Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zum Sozialistengesetz. Unsre Leute sind nicht so aufgeregt, wie richtige Pariser, aber sie sind noch Gneist wird dieser Argumentation entgegentreten. Mit Recht. Denn sie Oder sollten wir uns entschließen, das ganze sozialdemokratische Wesen in Zum Sozialistengesetz. Unsre Leute sind nicht so aufgeregt, wie richtige Pariser, aber sie sind noch Gneist wird dieser Argumentation entgegentreten. Mit Recht. Denn sie Oder sollten wir uns entschließen, das ganze sozialdemokratische Wesen in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197057"/> <fw type="header" place="top"> Zum Sozialistengesetz.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1041" prev="#ID_1040"> Unsre Leute sind nicht so aufgeregt, wie richtige Pariser, aber sie sind noch<lb/> konsequenter. Wir könnten also das Experiment Greises nur annehmen, wenn<lb/> wir uns auf den Zeitpunkt einrichten wollten, da der Säbel haut und die Flinte<lb/> schießt. So fassen manche die Lage auf. Kann man, so sagen sie, mit den<lb/> wirklich heilsamen Maßregeln nicht schneller vorgehen, als es beim Krankcnkasscn-<lb/> gesetz und dem Unfallversicherungsgesetz sich gezeigt hat, so kommen wir mit<lb/> allen unsern guten Gedanken zu spät. Finden wir nicht willigere und fähigere<lb/> Köpfe, um die Gesetzentwürfe von vornherein angemessen zu gestalten, die dem<lb/> Parlament vorgelegt werden sollen, und kann der Parteihader der Annahme<lb/> dieser Entwürfe einen so zähen Widerstand entgegensetzen, so hilft doch alles<lb/> nichts. Die Erbitterung der Massen durchbricht die Schranken der mühsam<lb/> gehandhabten Ordnung, und wenn dies einmal nicht zu umgehen ist, so ist es<lb/> besser, wenn es bald geschieht. Jetzt ist ein solcher Versuch mit weniger Blut¬<lb/> vergießen niederzuschlagen, als später. Und nur weil die Sozialdemokraten diesen<lb/> Ausgang eines Putsches mit Sicherheit voraussehen, haben sie sich bis jetzt auf<lb/> bloße Einzelunternehmungen beschränkt. Es wäre demnach, so würde man in<lb/> jener pessimistischen Stimmung fortfahren zu argumeutiren, besser, durch Frei¬<lb/> gebung der roten Presse und andre Lockerung der Bande das Losschlagen der<lb/> Revolutionäre zu beschleunigen, um für längere Zeit ein Exempel zu statuiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1042"> Gneist wird dieser Argumentation entgegentreten. Mit Recht. Denn sie<lb/> stellt sich auf den Boden einer immerhin ungewissen Prophetie. Wie Fürst<lb/> Vismarck alles unterließ, was den freilich unvermeidlichen Krieg mit Frankreich<lb/> beschleunigen mußte, mit den Worten: „So genau kennt niemand die Wege der<lb/> Vorsehung," so wird es wohl auch in diesen sozialistischen Zukunftsfragen sein.<lb/> Jeder einzelne Schritt der Gesetzgebung auf diesem Gebiete muß, wie überhaupt<lb/> unser Handeln, nicht bloß auf seinen schließlich zu erwartenden politischen Erfolg<lb/> geprüft werden, sondern es fragt sich bei jedem einzelnen Schritte, ob er selbst<lb/> den Forderungen des Rechts und der politischen Moral entspricht. Alles andre<lb/> hieße selbst Vorsehung spielen wollen. Und dazu fehlt den Menschen doch sowohl<lb/> Einsicht wie Macht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1043" next="#ID_1044"> Oder sollten wir uns entschließen, das ganze sozialdemokratische Wesen in<lb/> seiner Bedeutung möglichst gering anzuschlagen? Es mag solche starke Naturen<lb/> geben, die innerlich nicht einen Augenblick erschüttert werden, wenn sie an die<lb/> Großstädte und ihre Massen denken, in denen Mcimulay die Hunnen und<lb/> Vandalen unsrer Zeit ahnte. So sagte seiner Zeit Du Bois-Reymond: Macaulay<lb/> ^he zu schwarz, naturgemäß bleibe diese Gefahr in Zeit und Raum auf einzelne<lb/> Punkte beschränkt, „die Kultur im großen und ganzen hat auch von der roten<lb/> Internationalen nichts zu fürchten." Wir ehren die Höhe dieses Standpunktes.<lb/> Es ist gewiß so, daß auch die gelungne rote Umwälzung nicht für immer<lb/> gelingen und gedeihen kann. Einst wird sich die Menschheit wieder emporheben<lb/> aus dem Sumpfe der gleichen Unfreiheit und Misere, und die Erziehung der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0323]
Zum Sozialistengesetz.
Unsre Leute sind nicht so aufgeregt, wie richtige Pariser, aber sie sind noch
konsequenter. Wir könnten also das Experiment Greises nur annehmen, wenn
wir uns auf den Zeitpunkt einrichten wollten, da der Säbel haut und die Flinte
schießt. So fassen manche die Lage auf. Kann man, so sagen sie, mit den
wirklich heilsamen Maßregeln nicht schneller vorgehen, als es beim Krankcnkasscn-
gesetz und dem Unfallversicherungsgesetz sich gezeigt hat, so kommen wir mit
allen unsern guten Gedanken zu spät. Finden wir nicht willigere und fähigere
Köpfe, um die Gesetzentwürfe von vornherein angemessen zu gestalten, die dem
Parlament vorgelegt werden sollen, und kann der Parteihader der Annahme
dieser Entwürfe einen so zähen Widerstand entgegensetzen, so hilft doch alles
nichts. Die Erbitterung der Massen durchbricht die Schranken der mühsam
gehandhabten Ordnung, und wenn dies einmal nicht zu umgehen ist, so ist es
besser, wenn es bald geschieht. Jetzt ist ein solcher Versuch mit weniger Blut¬
vergießen niederzuschlagen, als später. Und nur weil die Sozialdemokraten diesen
Ausgang eines Putsches mit Sicherheit voraussehen, haben sie sich bis jetzt auf
bloße Einzelunternehmungen beschränkt. Es wäre demnach, so würde man in
jener pessimistischen Stimmung fortfahren zu argumeutiren, besser, durch Frei¬
gebung der roten Presse und andre Lockerung der Bande das Losschlagen der
Revolutionäre zu beschleunigen, um für längere Zeit ein Exempel zu statuiren.
Gneist wird dieser Argumentation entgegentreten. Mit Recht. Denn sie
stellt sich auf den Boden einer immerhin ungewissen Prophetie. Wie Fürst
Vismarck alles unterließ, was den freilich unvermeidlichen Krieg mit Frankreich
beschleunigen mußte, mit den Worten: „So genau kennt niemand die Wege der
Vorsehung," so wird es wohl auch in diesen sozialistischen Zukunftsfragen sein.
Jeder einzelne Schritt der Gesetzgebung auf diesem Gebiete muß, wie überhaupt
unser Handeln, nicht bloß auf seinen schließlich zu erwartenden politischen Erfolg
geprüft werden, sondern es fragt sich bei jedem einzelnen Schritte, ob er selbst
den Forderungen des Rechts und der politischen Moral entspricht. Alles andre
hieße selbst Vorsehung spielen wollen. Und dazu fehlt den Menschen doch sowohl
Einsicht wie Macht.
Oder sollten wir uns entschließen, das ganze sozialdemokratische Wesen in
seiner Bedeutung möglichst gering anzuschlagen? Es mag solche starke Naturen
geben, die innerlich nicht einen Augenblick erschüttert werden, wenn sie an die
Großstädte und ihre Massen denken, in denen Mcimulay die Hunnen und
Vandalen unsrer Zeit ahnte. So sagte seiner Zeit Du Bois-Reymond: Macaulay
^he zu schwarz, naturgemäß bleibe diese Gefahr in Zeit und Raum auf einzelne
Punkte beschränkt, „die Kultur im großen und ganzen hat auch von der roten
Internationalen nichts zu fürchten." Wir ehren die Höhe dieses Standpunktes.
Es ist gewiß so, daß auch die gelungne rote Umwälzung nicht für immer
gelingen und gedeihen kann. Einst wird sich die Menschheit wieder emporheben
aus dem Sumpfe der gleichen Unfreiheit und Misere, und die Erziehung der
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