Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zum Sozialistengesetz. dem gewöhnlichen Preßgesetz unterstellen? Es ließe sich denken, daß die Von den heilsamen Wirkungen der sozialen Reform ist bis jetzt so gut wie Und doch muß man einem Manne wie Gneist eine nicht geringe Kenntnis Er scheint diese Presse nicht für so gefährlich zu halten, wenn die Be¬ Zum Sozialistengesetz. dem gewöhnlichen Preßgesetz unterstellen? Es ließe sich denken, daß die Von den heilsamen Wirkungen der sozialen Reform ist bis jetzt so gut wie Und doch muß man einem Manne wie Gneist eine nicht geringe Kenntnis Er scheint diese Presse nicht für so gefährlich zu halten, wenn die Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197056"/> <fw type="header" place="top"> Zum Sozialistengesetz.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1037" prev="#ID_1036"> dem gewöhnlichen Preßgesetz unterstellen? Es ließe sich denken, daß die<lb/> Geschichte seit 1878 den Arbeitern klar gemacht hätte, die bestehende Ordnung<lb/> der Gesellschaft sei doch nicht so schlecht, daß sie gewaltsam umgestürzt werden<lb/> müsse. Man habe gesehen, daß die andern Klassen der Gesellschaft, allerdings<lb/> unter starkem Drucke der monarchischen Regierung, etwas leisten wollten für<lb/> die kranken Arbeiter und für den Fall ihrer Verunglückung. Auch für Erwerbs¬<lb/> stockungen und Altersversorgung habe man die helfende Hand schon gezeigt, und<lb/> zwar wolle man die Hilfe nicht als Barmherzigkeit gewähren, sondern als<lb/> gesetzlichen Anspruch. So könnte ein Optimist sagen und daraus die Hoffnung<lb/> ableiten, man könne es mir der Aufhebung der Preßbeschränkung versuchen.<lb/> Die Ordnungspresse sei ja auch frei und werde zu zeigen vermögen, daß alle<lb/> radikalen Pläne der Sozialdemokratie gegenüber dem Bestände von heute un-<lb/> realisirbar und thöricht seien. Aber konnte die gute Presse das nicht auch vor<lb/> 1878? Sie muß es doch wohl nicht genügend und so gethan haben, daß die<lb/> Leute es verstehen konnten; vielmehr wuchs die Zahl derjenigen Leser von Tag<lb/> zu Tage, die vollkommen überzeugt waren, daß nnr Umsturz, Aufhebung des<lb/> Privatbesitzes an Grund und Boden und Produktionsmitteln durch Gewalt¬<lb/> maßregeln etwas helfen könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_1038"> Von den heilsamen Wirkungen der sozialen Reform ist bis jetzt so gut wie<lb/> nichts in das Gefühl der Arbeiter gelangt. Und in das Gefühl muß das<lb/> gelangen, was auf ihre Stimmung wirken soll. Wenn man nach Jahren einmal<lb/> mit Händen greift, daß die neuen Gesetze den geringen Mann unabhängiger<lb/> machen von Krankheit und Schicksal und von dem guten Willen des Arbeit¬<lb/> gebers, dann läßt sich der Schwätzer, der alles für grundschlecht und zum<lb/> Umsturz reif erklärt, vielleicht bei dem Arbeiter diskreditiren; für jetzt ist nicht<lb/> die geringste Aussicht dazu vorhanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1039"> Und doch muß man einem Manne wie Gneist eine nicht geringe Kenntnis<lb/> des Arbeiterstandes zugestehen; er ist Vorsitzender des Zenträlvereins für das<lb/> Wohl der arbeitenden Klaffen. Jeder weiß, wie wertvoll auch für die Presse<lb/> seine und Professor Böhmerts Bemühungen sind, und es ist ihm eine Fühlung<lb/> mit den Bedürfnisse» der Arbeiter nicht abzusprechen. Wir fragen also immer<lb/> wieder, warum er die Befreiung der sozialdemokratischen Presse für empfehlens¬<lb/> wert hält.</p><lb/> <p xml:id="ID_1040" next="#ID_1041"> Er scheint diese Presse nicht für so gefährlich zu halten, wenn die Be¬<lb/> schränkungen des Vereinsrechts, die ja in den Paragraphen des Spezialgesetzes<lb/> giltig bleiben sollen, jener Preßfreiheit die Spitze abbrechen. Darin ist gewiß<lb/> manches Nichtige. Wir sehen es auch in den Nachbarländern, daß, wo die<lb/> Vereinspolizei schneidig gehandhabt wird, die Preßfreiheit praktisch nicht soviel<lb/> schadet. Aber wie lange wird es möglich sein, dem zügellosen Haufen Schranken<lb/> zu setzen? Wir haben in Paris noch vor kurzem gesehen, daß die Polizei<lb/> Szenen nicht verhindern kann, die an die amerikanischen völlig hinanreichen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
Zum Sozialistengesetz.
dem gewöhnlichen Preßgesetz unterstellen? Es ließe sich denken, daß die
Geschichte seit 1878 den Arbeitern klar gemacht hätte, die bestehende Ordnung
der Gesellschaft sei doch nicht so schlecht, daß sie gewaltsam umgestürzt werden
müsse. Man habe gesehen, daß die andern Klassen der Gesellschaft, allerdings
unter starkem Drucke der monarchischen Regierung, etwas leisten wollten für
die kranken Arbeiter und für den Fall ihrer Verunglückung. Auch für Erwerbs¬
stockungen und Altersversorgung habe man die helfende Hand schon gezeigt, und
zwar wolle man die Hilfe nicht als Barmherzigkeit gewähren, sondern als
gesetzlichen Anspruch. So könnte ein Optimist sagen und daraus die Hoffnung
ableiten, man könne es mir der Aufhebung der Preßbeschränkung versuchen.
Die Ordnungspresse sei ja auch frei und werde zu zeigen vermögen, daß alle
radikalen Pläne der Sozialdemokratie gegenüber dem Bestände von heute un-
realisirbar und thöricht seien. Aber konnte die gute Presse das nicht auch vor
1878? Sie muß es doch wohl nicht genügend und so gethan haben, daß die
Leute es verstehen konnten; vielmehr wuchs die Zahl derjenigen Leser von Tag
zu Tage, die vollkommen überzeugt waren, daß nnr Umsturz, Aufhebung des
Privatbesitzes an Grund und Boden und Produktionsmitteln durch Gewalt¬
maßregeln etwas helfen könne.
Von den heilsamen Wirkungen der sozialen Reform ist bis jetzt so gut wie
nichts in das Gefühl der Arbeiter gelangt. Und in das Gefühl muß das
gelangen, was auf ihre Stimmung wirken soll. Wenn man nach Jahren einmal
mit Händen greift, daß die neuen Gesetze den geringen Mann unabhängiger
machen von Krankheit und Schicksal und von dem guten Willen des Arbeit¬
gebers, dann läßt sich der Schwätzer, der alles für grundschlecht und zum
Umsturz reif erklärt, vielleicht bei dem Arbeiter diskreditiren; für jetzt ist nicht
die geringste Aussicht dazu vorhanden.
Und doch muß man einem Manne wie Gneist eine nicht geringe Kenntnis
des Arbeiterstandes zugestehen; er ist Vorsitzender des Zenträlvereins für das
Wohl der arbeitenden Klaffen. Jeder weiß, wie wertvoll auch für die Presse
seine und Professor Böhmerts Bemühungen sind, und es ist ihm eine Fühlung
mit den Bedürfnisse» der Arbeiter nicht abzusprechen. Wir fragen also immer
wieder, warum er die Befreiung der sozialdemokratischen Presse für empfehlens¬
wert hält.
Er scheint diese Presse nicht für so gefährlich zu halten, wenn die Be¬
schränkungen des Vereinsrechts, die ja in den Paragraphen des Spezialgesetzes
giltig bleiben sollen, jener Preßfreiheit die Spitze abbrechen. Darin ist gewiß
manches Nichtige. Wir sehen es auch in den Nachbarländern, daß, wo die
Vereinspolizei schneidig gehandhabt wird, die Preßfreiheit praktisch nicht soviel
schadet. Aber wie lange wird es möglich sein, dem zügellosen Haufen Schranken
zu setzen? Wir haben in Paris noch vor kurzem gesehen, daß die Polizei
Szenen nicht verhindern kann, die an die amerikanischen völlig hinanreichen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |