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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Handwerker der Poesie.

hohen Nordosten oder Nordwesten nicht, ist ganz haltlos. Wie lange ist es
her, daß man zu dem Vorschlage, Zuckerrüben in Ostpreußen zu bauen, gelacht,
und gar die Idee, auch den Hopfcnban dorthin zu verpflanzen, für die eines
ganz überspannten Narren gehalten haben würde? Und jetzt hat Ostpreußen
seine trefflich gedeihenden Riibenpflanzungen und Zuckerfabriken, und der ermlän-
dische, ja bis tief in das Masurische hinein sich ausdehnende Hopfenbau jener
Gegenden beginnt auf dem Hopfenmarkte eine Rolle zu spielen. Treffliche Obst¬
gärten aber findet man durch ganz Ostpreußen hindurch, bis an die äußersten
östliche" und nordöstlichen Grenzen desselben; nicht das Klima, sondern nur hie
und da die Bodenbeschaffenheit und sehr vielfach die Indolenz und Kenntnis-
losigkeit oder auch mangelnde Geneigtheit der Gutsbesitzer stehen dem Obstbau
im Wege. Wer die Obstgärten von Groß-Ramsau bei Wartenburg, Mvlditten
bei Rössel, Althof bei Nagnit, wer die Weinberge des Freiherrn von Mirbach
zu Sorquitten bei Sensburg gesehen hat, der lacht zu der Behauptung, im
Nordosten könnten Obst und Wein nicht fortkommen. An der Disposition der
Menschen fehlt es, an nichts weiter!

Und nun noch ein Wort. Was giebt dem Engländer, auch dem Amerikaner
und Franzosen das mutige, hie und da auch brutale Selbstbewußtsein, mit dem
er seine Geschäfte betreibt und seine Unternehmungen in Angriff nimmt? Es
ist das Bewußtsein: Lüvis rourMus sum, welches in ihm lebendig geworden und
schon in das ererbte Wesen, in den Vvlksthpns übergegangen ist. Auch wir hatten
einst ähnliche Eigenschaften, und wenn Stadt und Land damals blühten und ge¬
diehen, so war dies gewiß zum wesentlichen Teile hierauf zurückzuführen. Soll
diese Blüte wiederkehren, auch in einem anscheinend untergeordneten, in Wirklichkeit
sehr bedeutsamen Punkte wie der Ausdehnung des Obst- nud Weinbaues, so ist
eine Hauptbedingung hierfür die, daß unser Volk wieder lerne an sich selbst
und an die höchste Knlturfähigkeit des deutschen Bodens zu glauben!




Die Handwerker der Poesie.

Wisse, daß mir sehr mißfällt,
Wenn so viele singen und reden!
Wer treibt die Dichtkunst aus der Welt?
Die Poeten!

M le Alten nannten den Dichter einen Seher, seine Kunst ein gött¬
liches Geschenk, und im Namen des "Poeten" schon lag, daß er
ein "Schaffender" war. Die literarische Kritik liebt es heute, die
geheimen Pfade des Dichters verfolgend, aufzuspüren, woher er
den Stoff seiner Dichtungen nimmt, die ihm aus dem Erfahrungs-
leben zuwachsen, und die psychologische Ästhetik, welche die "Bedingungen der


Die Handwerker der Poesie.

hohen Nordosten oder Nordwesten nicht, ist ganz haltlos. Wie lange ist es
her, daß man zu dem Vorschlage, Zuckerrüben in Ostpreußen zu bauen, gelacht,
und gar die Idee, auch den Hopfcnban dorthin zu verpflanzen, für die eines
ganz überspannten Narren gehalten haben würde? Und jetzt hat Ostpreußen
seine trefflich gedeihenden Riibenpflanzungen und Zuckerfabriken, und der ermlän-
dische, ja bis tief in das Masurische hinein sich ausdehnende Hopfenbau jener
Gegenden beginnt auf dem Hopfenmarkte eine Rolle zu spielen. Treffliche Obst¬
gärten aber findet man durch ganz Ostpreußen hindurch, bis an die äußersten
östliche» und nordöstlichen Grenzen desselben; nicht das Klima, sondern nur hie
und da die Bodenbeschaffenheit und sehr vielfach die Indolenz und Kenntnis-
losigkeit oder auch mangelnde Geneigtheit der Gutsbesitzer stehen dem Obstbau
im Wege. Wer die Obstgärten von Groß-Ramsau bei Wartenburg, Mvlditten
bei Rössel, Althof bei Nagnit, wer die Weinberge des Freiherrn von Mirbach
zu Sorquitten bei Sensburg gesehen hat, der lacht zu der Behauptung, im
Nordosten könnten Obst und Wein nicht fortkommen. An der Disposition der
Menschen fehlt es, an nichts weiter!

Und nun noch ein Wort. Was giebt dem Engländer, auch dem Amerikaner
und Franzosen das mutige, hie und da auch brutale Selbstbewußtsein, mit dem
er seine Geschäfte betreibt und seine Unternehmungen in Angriff nimmt? Es
ist das Bewußtsein: Lüvis rourMus sum, welches in ihm lebendig geworden und
schon in das ererbte Wesen, in den Vvlksthpns übergegangen ist. Auch wir hatten
einst ähnliche Eigenschaften, und wenn Stadt und Land damals blühten und ge¬
diehen, so war dies gewiß zum wesentlichen Teile hierauf zurückzuführen. Soll
diese Blüte wiederkehren, auch in einem anscheinend untergeordneten, in Wirklichkeit
sehr bedeutsamen Punkte wie der Ausdehnung des Obst- nud Weinbaues, so ist
eine Hauptbedingung hierfür die, daß unser Volk wieder lerne an sich selbst
und an die höchste Knlturfähigkeit des deutschen Bodens zu glauben!




Die Handwerker der Poesie.

Wisse, daß mir sehr mißfällt,
Wenn so viele singen und reden!
Wer treibt die Dichtkunst aus der Welt?
Die Poeten!

M le Alten nannten den Dichter einen Seher, seine Kunst ein gött¬
liches Geschenk, und im Namen des „Poeten" schon lag, daß er
ein „Schaffender" war. Die literarische Kritik liebt es heute, die
geheimen Pfade des Dichters verfolgend, aufzuspüren, woher er
den Stoff seiner Dichtungen nimmt, die ihm aus dem Erfahrungs-
leben zuwachsen, und die psychologische Ästhetik, welche die „Bedingungen der


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[0035] Die Handwerker der Poesie. hohen Nordosten oder Nordwesten nicht, ist ganz haltlos. Wie lange ist es her, daß man zu dem Vorschlage, Zuckerrüben in Ostpreußen zu bauen, gelacht, und gar die Idee, auch den Hopfcnban dorthin zu verpflanzen, für die eines ganz überspannten Narren gehalten haben würde? Und jetzt hat Ostpreußen seine trefflich gedeihenden Riibenpflanzungen und Zuckerfabriken, und der ermlän- dische, ja bis tief in das Masurische hinein sich ausdehnende Hopfenbau jener Gegenden beginnt auf dem Hopfenmarkte eine Rolle zu spielen. Treffliche Obst¬ gärten aber findet man durch ganz Ostpreußen hindurch, bis an die äußersten östliche» und nordöstlichen Grenzen desselben; nicht das Klima, sondern nur hie und da die Bodenbeschaffenheit und sehr vielfach die Indolenz und Kenntnis- losigkeit oder auch mangelnde Geneigtheit der Gutsbesitzer stehen dem Obstbau im Wege. Wer die Obstgärten von Groß-Ramsau bei Wartenburg, Mvlditten bei Rössel, Althof bei Nagnit, wer die Weinberge des Freiherrn von Mirbach zu Sorquitten bei Sensburg gesehen hat, der lacht zu der Behauptung, im Nordosten könnten Obst und Wein nicht fortkommen. An der Disposition der Menschen fehlt es, an nichts weiter! Und nun noch ein Wort. Was giebt dem Engländer, auch dem Amerikaner und Franzosen das mutige, hie und da auch brutale Selbstbewußtsein, mit dem er seine Geschäfte betreibt und seine Unternehmungen in Angriff nimmt? Es ist das Bewußtsein: Lüvis rourMus sum, welches in ihm lebendig geworden und schon in das ererbte Wesen, in den Vvlksthpns übergegangen ist. Auch wir hatten einst ähnliche Eigenschaften, und wenn Stadt und Land damals blühten und ge¬ diehen, so war dies gewiß zum wesentlichen Teile hierauf zurückzuführen. Soll diese Blüte wiederkehren, auch in einem anscheinend untergeordneten, in Wirklichkeit sehr bedeutsamen Punkte wie der Ausdehnung des Obst- nud Weinbaues, so ist eine Hauptbedingung hierfür die, daß unser Volk wieder lerne an sich selbst und an die höchste Knlturfähigkeit des deutschen Bodens zu glauben! Die Handwerker der Poesie. Wisse, daß mir sehr mißfällt, Wenn so viele singen und reden! Wer treibt die Dichtkunst aus der Welt? Die Poeten! M le Alten nannten den Dichter einen Seher, seine Kunst ein gött¬ liches Geschenk, und im Namen des „Poeten" schon lag, daß er ein „Schaffender" war. Die literarische Kritik liebt es heute, die geheimen Pfade des Dichters verfolgend, aufzuspüren, woher er den Stoff seiner Dichtungen nimmt, die ihm aus dem Erfahrungs- leben zuwachsen, und die psychologische Ästhetik, welche die „Bedingungen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/35>, abgerufen am 15.01.2025.