher das Urteil anders ausfallen. Der Schösfen- richter mit vielseitiger, umfangreicher Praxis wird selten ein Freund des Schöffen¬ gerichts sein und für Beibehaltung desselben schwärmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/378>, abgerufen am 15.01.2025.