Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Schöffengerichte. unbegründet. Die Befangenheit des Schöffen zeigt sich leider in sehr vielen Schon manche Strafthat ist dadurch zur Ausführung gekommen, daß das Ein Vorzug des Schöffengerichts soll es sein, daß der Laie manchen Für völlig verfehlt müssen wir deshalb die Ausführungen eines sonst ver¬ Welche dem Schöffen nahestehenden Verhältnisse bei Fällung des Ur- Die Schöffengerichte. unbegründet. Die Befangenheit des Schöffen zeigt sich leider in sehr vielen Schon manche Strafthat ist dadurch zur Ausführung gekommen, daß das Ein Vorzug des Schöffengerichts soll es sein, daß der Laie manchen Für völlig verfehlt müssen wir deshalb die Ausführungen eines sonst ver¬ Welche dem Schöffen nahestehenden Verhältnisse bei Fällung des Ur- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197107"/> <fw type="header" place="top"> Die Schöffengerichte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1171" prev="#ID_1170"> unbegründet. Die Befangenheit des Schöffen zeigt sich leider in sehr vielen<lb/> Fällen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1172"> Schon manche Strafthat ist dadurch zur Ausführung gekommen, daß das<lb/> Publikum zu leicht Partei nimmt gegen den Polizeibeamten. Dieses gegen den<lb/> Exekutivbeamteu vielfach herrschende Mißtrauen kann der Schöffe selbst dann<lb/> nicht fallen lassen, wenn der Polizeibeamte, dessen früherer diensteidlicher Ver¬<lb/> sicherung das Publikum noch weniger Glauben schenkte, nach Leistung des Eides<lb/> als Zeuge vor ihm steht. Es ist ihm nicht möglich, zu berücksichtigen, daß der<lb/> zur Ruhestiftung, zur Schlichtung eines Streites oder zu einer Verhaftung<lb/> herbeigerufene Beamte den den Angeklagten betastenden Vorfall mit größerer<lb/> Ruhe und Sicherheit, ja einer gewissen Sachkenntnis angesehen und schon des¬<lb/> halb sich alles genauer gemerkt hat, weil er weiß, daß er den Vorfall zur An¬<lb/> zeige bringen und demnächst als Zeuge auftreten muß; der Schöffe kann sich<lb/> nicht freimachen von der volkstümlichen Anschauung, daß der Polizeibeamte<lb/> immer zu weit gehe und sich in alles mische. Ihm scheint deshalb die Aussage<lb/> jedes andern, vielleicht bei der Sache nicht einmal ganz uninteressirten Zeugen<lb/> glaubwürdiger als die des Beamten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1173"> Ein Vorzug des Schöffengerichts soll es sein, daß der Laie manchen<lb/> Lebensverhältnissen näher stehe als der Richter, und daß er deshalb der Indivi¬<lb/> dualität des einzelnen Strasfalles eher Rechnung tragen werde. In der Theorie<lb/> allerdings ein fehr bestechender Grund, der sich aber leider in der Praxis ganz<lb/> anders gestaltet. Nicht nur Verhältnissen, sondern auch Persönlichkeiten steht<lb/> der Schöffe näher als der Richter, und zwar nicht zum Vorteil der unbe¬<lb/> fangenen Beurteilung des vorliegenden Straffalles. Was schadet es denn, wenn<lb/> der Nachbar des Schöffen einmal einen Wagen hat auf der Straße stehen oder<lb/> einen Hund hat ohne Maulkorb laufen lassen? das hat der Schöffe selbst auch<lb/> schon gethan, das brauchte ja der Polizeidiener nicht sofort zur Anzeige zu<lb/> bringen; wenn der Angeklagte aber bestraft werden muß, so ist man für die<lb/> geringste Strafe, wenn sich auch der Delinquent schon wiederholt dieselbe Ge¬<lb/> setzesübertretung hätte zu schulden kommen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1174"> Für völlig verfehlt müssen wir deshalb die Ausführungen eines sonst ver¬<lb/> dienten Mitgliedes der Kommission des Reichstages erachten, welches meinte,<lb/> durch die Beurteilung der kleinen, das tägliche Leben berührenden Fälle dnrch<lb/> Schöffen wachse die Achtung vor dem Gesetze und der Respekt vor der Recht¬<lb/> sprechung im Publikum in hohem Maße, jeder Schöffe, der an gerichtlichen<lb/> Verhandlungen teil genommen habe, trete für das Gesetz und die richterliche<lb/> Thätigkeit ein, namentlich trete er der Meinung entgegen, daß in den Polizei-<lb/> Verordnungen meist eine unnütze Belästigung der Bürger liege. Es wäre wünschens¬<lb/> wert, wenn sich bei uns ein solcher Respekt vor dem Gesetze fände, aber leider<lb/> stehen wir noch nicht auf dieser Höhe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1175" next="#ID_1176"> Welche dem Schöffen nahestehenden Verhältnisse bei Fällung des Ur-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0373]
Die Schöffengerichte.
unbegründet. Die Befangenheit des Schöffen zeigt sich leider in sehr vielen
Fällen.
Schon manche Strafthat ist dadurch zur Ausführung gekommen, daß das
Publikum zu leicht Partei nimmt gegen den Polizeibeamten. Dieses gegen den
Exekutivbeamteu vielfach herrschende Mißtrauen kann der Schöffe selbst dann
nicht fallen lassen, wenn der Polizeibeamte, dessen früherer diensteidlicher Ver¬
sicherung das Publikum noch weniger Glauben schenkte, nach Leistung des Eides
als Zeuge vor ihm steht. Es ist ihm nicht möglich, zu berücksichtigen, daß der
zur Ruhestiftung, zur Schlichtung eines Streites oder zu einer Verhaftung
herbeigerufene Beamte den den Angeklagten betastenden Vorfall mit größerer
Ruhe und Sicherheit, ja einer gewissen Sachkenntnis angesehen und schon des¬
halb sich alles genauer gemerkt hat, weil er weiß, daß er den Vorfall zur An¬
zeige bringen und demnächst als Zeuge auftreten muß; der Schöffe kann sich
nicht freimachen von der volkstümlichen Anschauung, daß der Polizeibeamte
immer zu weit gehe und sich in alles mische. Ihm scheint deshalb die Aussage
jedes andern, vielleicht bei der Sache nicht einmal ganz uninteressirten Zeugen
glaubwürdiger als die des Beamten.
Ein Vorzug des Schöffengerichts soll es sein, daß der Laie manchen
Lebensverhältnissen näher stehe als der Richter, und daß er deshalb der Indivi¬
dualität des einzelnen Strasfalles eher Rechnung tragen werde. In der Theorie
allerdings ein fehr bestechender Grund, der sich aber leider in der Praxis ganz
anders gestaltet. Nicht nur Verhältnissen, sondern auch Persönlichkeiten steht
der Schöffe näher als der Richter, und zwar nicht zum Vorteil der unbe¬
fangenen Beurteilung des vorliegenden Straffalles. Was schadet es denn, wenn
der Nachbar des Schöffen einmal einen Wagen hat auf der Straße stehen oder
einen Hund hat ohne Maulkorb laufen lassen? das hat der Schöffe selbst auch
schon gethan, das brauchte ja der Polizeidiener nicht sofort zur Anzeige zu
bringen; wenn der Angeklagte aber bestraft werden muß, so ist man für die
geringste Strafe, wenn sich auch der Delinquent schon wiederholt dieselbe Ge¬
setzesübertretung hätte zu schulden kommen lassen.
Für völlig verfehlt müssen wir deshalb die Ausführungen eines sonst ver¬
dienten Mitgliedes der Kommission des Reichstages erachten, welches meinte,
durch die Beurteilung der kleinen, das tägliche Leben berührenden Fälle dnrch
Schöffen wachse die Achtung vor dem Gesetze und der Respekt vor der Recht¬
sprechung im Publikum in hohem Maße, jeder Schöffe, der an gerichtlichen
Verhandlungen teil genommen habe, trete für das Gesetz und die richterliche
Thätigkeit ein, namentlich trete er der Meinung entgegen, daß in den Polizei-
Verordnungen meist eine unnütze Belästigung der Bürger liege. Es wäre wünschens¬
wert, wenn sich bei uns ein solcher Respekt vor dem Gesetze fände, aber leider
stehen wir noch nicht auf dieser Höhe.
Welche dem Schöffen nahestehenden Verhältnisse bei Fällung des Ur-
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