Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfser Joch. fast immer gelang es dem versöhnlichen Wesen Haralds, die leidenschaftlichen Harald machte am Abend vor der Abreise seinen letzten Besuch und mußte Und, unterbrach ihn Brenn, wollen Sie denn fort, Sie, mit Ihren beiden Nicht ich, versetzte Harald, aber ich sehe die Zeit nicht mehr ferne, in der Nein, lieber Freund, lassen Sie das Grübeln und denken Sie sich heitere Auf dem Stilfser Joch. fast immer gelang es dem versöhnlichen Wesen Haralds, die leidenschaftlichen Harald machte am Abend vor der Abreise seinen letzten Besuch und mußte Und, unterbrach ihn Brenn, wollen Sie denn fort, Sie, mit Ihren beiden Nicht ich, versetzte Harald, aber ich sehe die Zeit nicht mehr ferne, in der Nein, lieber Freund, lassen Sie das Grübeln und denken Sie sich heitere <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197041"/> <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfser Joch.</fw><lb/> <p xml:id="ID_976" prev="#ID_975"> fast immer gelang es dem versöhnlichen Wesen Haralds, die leidenschaftlichen<lb/> Äußerungen Vronis auf das richtige Maß herabzustimmen und die Paradoxen<lb/> ihres Baders in der schoncndstcn Weise zu widerlegen. Harald mußte es als<lb/> einen hohen Sieg bezeichnen, daß Vroni ihren Unterricht in der Theaterschule<lb/> aufgab. Man las zwar keine Bücher zusammen, aber besprach desto eifriger das,<lb/> was jedes gelesen hatte, und so fehlte es nicht an Anregungen jeder Art, zumal<lb/> es der Genüsse viele waren, welche die Hauptstadt im Winter aus dem Bereiche<lb/> aller Musen bot. Der Verkehr mit Harald wurde dem Kcllerschen Hause so<lb/> angenehm, daß sich Vater wie Tochter scheuten, ihn mit andern zu teilen; er<lb/> blieb fast im Verborgnen, und dies war umso angenehmer, als ein solches<lb/> Verhältnis auch in der großen Stadt, wenn einmal bemerkt, Gegenstand des<lb/> Gespräches sür alle klatschsüchtigen Vasen und Vettern geworden wäre. Wenn<lb/> nun auch infolge dieses Verhaltens Vroni und Harald weder sich selbst noch<lb/> der Außenwelt gegenüber in eine schiefe Lage gerieten, so war doch anderseits<lb/> der Künstler den großen Wünschen seines Herzens auch nicht um einen Schritt<lb/> näher gekommen. Als mit dem Beginn des Frühlings Herr Keller mit seiner<lb/> Tochter ein Landgut bezog, welches zwar nur in der Mark lag, aber von<lb/> Berlin aus mit Schwierigkeit und nicht ohne erheblichen Zeitverlust zu erreichen<lb/> war, mußte auch dieser Verkehr ein Ende nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_977"> Harald machte am Abend vor der Abreise seinen letzten Besuch und mußte<lb/> Vater und Tochter feierlich versprechen, so oft als möglich zu ihnen zu kommen;<lb/> sie wußten ganz genau Bescheid mit seinen Sorgen und Stunden und hatten<lb/> deshalb an den letzten Abenden des öftern mit dem Freunde dessen Zeiteinteilung<lb/> studirt, um herauszufinden, welche Freiheit er sich gönnen und welche Tage er<lb/> ihnen widmen könnte. Leider waren aber in dieser Hinsicht die Erwartungen<lb/> w'ehe sehr tröst- und hoffnungsreich, und so herrschte an diesem letzten Abende<lb/> eine allseitig trüb und belastend cmpfnndne Stimmung. Herr .Keller zog sich<lb/> Zeitig zurück, weil ihm die Übersiedlung seines Asyls auf das Land noch viele<lb/> Schwierigkeiten machte, und Harald mußte sich zum Fortgehen anschicken; er<lb/> verabschiedete sich von dem Hausherrn und blieb nur uoch einige Minuten allein<lb/> mit Vroni an der Thür. Dort sagte er zu ihr, daß er jetzt mehr als je das<lb/> Schinere seiner Lage und seiner Vereinsamung empfinden werde, daß es aber<lb/> vielleicht gut sei, daß sich sein Gaumen an die bittere Medizin gewöhne und<lb/> er bei Zeiten einen Vorgeschmack der Trennung erhalte, die ihnen doch nun<lb/> einmal beschicken sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_978"> Und, unterbrach ihn Brenn, wollen Sie denn fort, Sie, mit Ihren beiden<lb/> Kindern, mit Sack und Pack?</p><lb/> <p xml:id="ID_979"> Nicht ich, versetzte Harald, aber ich sehe die Zeit nicht mehr ferne, in der<lb/> ich Sie für immer verliere.</p><lb/> <p xml:id="ID_980" next="#ID_981"> Nein, lieber Freund, lassen Sie das Grübeln und denken Sie sich heitere<lb/> Bilder ans. Gönnen Sie mir, fuhr sie inniger fort, noch etwas Sammlung,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
Auf dem Stilfser Joch.
fast immer gelang es dem versöhnlichen Wesen Haralds, die leidenschaftlichen
Äußerungen Vronis auf das richtige Maß herabzustimmen und die Paradoxen
ihres Baders in der schoncndstcn Weise zu widerlegen. Harald mußte es als
einen hohen Sieg bezeichnen, daß Vroni ihren Unterricht in der Theaterschule
aufgab. Man las zwar keine Bücher zusammen, aber besprach desto eifriger das,
was jedes gelesen hatte, und so fehlte es nicht an Anregungen jeder Art, zumal
es der Genüsse viele waren, welche die Hauptstadt im Winter aus dem Bereiche
aller Musen bot. Der Verkehr mit Harald wurde dem Kcllerschen Hause so
angenehm, daß sich Vater wie Tochter scheuten, ihn mit andern zu teilen; er
blieb fast im Verborgnen, und dies war umso angenehmer, als ein solches
Verhältnis auch in der großen Stadt, wenn einmal bemerkt, Gegenstand des
Gespräches sür alle klatschsüchtigen Vasen und Vettern geworden wäre. Wenn
nun auch infolge dieses Verhaltens Vroni und Harald weder sich selbst noch
der Außenwelt gegenüber in eine schiefe Lage gerieten, so war doch anderseits
der Künstler den großen Wünschen seines Herzens auch nicht um einen Schritt
näher gekommen. Als mit dem Beginn des Frühlings Herr Keller mit seiner
Tochter ein Landgut bezog, welches zwar nur in der Mark lag, aber von
Berlin aus mit Schwierigkeit und nicht ohne erheblichen Zeitverlust zu erreichen
war, mußte auch dieser Verkehr ein Ende nehmen.
Harald machte am Abend vor der Abreise seinen letzten Besuch und mußte
Vater und Tochter feierlich versprechen, so oft als möglich zu ihnen zu kommen;
sie wußten ganz genau Bescheid mit seinen Sorgen und Stunden und hatten
deshalb an den letzten Abenden des öftern mit dem Freunde dessen Zeiteinteilung
studirt, um herauszufinden, welche Freiheit er sich gönnen und welche Tage er
ihnen widmen könnte. Leider waren aber in dieser Hinsicht die Erwartungen
w'ehe sehr tröst- und hoffnungsreich, und so herrschte an diesem letzten Abende
eine allseitig trüb und belastend cmpfnndne Stimmung. Herr .Keller zog sich
Zeitig zurück, weil ihm die Übersiedlung seines Asyls auf das Land noch viele
Schwierigkeiten machte, und Harald mußte sich zum Fortgehen anschicken; er
verabschiedete sich von dem Hausherrn und blieb nur uoch einige Minuten allein
mit Vroni an der Thür. Dort sagte er zu ihr, daß er jetzt mehr als je das
Schinere seiner Lage und seiner Vereinsamung empfinden werde, daß es aber
vielleicht gut sei, daß sich sein Gaumen an die bittere Medizin gewöhne und
er bei Zeiten einen Vorgeschmack der Trennung erhalte, die ihnen doch nun
einmal beschicken sei.
Und, unterbrach ihn Brenn, wollen Sie denn fort, Sie, mit Ihren beiden
Kindern, mit Sack und Pack?
Nicht ich, versetzte Harald, aber ich sehe die Zeit nicht mehr ferne, in der
ich Sie für immer verliere.
Nein, lieber Freund, lassen Sie das Grübeln und denken Sie sich heitere
Bilder ans. Gönnen Sie mir, fuhr sie inniger fort, noch etwas Sammlung,
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