Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Schöffengerichte, haben, weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, an einem kleinen Orte zu leben. Daß schon die Dienstführung der Vormünder, welche ebenfalls als Beamte Weit mehr noch als zur Ausübung der Zivilrechtspflege sind zur Pflege Die Verteidiger des Schöffengerichts, denen es an praktischen Erfahrungen Die Schöffengerichte, haben, weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, an einem kleinen Orte zu leben. Daß schon die Dienstführung der Vormünder, welche ebenfalls als Beamte Weit mehr noch als zur Ausübung der Zivilrechtspflege sind zur Pflege Die Verteidiger des Schöffengerichts, denen es an praktischen Erfahrungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197110"/> <fw type="header" place="top"> Die Schöffengerichte,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1181" prev="#ID_1180"> haben, weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, an einem kleinen Orte zu leben.<lb/> Die Preß- und politischen Prozesse wurden (unter Schonung des in Baiern<lb/> bestehenden Zustandes) nicht den Schwurgerichten überwiesen, um diese Prozesse<lb/> nicht zu einem Spielbälle politischer Parteien und Leidenschaften zu mache»,<lb/> aber deu Einfluß lokaler Parteiverhältnisse auf die zu errichtenden Kollcgial-<lb/> gerichte erster Instanz scheute man nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1182"> Daß schon die Dienstführung der Vormünder, welche ebenfalls als Beamte<lb/> fungiren, ohne als solche erzogen zu sein, viel zu wünschen und der Vormund<lb/> sich durch die verschiedensten Einflüsse zu Handlungen bestimmen läßt, welche<lb/> nicht immer im Interesse der Mündel liegen, ist ausreichend bekannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1183"> Weit mehr noch als zur Ausübung der Zivilrechtspflege sind zur Pflege<lb/> des Strafrechts praktische Erfahrungen nicht allein wünschenswert, sondern<lb/> notwendig, da, abgesehen von der thatsächlichen und rechtlichen Beurteilung eines<lb/> Falles, die Grenzen, in welchen sich das Strafmaß bewegt, sehr weit sind; bei<lb/> Diebstahl und Betrug beispielsweise bewegt sich die festzusetzende Gefängnisstrafe<lb/> zwischen einem Tage und fünf Jahren. Der Richter hat bereits während seiner<lb/> Ausbildungszeit den leichten vom schweren Fall zu unterscheiden gelernt, er<lb/> kennt ungefähr das für jeden Fall passende Strafmaß; der Schöffe ohne Praxis<lb/> steht dagegen ratlos da, er weiß nicht, ob er sich der obern oder untern Grenze<lb/> des Strafmaßes nähern soll. Es ist ja allerdings Sache des Vorsitzenden<lb/> Richters, dem Schöffen anch bei Abmessung der Strafe die notwendige An¬<lb/> leitung zu geben, aber derselbe wird immer finden, wie schwer es in schwierigeren<lb/> Fällen dem Schöffen wird, sich für ein Strafmaß zu entscheiden. Wie oft<lb/> kommen ihm Schöffen vor, welche absolut nicht über das Strafminimum hinaus¬<lb/> gehen wollen, während andre, durchdrungen von der Wichtigkeit ihres Amtes,<lb/> sich zu sehr dem Strafmaximmn zu nähern geneigt sind. Hier soll es allerdings<lb/> Aufgabe des Vorsitzenden sein, zu vermitteln. Welcher Angeklagte wollte aber<lb/> wohl nicht lieber von erfahrenen Richtern seine Strafe zudiktirt bekommen, als<lb/> das Maß derselben von dem Zufalle abhängig machen, ob es dem Vorsitzenden<lb/> gelingen wird, die Anschauung der Beisitzer in richtige Bahnen zu lenken?</p><lb/> <p xml:id="ID_1184" next="#ID_1185"> Die Verteidiger des Schöffengerichts, denen es an praktischen Erfahrungen<lb/> fehlt, denken sich die Stellung des Vorsitzenden beim Schöffengerichte überhaupt<lb/> viel leichter, als sie ist. Ihm selbst wäre oft genug in schwierigen Fällen der<lb/> Rat eines Kollegen erwünscht, und jetzt muß er noch seiue Beisitzer, denen oft<lb/> jedes Verständnis für die Sache fehlt, belehre». Während dem Vorsitzenden<lb/> eines Richtcrkollcgiums die Beratung eine Erholung ist, bildet sie für den Vor¬<lb/> sitzenden des Schöffengerichts meist den anstrengendsten Teil seiner Thätigkeit. Er<lb/> kann und will auch uicht seiue Ansicht für die allein richtige halten, und doch<lb/> soll er die Anschauung der Beisitzer mit der seinigen möglichst in Einklang<lb/> bringen, er soll, wie Freunde des Schöffengerichts sich auszudrücken belieben,<lb/> die Schöffen „bearbeiten," jedes widersinnige Urteil soll dem Vorsitzenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0376]
Die Schöffengerichte,
haben, weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, an einem kleinen Orte zu leben.
Die Preß- und politischen Prozesse wurden (unter Schonung des in Baiern
bestehenden Zustandes) nicht den Schwurgerichten überwiesen, um diese Prozesse
nicht zu einem Spielbälle politischer Parteien und Leidenschaften zu mache»,
aber deu Einfluß lokaler Parteiverhältnisse auf die zu errichtenden Kollcgial-
gerichte erster Instanz scheute man nicht.
Daß schon die Dienstführung der Vormünder, welche ebenfalls als Beamte
fungiren, ohne als solche erzogen zu sein, viel zu wünschen und der Vormund
sich durch die verschiedensten Einflüsse zu Handlungen bestimmen läßt, welche
nicht immer im Interesse der Mündel liegen, ist ausreichend bekannt.
Weit mehr noch als zur Ausübung der Zivilrechtspflege sind zur Pflege
des Strafrechts praktische Erfahrungen nicht allein wünschenswert, sondern
notwendig, da, abgesehen von der thatsächlichen und rechtlichen Beurteilung eines
Falles, die Grenzen, in welchen sich das Strafmaß bewegt, sehr weit sind; bei
Diebstahl und Betrug beispielsweise bewegt sich die festzusetzende Gefängnisstrafe
zwischen einem Tage und fünf Jahren. Der Richter hat bereits während seiner
Ausbildungszeit den leichten vom schweren Fall zu unterscheiden gelernt, er
kennt ungefähr das für jeden Fall passende Strafmaß; der Schöffe ohne Praxis
steht dagegen ratlos da, er weiß nicht, ob er sich der obern oder untern Grenze
des Strafmaßes nähern soll. Es ist ja allerdings Sache des Vorsitzenden
Richters, dem Schöffen anch bei Abmessung der Strafe die notwendige An¬
leitung zu geben, aber derselbe wird immer finden, wie schwer es in schwierigeren
Fällen dem Schöffen wird, sich für ein Strafmaß zu entscheiden. Wie oft
kommen ihm Schöffen vor, welche absolut nicht über das Strafminimum hinaus¬
gehen wollen, während andre, durchdrungen von der Wichtigkeit ihres Amtes,
sich zu sehr dem Strafmaximmn zu nähern geneigt sind. Hier soll es allerdings
Aufgabe des Vorsitzenden sein, zu vermitteln. Welcher Angeklagte wollte aber
wohl nicht lieber von erfahrenen Richtern seine Strafe zudiktirt bekommen, als
das Maß derselben von dem Zufalle abhängig machen, ob es dem Vorsitzenden
gelingen wird, die Anschauung der Beisitzer in richtige Bahnen zu lenken?
Die Verteidiger des Schöffengerichts, denen es an praktischen Erfahrungen
fehlt, denken sich die Stellung des Vorsitzenden beim Schöffengerichte überhaupt
viel leichter, als sie ist. Ihm selbst wäre oft genug in schwierigen Fällen der
Rat eines Kollegen erwünscht, und jetzt muß er noch seiue Beisitzer, denen oft
jedes Verständnis für die Sache fehlt, belehre». Während dem Vorsitzenden
eines Richtcrkollcgiums die Beratung eine Erholung ist, bildet sie für den Vor¬
sitzenden des Schöffengerichts meist den anstrengendsten Teil seiner Thätigkeit. Er
kann und will auch uicht seiue Ansicht für die allein richtige halten, und doch
soll er die Anschauung der Beisitzer mit der seinigen möglichst in Einklang
bringen, er soll, wie Freunde des Schöffengerichts sich auszudrücken belieben,
die Schöffen „bearbeiten," jedes widersinnige Urteil soll dem Vorsitzenden
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