Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Neue Dramen. wollender Mensch: nur läßt er sich von seiner Teilnahme nicht zur That be¬ Mahnen soll er uns, Wie aber nnn, wenn ihm derselbe Karl, den sein Weib, sein ganzer Hof, den er Gespiele. Beim Himmel ja: ich Hab's gethan -- so ist er auch jetzt, im Drange der Gefahr, immer noch der Alte, der es nicht ver¬ Neue Dramen. wollender Mensch: nur läßt er sich von seiner Teilnahme nicht zur That be¬ Mahnen soll er uns, Wie aber nnn, wenn ihm derselbe Karl, den sein Weib, sein ganzer Hof, den er Gespiele. Beim Himmel ja: ich Hab's gethan — so ist er auch jetzt, im Drange der Gefahr, immer noch der Alte, der es nicht ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196993"/> <fw type="header" place="top"> Neue Dramen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_811" prev="#ID_810"> wollender Mensch: nur läßt er sich von seiner Teilnahme nicht zur That be¬<lb/> wegen — und das ist sein tragisches Verhängnis. Denn, sagt Karl, ganz richtig<lb/> beim Anblick des toten Rothar:</p><lb/> <quote> Mahnen soll er uns,<lb/> Nicht unsers Wesens blindem Drange blind<lb/> Zu folgen; nicht das eigne Wohl und Weh<lb/> Nur zu ermessen —: auch der andern Schicksal!<lb/> Auf daß man, prüfend so, zuletzt erkenne,<lb/> Was man für sich verlangen kann und darf.</quote><lb/> <p xml:id="ID_812"> Wie aber nnn, wenn ihm derselbe Karl, den sein Weib, sein ganzer Hof, den er<lb/> selbst haßt, in sein Haus kommt, um ihn an seine Vasallcnpflicht zu mahnen?<lb/> Karl ist auf dem Zuge uach Rom begriffen, wo ihm Leo III. die Kaiserkrone auf¬<lb/> sehen soll, in Regensburg, in dem Hanse Thassilvs gedenkt er zu übernachten.<lb/> Thassilo empfängt ihn mit allen Ehren, welche einem so großen Herrscher gebühren.<lb/> Das Gastrecht hält er heilig. Jener Rothar, der d. la Mortimer den angekommenen<lb/> Todfeind Luitbergas meuchlings ermorden will, wenn sie ihm nur vorher die höchste<lb/> Weibesguust gewähren will, stößt Thassilo selbst nieder, da er zu rechter Zeit den<lb/> Wahnwitzigen belauscht. Dann aber, als Karl mit seinem Plane herausrückt: im<lb/> nächsten Jahre soll ein Zug gegen die wilden Avaren unternommen werden, Baiern,<lb/> das östlichste Land, soll den Kampf eröffnen — da schlägt Thcissilo rundweg das<lb/> Ansinnen der Heeresfolge ab. Und als Karl seinen Antrag wiederholt, auf den<lb/> Eid des Herzogs verweist, der ihn zum Vasallendienst verpflichtete, auf die poli¬<lb/> tische Notwendigkeit zum Heile des Ganzen, da bricht erst der ganze Haß des<lb/> Agilolf gegen Heristal los, und Karl wird gezwungen, bevor er gegen die Avaren<lb/> zieht, erst Herzog Thassilo zu erwerben, denn ihm handelt es sich darum: „Das<lb/> Laud der Baiern für alle Zeit den: Reiche zu erhalten." Und es ist klar, daß<lb/> nicht politische Erwägung, nicht Ehrgeiz und auch eigentlich nicht der ererbte Haß<lb/> den Herzog zum Streite mit Karl veranlaßt, sondern nichts als sein trotziger Unab¬<lb/> hängigkeitssinn, der sich keinem fremden Willen unterwerfen kann. Und daran geht<lb/> er zu gründe. Hat schon sein ganzes bisheriges sür sich abgeschlossene Leben ihn<lb/> der Welt entfremdet, sind seine getreuesten Freunde irre an ihm geworden und muß<lb/> er sich sagen lassen, daß er mit der Welt und dem eignen Schicksal gespielt habe,<lb/> und selbst zu der Erkenntnis kommen:</p><lb/> <quote> Gespiele. Beim Himmel ja: ich Hab's gethan —<lb/> Wofern es spielen heißt, die Pfade meiden,<lb/> Die uns die Welt mit kurzem Blicke weist,<lb/> Und jeder Forderung sich stolz entziehn,<lb/> Um nur der eignen Brust genug zu thun.<lb/> Wenn's Hochmut war, war'S auch ein Hochgefühl,<lb/> Das selbst deu Sturz in alle Tiefen lohnt —</quote><lb/> <p xml:id="ID_813" next="#ID_814"> so ist er auch jetzt, im Drange der Gefahr, immer noch der Alte, der es nicht ver¬<lb/> steht, sich Freunde zu erwerben, der politische Unterhandlungen mit der Unerfahren-<lb/> heit und Offenherzigkeit eines Kindes führt, der seine notorischen Feinde brüskirt<lb/> und dem der Gedanke an Untreue nie auch nur vou fern beikommt! Und doch<lb/> hat er nichts gethan, die Menschen sich dnrch Gegendienste zu verpflichten, ist er<lb/> nie auf ihre Wünsche eingegangen! Und als es zum Kampfe kommt, da verliert<lb/> er nicht wegen Karls Uebermacht, sondern wegen der Treulosigkeit der eignen,<lb/> Politisch berechnenden Vasallen. Und merkwürdig: die Treulosigkeit der Vasallen,<lb/> welche mitten in der Schlacht Thassilo verlassen, um, ans den eignen Vorteil be¬<lb/> dacht, zum Fraukeukvuig überzugehen, empfinden wir nur mit geringem Wider-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
Neue Dramen.
wollender Mensch: nur läßt er sich von seiner Teilnahme nicht zur That be¬
wegen — und das ist sein tragisches Verhängnis. Denn, sagt Karl, ganz richtig
beim Anblick des toten Rothar:
Mahnen soll er uns,
Nicht unsers Wesens blindem Drange blind
Zu folgen; nicht das eigne Wohl und Weh
Nur zu ermessen —: auch der andern Schicksal!
Auf daß man, prüfend so, zuletzt erkenne,
Was man für sich verlangen kann und darf.
Wie aber nnn, wenn ihm derselbe Karl, den sein Weib, sein ganzer Hof, den er
selbst haßt, in sein Haus kommt, um ihn an seine Vasallcnpflicht zu mahnen?
Karl ist auf dem Zuge uach Rom begriffen, wo ihm Leo III. die Kaiserkrone auf¬
sehen soll, in Regensburg, in dem Hanse Thassilvs gedenkt er zu übernachten.
Thassilo empfängt ihn mit allen Ehren, welche einem so großen Herrscher gebühren.
Das Gastrecht hält er heilig. Jener Rothar, der d. la Mortimer den angekommenen
Todfeind Luitbergas meuchlings ermorden will, wenn sie ihm nur vorher die höchste
Weibesguust gewähren will, stößt Thassilo selbst nieder, da er zu rechter Zeit den
Wahnwitzigen belauscht. Dann aber, als Karl mit seinem Plane herausrückt: im
nächsten Jahre soll ein Zug gegen die wilden Avaren unternommen werden, Baiern,
das östlichste Land, soll den Kampf eröffnen — da schlägt Thcissilo rundweg das
Ansinnen der Heeresfolge ab. Und als Karl seinen Antrag wiederholt, auf den
Eid des Herzogs verweist, der ihn zum Vasallendienst verpflichtete, auf die poli¬
tische Notwendigkeit zum Heile des Ganzen, da bricht erst der ganze Haß des
Agilolf gegen Heristal los, und Karl wird gezwungen, bevor er gegen die Avaren
zieht, erst Herzog Thassilo zu erwerben, denn ihm handelt es sich darum: „Das
Laud der Baiern für alle Zeit den: Reiche zu erhalten." Und es ist klar, daß
nicht politische Erwägung, nicht Ehrgeiz und auch eigentlich nicht der ererbte Haß
den Herzog zum Streite mit Karl veranlaßt, sondern nichts als sein trotziger Unab¬
hängigkeitssinn, der sich keinem fremden Willen unterwerfen kann. Und daran geht
er zu gründe. Hat schon sein ganzes bisheriges sür sich abgeschlossene Leben ihn
der Welt entfremdet, sind seine getreuesten Freunde irre an ihm geworden und muß
er sich sagen lassen, daß er mit der Welt und dem eignen Schicksal gespielt habe,
und selbst zu der Erkenntnis kommen:
Gespiele. Beim Himmel ja: ich Hab's gethan —
Wofern es spielen heißt, die Pfade meiden,
Die uns die Welt mit kurzem Blicke weist,
Und jeder Forderung sich stolz entziehn,
Um nur der eignen Brust genug zu thun.
Wenn's Hochmut war, war'S auch ein Hochgefühl,
Das selbst deu Sturz in alle Tiefen lohnt —
so ist er auch jetzt, im Drange der Gefahr, immer noch der Alte, der es nicht ver¬
steht, sich Freunde zu erwerben, der politische Unterhandlungen mit der Unerfahren-
heit und Offenherzigkeit eines Kindes führt, der seine notorischen Feinde brüskirt
und dem der Gedanke an Untreue nie auch nur vou fern beikommt! Und doch
hat er nichts gethan, die Menschen sich dnrch Gegendienste zu verpflichten, ist er
nie auf ihre Wünsche eingegangen! Und als es zum Kampfe kommt, da verliert
er nicht wegen Karls Uebermacht, sondern wegen der Treulosigkeit der eignen,
Politisch berechnenden Vasallen. Und merkwürdig: die Treulosigkeit der Vasallen,
welche mitten in der Schlacht Thassilo verlassen, um, ans den eignen Vorteil be¬
dacht, zum Fraukeukvuig überzugehen, empfinden wir nur mit geringem Wider-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |