Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf dem Stilfsor Joch.

erledigt zu betrachten, und sich bemüht hätte, nicht mehr an Vroni zu denken.
Aber so ruhig Harald auch äußerlich erschien und so wenig der geübteste Menschen¬
kenner eine Veränderung an ihm wahrgenommen hätte, so sehr wühlte und tobte
es in seinem Innern. Er besaß eine außerordentliche Fähigkeit, sich das Un¬
erquickliche seines Daseins auszumalen, die Frcndlosigkcit seines Lebens zu ver¬
größern und dann wieder in den Phantasien zu schwelgen, wie sie ihm der
ersehnte Besitz des Mädchens vorgaukelte. In solchem Augenblicke war er
imstande, einem Dichter gleich sich die Situationen einer schön geträumten
Zukunft wie mit dem Zauberstabe vor seine Seele zu bannen -- ein Träumen,
aus welchem dann das Erwachen umso schmerzlicher war. Dabei vermied er
alles, um Vroni zu begegnen, und mich diese that nichts, um dem Freunde eine
neue Annäherung zu erleichtern.

Nun fügte es sich, daß gegen Ende des Winters eine Dame, in deren
Hause Harald eine freundschaftliche Aufnahme gefunden hatte, eine Ballfcstlichteit
veranstaltete, welcher sich der Maler, obwohl er seit dem Kcllerscheu .jour tixs
die große Gesellschaft nach Möglichkeit vermied, nicht entziehen konnte, ohne zu
verletzen. Er hatte aber allerlei Ausflüchte vorgeschützt, um erst spät erscheinen
zu dürfen, und so kam er gerade während der ersten großen Pause des Balles,
als die Geladnen beim Souper saßen. Man brachte eiligst einen Stuhl für
ihn herbei, und als er sich am Tische niederließ, fand er Vroni als Nachbarin.
Die Begrüßung Vonseiten des Mädchens war eine herzliche und ungezwungene;
sie schalt mit freundlichen Worten, daß er sich nicht mehr sehen lasse, und daß
es ihm anscheinend sehr leicht falle, nicht bloß die frühere Schülerin, sondern
auch die ergebene Freundin zu vergessen.

Harald war aber nicht geneigt, die freundlichen Worte mit gleichen zu
vergelten. Neben der rauschenden Komödie, erwiederte er, spielt die bescheidne
Muse des Malers nur eine klägliche Rolle, zu welcher ich meine hohe Kunst
nicht verurteilt sehe" will.

Sie zürnen mir also wirklich, daß ich mich für die Bühne interessire, auf
der allein doch mir in unsrer heutigen elenden Gesellschaft ein Mädchen die
eigne Persönlichkeit zur Geltung bringen kann? Die egoistischen Männer wollen
freilich in den Frauen nur ihre Puppen scheu, mit denen sie spielen und an
denen sie sich ergötzen können, diese aber selbst von ihren Angelegenheiten fern
halten und ihnen nur großmütig die Sorge der Küche und Kinderstube über¬
lassen, um selbst als Herren der Schöpfung ein interessantes und genußreiches
Leben zu führen.

Ein solches Bild, mein gnädiges Fräulein, besteht nur in Ihrer Phantasie
und beruht vorzüglich darauf, daß Sie sich von der Welt eine unrichtige Vor¬
stellung machen, wobei Sie das Unbekannte sich mit glühenden Farben ausmalen.
Selbst unser großer Dichter bezeichnet die Bühne doch nnr als den "holden
Schein," d. h. also als eine Unwahrheit, welche den Zuschauern nur für einige


Auf dem Stilfsor Joch.

erledigt zu betrachten, und sich bemüht hätte, nicht mehr an Vroni zu denken.
Aber so ruhig Harald auch äußerlich erschien und so wenig der geübteste Menschen¬
kenner eine Veränderung an ihm wahrgenommen hätte, so sehr wühlte und tobte
es in seinem Innern. Er besaß eine außerordentliche Fähigkeit, sich das Un¬
erquickliche seines Daseins auszumalen, die Frcndlosigkcit seines Lebens zu ver¬
größern und dann wieder in den Phantasien zu schwelgen, wie sie ihm der
ersehnte Besitz des Mädchens vorgaukelte. In solchem Augenblicke war er
imstande, einem Dichter gleich sich die Situationen einer schön geträumten
Zukunft wie mit dem Zauberstabe vor seine Seele zu bannen — ein Träumen,
aus welchem dann das Erwachen umso schmerzlicher war. Dabei vermied er
alles, um Vroni zu begegnen, und mich diese that nichts, um dem Freunde eine
neue Annäherung zu erleichtern.

Nun fügte es sich, daß gegen Ende des Winters eine Dame, in deren
Hause Harald eine freundschaftliche Aufnahme gefunden hatte, eine Ballfcstlichteit
veranstaltete, welcher sich der Maler, obwohl er seit dem Kcllerscheu .jour tixs
die große Gesellschaft nach Möglichkeit vermied, nicht entziehen konnte, ohne zu
verletzen. Er hatte aber allerlei Ausflüchte vorgeschützt, um erst spät erscheinen
zu dürfen, und so kam er gerade während der ersten großen Pause des Balles,
als die Geladnen beim Souper saßen. Man brachte eiligst einen Stuhl für
ihn herbei, und als er sich am Tische niederließ, fand er Vroni als Nachbarin.
Die Begrüßung Vonseiten des Mädchens war eine herzliche und ungezwungene;
sie schalt mit freundlichen Worten, daß er sich nicht mehr sehen lasse, und daß
es ihm anscheinend sehr leicht falle, nicht bloß die frühere Schülerin, sondern
auch die ergebene Freundin zu vergessen.

Harald war aber nicht geneigt, die freundlichen Worte mit gleichen zu
vergelten. Neben der rauschenden Komödie, erwiederte er, spielt die bescheidne
Muse des Malers nur eine klägliche Rolle, zu welcher ich meine hohe Kunst
nicht verurteilt sehe» will.

Sie zürnen mir also wirklich, daß ich mich für die Bühne interessire, auf
der allein doch mir in unsrer heutigen elenden Gesellschaft ein Mädchen die
eigne Persönlichkeit zur Geltung bringen kann? Die egoistischen Männer wollen
freilich in den Frauen nur ihre Puppen scheu, mit denen sie spielen und an
denen sie sich ergötzen können, diese aber selbst von ihren Angelegenheiten fern
halten und ihnen nur großmütig die Sorge der Küche und Kinderstube über¬
lassen, um selbst als Herren der Schöpfung ein interessantes und genußreiches
Leben zu führen.

Ein solches Bild, mein gnädiges Fräulein, besteht nur in Ihrer Phantasie
und beruht vorzüglich darauf, daß Sie sich von der Welt eine unrichtige Vor¬
stellung machen, wobei Sie das Unbekannte sich mit glühenden Farben ausmalen.
Selbst unser großer Dichter bezeichnet die Bühne doch nnr als den „holden
Schein," d. h. also als eine Unwahrheit, welche den Zuschauern nur für einige


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197036"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfsor Joch.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_947" prev="#ID_946"> erledigt zu betrachten, und sich bemüht hätte, nicht mehr an Vroni zu denken.<lb/>
Aber so ruhig Harald auch äußerlich erschien und so wenig der geübteste Menschen¬<lb/>
kenner eine Veränderung an ihm wahrgenommen hätte, so sehr wühlte und tobte<lb/>
es in seinem Innern. Er besaß eine außerordentliche Fähigkeit, sich das Un¬<lb/>
erquickliche seines Daseins auszumalen, die Frcndlosigkcit seines Lebens zu ver¬<lb/>
größern und dann wieder in den Phantasien zu schwelgen, wie sie ihm der<lb/>
ersehnte Besitz des Mädchens vorgaukelte. In solchem Augenblicke war er<lb/>
imstande, einem Dichter gleich sich die Situationen einer schön geträumten<lb/>
Zukunft wie mit dem Zauberstabe vor seine Seele zu bannen &#x2014; ein Träumen,<lb/>
aus welchem dann das Erwachen umso schmerzlicher war. Dabei vermied er<lb/>
alles, um Vroni zu begegnen, und mich diese that nichts, um dem Freunde eine<lb/>
neue Annäherung zu erleichtern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_948"> Nun fügte es sich, daß gegen Ende des Winters eine Dame, in deren<lb/>
Hause Harald eine freundschaftliche Aufnahme gefunden hatte, eine Ballfcstlichteit<lb/>
veranstaltete, welcher sich der Maler, obwohl er seit dem Kcllerscheu .jour tixs<lb/>
die große Gesellschaft nach Möglichkeit vermied, nicht entziehen konnte, ohne zu<lb/>
verletzen. Er hatte aber allerlei Ausflüchte vorgeschützt, um erst spät erscheinen<lb/>
zu dürfen, und so kam er gerade während der ersten großen Pause des Balles,<lb/>
als die Geladnen beim Souper saßen. Man brachte eiligst einen Stuhl für<lb/>
ihn herbei, und als er sich am Tische niederließ, fand er Vroni als Nachbarin.<lb/>
Die Begrüßung Vonseiten des Mädchens war eine herzliche und ungezwungene;<lb/>
sie schalt mit freundlichen Worten, daß er sich nicht mehr sehen lasse, und daß<lb/>
es ihm anscheinend sehr leicht falle, nicht bloß die frühere Schülerin, sondern<lb/>
auch die ergebene Freundin zu vergessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_949"> Harald war aber nicht geneigt, die freundlichen Worte mit gleichen zu<lb/>
vergelten. Neben der rauschenden Komödie, erwiederte er, spielt die bescheidne<lb/>
Muse des Malers nur eine klägliche Rolle, zu welcher ich meine hohe Kunst<lb/>
nicht verurteilt sehe» will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_950"> Sie zürnen mir also wirklich, daß ich mich für die Bühne interessire, auf<lb/>
der allein doch mir in unsrer heutigen elenden Gesellschaft ein Mädchen die<lb/>
eigne Persönlichkeit zur Geltung bringen kann? Die egoistischen Männer wollen<lb/>
freilich in den Frauen nur ihre Puppen scheu, mit denen sie spielen und an<lb/>
denen sie sich ergötzen können, diese aber selbst von ihren Angelegenheiten fern<lb/>
halten und ihnen nur großmütig die Sorge der Küche und Kinderstube über¬<lb/>
lassen, um selbst als Herren der Schöpfung ein interessantes und genußreiches<lb/>
Leben zu führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_951" next="#ID_952"> Ein solches Bild, mein gnädiges Fräulein, besteht nur in Ihrer Phantasie<lb/>
und beruht vorzüglich darauf, daß Sie sich von der Welt eine unrichtige Vor¬<lb/>
stellung machen, wobei Sie das Unbekannte sich mit glühenden Farben ausmalen.<lb/>
Selbst unser großer Dichter bezeichnet die Bühne doch nnr als den &#x201E;holden<lb/>
Schein," d. h. also als eine Unwahrheit, welche den Zuschauern nur für einige</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] Auf dem Stilfsor Joch. erledigt zu betrachten, und sich bemüht hätte, nicht mehr an Vroni zu denken. Aber so ruhig Harald auch äußerlich erschien und so wenig der geübteste Menschen¬ kenner eine Veränderung an ihm wahrgenommen hätte, so sehr wühlte und tobte es in seinem Innern. Er besaß eine außerordentliche Fähigkeit, sich das Un¬ erquickliche seines Daseins auszumalen, die Frcndlosigkcit seines Lebens zu ver¬ größern und dann wieder in den Phantasien zu schwelgen, wie sie ihm der ersehnte Besitz des Mädchens vorgaukelte. In solchem Augenblicke war er imstande, einem Dichter gleich sich die Situationen einer schön geträumten Zukunft wie mit dem Zauberstabe vor seine Seele zu bannen — ein Träumen, aus welchem dann das Erwachen umso schmerzlicher war. Dabei vermied er alles, um Vroni zu begegnen, und mich diese that nichts, um dem Freunde eine neue Annäherung zu erleichtern. Nun fügte es sich, daß gegen Ende des Winters eine Dame, in deren Hause Harald eine freundschaftliche Aufnahme gefunden hatte, eine Ballfcstlichteit veranstaltete, welcher sich der Maler, obwohl er seit dem Kcllerscheu .jour tixs die große Gesellschaft nach Möglichkeit vermied, nicht entziehen konnte, ohne zu verletzen. Er hatte aber allerlei Ausflüchte vorgeschützt, um erst spät erscheinen zu dürfen, und so kam er gerade während der ersten großen Pause des Balles, als die Geladnen beim Souper saßen. Man brachte eiligst einen Stuhl für ihn herbei, und als er sich am Tische niederließ, fand er Vroni als Nachbarin. Die Begrüßung Vonseiten des Mädchens war eine herzliche und ungezwungene; sie schalt mit freundlichen Worten, daß er sich nicht mehr sehen lasse, und daß es ihm anscheinend sehr leicht falle, nicht bloß die frühere Schülerin, sondern auch die ergebene Freundin zu vergessen. Harald war aber nicht geneigt, die freundlichen Worte mit gleichen zu vergelten. Neben der rauschenden Komödie, erwiederte er, spielt die bescheidne Muse des Malers nur eine klägliche Rolle, zu welcher ich meine hohe Kunst nicht verurteilt sehe» will. Sie zürnen mir also wirklich, daß ich mich für die Bühne interessire, auf der allein doch mir in unsrer heutigen elenden Gesellschaft ein Mädchen die eigne Persönlichkeit zur Geltung bringen kann? Die egoistischen Männer wollen freilich in den Frauen nur ihre Puppen scheu, mit denen sie spielen und an denen sie sich ergötzen können, diese aber selbst von ihren Angelegenheiten fern halten und ihnen nur großmütig die Sorge der Küche und Kinderstube über¬ lassen, um selbst als Herren der Schöpfung ein interessantes und genußreiches Leben zu führen. Ein solches Bild, mein gnädiges Fräulein, besteht nur in Ihrer Phantasie und beruht vorzüglich darauf, daß Sie sich von der Welt eine unrichtige Vor¬ stellung machen, wobei Sie das Unbekannte sich mit glühenden Farben ausmalen. Selbst unser großer Dichter bezeichnet die Bühne doch nnr als den „holden Schein," d. h. also als eine Unwahrheit, welche den Zuschauern nur für einige

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/302>, abgerufen am 15.01.2025.