Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Schöffengerichte. so wenig intelligentere Leute im Bezirke, die den Verhandlungen mit Erfolg Der Justizminister Leonhardt behauptete bei der ersten Lesung des Gerichts¬ Wenngleich wir dem Schöffen nicht den Vorwurf mangelnder Unpartei¬ Die Schöffengerichte. so wenig intelligentere Leute im Bezirke, die den Verhandlungen mit Erfolg Der Justizminister Leonhardt behauptete bei der ersten Lesung des Gerichts¬ Wenngleich wir dem Schöffen nicht den Vorwurf mangelnder Unpartei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197106"/> <fw type="header" place="top"> Die Schöffengerichte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1168" prev="#ID_1167"> so wenig intelligentere Leute im Bezirke, die den Verhandlungen mit Erfolg<lb/> folgen konnten — weshalb soll er dem Herrn Amtsrichter nicht den Gefälle» thun,<lb/> er ist ja dann auch sicher, im laufenden und nächsten Jahre nicht Geschworner zu<lb/> werden, und das ist ein großer Vorteil. So ein Schöffengericht bietet doch auch<lb/> eine angenehme Abwechslung in dem ewigen Einerlei des kleinstädtischen Lebens,<lb/> Zeit hat man, man bekommt doch auch allerlei zu hören. Daß aber, wie der<lb/> Generalstaatsanwalt Schwarze bei der ersten Beratung des Gesetzes im Plenum<lb/> des Reichstages hervorhob, die Geschwornen viel eher geneigt sind, die Über¬<lb/> nahme des ihnen zugedachten Amtes abzulehnen, als die Schöffen, hat seinen<lb/> Grund gewiß nicht in der Vorliebe des Laien für das Schöffengericht, sondern<lb/> darin, daß der vielfach zwei Wochen und länger dauernde Dienst des Ge¬<lb/> schwornen erheblich schwerer ist. Das ist der Grund der vom Justizminister<lb/> Leonhardt bei der ersten Lesung in der Kommission hervorgehobenen Erschei¬<lb/> nung, daß Laien sich zum Schöffcndienste förmlich drängten, während sie vom<lb/> Geschwornendienste in jeder Weise loszukommen suchten. Die größere oder ge¬<lb/> ringere Willigkeit des Laien zur Übernahme eines Amtes richtet sich ebeu meist<lb/> nach der Größe der ihm auferlegten Last.</p><lb/> <p xml:id="ID_1169"> Der Justizminister Leonhardt behauptete bei der ersten Lesung des Gerichts¬<lb/> verfassungsgesetzes in der Kommission, eine streng korrekte Rechtsprechung werde<lb/> durch Laien nicht verbürgt; ob aber eine streng korrekte Rechtsprechung abso¬<lb/> lutes Erfordernis sei, sei die Frage, es komme nur darauf an, daß die Recht¬<lb/> sprechung das Vertrauen des Volkes genieße; deswegen empfehle sich die Zu¬<lb/> ziehung des Laienelements, deswegen erscheine diese ganze Frage aber mich als<lb/> eine Frage der Politik und Opportunität. Wir glauben aber doch, diesem Satze<lb/> die Behauptung entgegenstellen zu können, daß die bis dahin bestehende Recht><lb/> sprechung durch Berufsrichter durchaus das Vertrauen des Volkes genoß, daß<lb/> sich aber ein erhebliches Verlangen nach Schöffengerichten weder im Volke noch<lb/> bei einzelnen politischen Parteien kundgab. Der Angeklagte, dem früher die<lb/> Person des Richters gleichgültig war, glaubt jetzt schon vielfach aus der Person<lb/> und Stellung des Schöffen schließen zu können, wie derselbe über seinen Fall<lb/> denken werde. Kommen doch nicht selten beim Gerichtsschreiber Anfragen<lb/> der Angeklagten vor, wer an diesem oder jenem Tage als Schöffe fungiren<lb/> werde! Bei der Kritik eines gefällten Urteils wird im Publikum, selbst vom<lb/> verurteilten Angeklagten, die Person des Richters selten berührt, die Person des<lb/> Schöffen unterliegt derselben leider. Dem Antisemiten paßt es nicht, daß der<lb/> Jude .L. als Schöffe über ihn gerichtet hat, dem bäuerlichen Schöffen wird Mangel<lb/> an Kenntnis städtischer Angelegenheiten, dem städtischen Schöffen dagegen um¬<lb/> gekehrt Unkenntnis der Verhältnisse auf dem Lande vorgeworfen, selbst persön¬<lb/> liche Beziehungen bleiben in der Kritik nicht unberührt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1170" next="#ID_1171"> Wenngleich wir dem Schöffen nicht den Vorwurf mangelnder Unpartei¬<lb/> lichkeit machen wollen, der Vorwurf der mangelnden Unbefangenheit ist nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
Die Schöffengerichte.
so wenig intelligentere Leute im Bezirke, die den Verhandlungen mit Erfolg
folgen konnten — weshalb soll er dem Herrn Amtsrichter nicht den Gefälle» thun,
er ist ja dann auch sicher, im laufenden und nächsten Jahre nicht Geschworner zu
werden, und das ist ein großer Vorteil. So ein Schöffengericht bietet doch auch
eine angenehme Abwechslung in dem ewigen Einerlei des kleinstädtischen Lebens,
Zeit hat man, man bekommt doch auch allerlei zu hören. Daß aber, wie der
Generalstaatsanwalt Schwarze bei der ersten Beratung des Gesetzes im Plenum
des Reichstages hervorhob, die Geschwornen viel eher geneigt sind, die Über¬
nahme des ihnen zugedachten Amtes abzulehnen, als die Schöffen, hat seinen
Grund gewiß nicht in der Vorliebe des Laien für das Schöffengericht, sondern
darin, daß der vielfach zwei Wochen und länger dauernde Dienst des Ge¬
schwornen erheblich schwerer ist. Das ist der Grund der vom Justizminister
Leonhardt bei der ersten Lesung in der Kommission hervorgehobenen Erschei¬
nung, daß Laien sich zum Schöffcndienste förmlich drängten, während sie vom
Geschwornendienste in jeder Weise loszukommen suchten. Die größere oder ge¬
ringere Willigkeit des Laien zur Übernahme eines Amtes richtet sich ebeu meist
nach der Größe der ihm auferlegten Last.
Der Justizminister Leonhardt behauptete bei der ersten Lesung des Gerichts¬
verfassungsgesetzes in der Kommission, eine streng korrekte Rechtsprechung werde
durch Laien nicht verbürgt; ob aber eine streng korrekte Rechtsprechung abso¬
lutes Erfordernis sei, sei die Frage, es komme nur darauf an, daß die Recht¬
sprechung das Vertrauen des Volkes genieße; deswegen empfehle sich die Zu¬
ziehung des Laienelements, deswegen erscheine diese ganze Frage aber mich als
eine Frage der Politik und Opportunität. Wir glauben aber doch, diesem Satze
die Behauptung entgegenstellen zu können, daß die bis dahin bestehende Recht>
sprechung durch Berufsrichter durchaus das Vertrauen des Volkes genoß, daß
sich aber ein erhebliches Verlangen nach Schöffengerichten weder im Volke noch
bei einzelnen politischen Parteien kundgab. Der Angeklagte, dem früher die
Person des Richters gleichgültig war, glaubt jetzt schon vielfach aus der Person
und Stellung des Schöffen schließen zu können, wie derselbe über seinen Fall
denken werde. Kommen doch nicht selten beim Gerichtsschreiber Anfragen
der Angeklagten vor, wer an diesem oder jenem Tage als Schöffe fungiren
werde! Bei der Kritik eines gefällten Urteils wird im Publikum, selbst vom
verurteilten Angeklagten, die Person des Richters selten berührt, die Person des
Schöffen unterliegt derselben leider. Dem Antisemiten paßt es nicht, daß der
Jude .L. als Schöffe über ihn gerichtet hat, dem bäuerlichen Schöffen wird Mangel
an Kenntnis städtischer Angelegenheiten, dem städtischen Schöffen dagegen um¬
gekehrt Unkenntnis der Verhältnisse auf dem Lande vorgeworfen, selbst persön¬
liche Beziehungen bleiben in der Kritik nicht unberührt.
Wenngleich wir dem Schöffen nicht den Vorwurf mangelnder Unpartei¬
lichkeit machen wollen, der Vorwurf der mangelnden Unbefangenheit ist nicht
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