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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Gin Krieg Englands in Virma.

in Reich, das mit dem Bruch aller zehn Gebote zusammengebracht
wurden ist, läßt sich nicht nach den Grundsätzen der Bergpredigt
zusammenhalten, sagte, etwas cynisch, aber praktisch, vor einiger
Zeit ein englischer Politiker in Bezug auf die ostasiatischen Be¬
sitzungen Großbritanniens. Seine Anwendung jeuer Maxime auf
die Gegenwart lautete ungefähr: Wollte man Britisch-Birma oder selbst Indien
aufgeben, weil es gestohlenes Gut ist, so würde das von manchen Theoretikern
gebilligt und gelobt werden; wenn wir diese Länder aber behalten wollen, so
^heischt das zuweilen einen Krieg und eine Eroberung; wir müssen, um früher
Erworbenes schützen und entwickeln zu können, mehr erwerben, oder, wenn man
es so nennen will, mehr rauben und stehlen. Englische Zeitungen bekennen sich
jetzt hinsichtlich Birinas ganz offen zu dieser Ansicht, und man darf ihnen bis
zu einem gewissen Maße beipflichten; nur ist es dann komisch, daß sie an den
Russen in Mittelasien verwerflich finden, was sie selbst in Südasien als sach¬
gemäß betrachten.

Aber die Moral beiseite, sprechen wir von den Thatsachen. England steuert
auf einen neuen Krieg in Birma hin, es schickt sich an, dort für seine Handels¬
interessen zu dem untern Teile des Landes den obern oder innern hinzuzuerobcrn.
und es wird dabei wieder einmal den Franzosen, seinen frühern guten Freunden
und jetzigen Nebenbuhlern, den Rang ablaufen. Seit geraumer Zeit schon suchte
die französische Politik am birmanischen Hofe in Mandalay Einfluß zu gewinnen,
es war ihr auch gelungen, eine Stellung zu erlangen, welche die Pläne der
englischen dort in Zukunft vereiteln konnte, und seit mehreren Monaten schon
war das Verhältnis des Königs Thibau zu der Negierung Indiens ein gestörtes
und so gespanntes, daß bereits unter Gladstone eine Krisis eingetreten sein


Grenzboten IV. 188S. 84


Gin Krieg Englands in Virma.

in Reich, das mit dem Bruch aller zehn Gebote zusammengebracht
wurden ist, läßt sich nicht nach den Grundsätzen der Bergpredigt
zusammenhalten, sagte, etwas cynisch, aber praktisch, vor einiger
Zeit ein englischer Politiker in Bezug auf die ostasiatischen Be¬
sitzungen Großbritanniens. Seine Anwendung jeuer Maxime auf
die Gegenwart lautete ungefähr: Wollte man Britisch-Birma oder selbst Indien
aufgeben, weil es gestohlenes Gut ist, so würde das von manchen Theoretikern
gebilligt und gelobt werden; wenn wir diese Länder aber behalten wollen, so
^heischt das zuweilen einen Krieg und eine Eroberung; wir müssen, um früher
Erworbenes schützen und entwickeln zu können, mehr erwerben, oder, wenn man
es so nennen will, mehr rauben und stehlen. Englische Zeitungen bekennen sich
jetzt hinsichtlich Birinas ganz offen zu dieser Ansicht, und man darf ihnen bis
zu einem gewissen Maße beipflichten; nur ist es dann komisch, daß sie an den
Russen in Mittelasien verwerflich finden, was sie selbst in Südasien als sach¬
gemäß betrachten.

Aber die Moral beiseite, sprechen wir von den Thatsachen. England steuert
auf einen neuen Krieg in Birma hin, es schickt sich an, dort für seine Handels¬
interessen zu dem untern Teile des Landes den obern oder innern hinzuzuerobcrn.
und es wird dabei wieder einmal den Franzosen, seinen frühern guten Freunden
und jetzigen Nebenbuhlern, den Rang ablaufen. Seit geraumer Zeit schon suchte
die französische Politik am birmanischen Hofe in Mandalay Einfluß zu gewinnen,
es war ihr auch gelungen, eine Stellung zu erlangen, welche die Pläne der
englischen dort in Zukunft vereiteln konnte, und seit mehreren Monaten schon
war das Verhältnis des Königs Thibau zu der Negierung Indiens ein gestörtes
und so gespanntes, daß bereits unter Gladstone eine Krisis eingetreten sein


Grenzboten IV. 188S. 84
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[0273] [Abbildung] Gin Krieg Englands in Virma. in Reich, das mit dem Bruch aller zehn Gebote zusammengebracht wurden ist, läßt sich nicht nach den Grundsätzen der Bergpredigt zusammenhalten, sagte, etwas cynisch, aber praktisch, vor einiger Zeit ein englischer Politiker in Bezug auf die ostasiatischen Be¬ sitzungen Großbritanniens. Seine Anwendung jeuer Maxime auf die Gegenwart lautete ungefähr: Wollte man Britisch-Birma oder selbst Indien aufgeben, weil es gestohlenes Gut ist, so würde das von manchen Theoretikern gebilligt und gelobt werden; wenn wir diese Länder aber behalten wollen, so ^heischt das zuweilen einen Krieg und eine Eroberung; wir müssen, um früher Erworbenes schützen und entwickeln zu können, mehr erwerben, oder, wenn man es so nennen will, mehr rauben und stehlen. Englische Zeitungen bekennen sich jetzt hinsichtlich Birinas ganz offen zu dieser Ansicht, und man darf ihnen bis zu einem gewissen Maße beipflichten; nur ist es dann komisch, daß sie an den Russen in Mittelasien verwerflich finden, was sie selbst in Südasien als sach¬ gemäß betrachten. Aber die Moral beiseite, sprechen wir von den Thatsachen. England steuert auf einen neuen Krieg in Birma hin, es schickt sich an, dort für seine Handels¬ interessen zu dem untern Teile des Landes den obern oder innern hinzuzuerobcrn. und es wird dabei wieder einmal den Franzosen, seinen frühern guten Freunden und jetzigen Nebenbuhlern, den Rang ablaufen. Seit geraumer Zeit schon suchte die französische Politik am birmanischen Hofe in Mandalay Einfluß zu gewinnen, es war ihr auch gelungen, eine Stellung zu erlangen, welche die Pläne der englischen dort in Zukunft vereiteln konnte, und seit mehreren Monaten schon war das Verhältnis des Königs Thibau zu der Negierung Indiens ein gestörtes und so gespanntes, daß bereits unter Gladstone eine Krisis eingetreten sein Grenzboten IV. 188S. 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/273>, abgerufen am 15.01.2025.