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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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männer zu bilden. Wolfs Anhänger, namentlich Schelling, Niethammer, Jacobs,
Thiersch, stellten viel weitgehendere Forderungen auf.

In Preußen wurde der Neuhnmcmismus von den nationalen Bestrebungen
der Zeit der Befreiungskampfe durchdrungen. Jachmann verlangte 1812 die
Errichtung einer Nationalschnle, welche alle Kinder besuchen und von welcher
die einen zur Universität, die andern in die Werkstatt u. s. w. gehen sollten.
Das Studium der alten Sprachen sei für jedermann nötig, denn es handle
sich hier "um die höhere Geisteskultur, diese ganz unleugbare und ausschlie߬
liche Wirkung der Altertumswissenschaft," diese sei aber "nicht bloß das Be¬
dürfnis des Studirenden, sondern jedes Menschen." Jachmanns Kollege Passow
äußert sich dahin, daß mau den Deutschen zu einer deutlichen und lebhaften
Empfindung seines Volkstumes am deutlichsten dadurch führen werde, daß man
ihm zum reinen und klaren Gefühl seiner Muttersprache verhelfe, das könne
nicht leichter geschehen als durch Erlernung einer fremden, und zwar der griechi¬
schen Sprache. "Wir stehen nicht an -- so zieht er die Summe --, daß nur
das Erlernen der Hcllenenspmche unserm ganzen Volke, ohne Rücksicht auf Ge¬
burt, Stand und künftige Bestimmung, notwendig glauben. Die vorausgehenden
Protestationen der Beschränktheit werden für uns ganz wesenlos sein." Wiederholt
kommt er darauf zurück, daß eben jeder Griechisch lernen müsse, auch wenn er in
die Erwerbsbcruse übergehe. In dem Conradinum, an welcher Lehranstalt Passow
wirkte, wurde nun dem Griechischen der Hauptplatz eingeräumt. Direkt entgegen¬
gesetzte Anschauungen vertritt Herbart, der die formal bildende Kraft des Sprach¬
studiums vollständig leugnet; die Erlernung fremder Sprachen, meint er, könnte nur
durch die Notwendigkeit, sie zu verstehen, gerechtfertigt werden. Auch nach Schleier¬
macher, welcher die Altertumsstudieu überaus schätzte, sollen die, welche einen
bürgerlichen Beruf ergreifen, keinen Unterricht in den alten Sprachen genießen.

Zunächst gingen wichtige Veränderungen in den äußern Verhältnissen der
preußischen Gelehrtenschulen vor sich, aus der großen Zahl von Lateinschulen
ward eine kleine Zahl als "Gymnasien" auserwählt und dieser ausschließlich
die Vorbereitung für das Universitätsstudium in fest geregeltem Kursus vorbe¬
halten. Die Einführung des Abiturientenexamens, 1788, bildete hierzu den
einleitenden Schritt. Prüfungen der zum Studium übertretenden Schüler
hatten freilich schon lange stattgefunden, und zwar hauptsächlich derjenigen,
welche sich um Stipendien bewarben. Jetzt ordnete Preußen eine Prüfung
aller zur Universität abgehenden in allen Unterrichtsfächern an, und zwar
zweimal im Jahre, unter der Aufsicht eines Regieruugskommissars. Ein
Schüler, welcher kein Reifezeugnis erhalten hatte, war dadurch nur vom Genuß
vou Stipendien ausgeschlossen, aber weder von, Universitätsstudium noch von
den spätern Staatsprüfungen und der Anstellung im Staatsdienste; erst von
1834 ab wird das Bestehen des Maturitätscxamens für das Studium unbe¬
dingt gefordert. Die Zahl der "Gymnasien" war ziemlich gering, sie betrug


männer zu bilden. Wolfs Anhänger, namentlich Schelling, Niethammer, Jacobs,
Thiersch, stellten viel weitgehendere Forderungen auf.

In Preußen wurde der Neuhnmcmismus von den nationalen Bestrebungen
der Zeit der Befreiungskampfe durchdrungen. Jachmann verlangte 1812 die
Errichtung einer Nationalschnle, welche alle Kinder besuchen und von welcher
die einen zur Universität, die andern in die Werkstatt u. s. w. gehen sollten.
Das Studium der alten Sprachen sei für jedermann nötig, denn es handle
sich hier „um die höhere Geisteskultur, diese ganz unleugbare und ausschlie߬
liche Wirkung der Altertumswissenschaft," diese sei aber „nicht bloß das Be¬
dürfnis des Studirenden, sondern jedes Menschen." Jachmanns Kollege Passow
äußert sich dahin, daß mau den Deutschen zu einer deutlichen und lebhaften
Empfindung seines Volkstumes am deutlichsten dadurch führen werde, daß man
ihm zum reinen und klaren Gefühl seiner Muttersprache verhelfe, das könne
nicht leichter geschehen als durch Erlernung einer fremden, und zwar der griechi¬
schen Sprache. „Wir stehen nicht an — so zieht er die Summe —, daß nur
das Erlernen der Hcllenenspmche unserm ganzen Volke, ohne Rücksicht auf Ge¬
burt, Stand und künftige Bestimmung, notwendig glauben. Die vorausgehenden
Protestationen der Beschränktheit werden für uns ganz wesenlos sein." Wiederholt
kommt er darauf zurück, daß eben jeder Griechisch lernen müsse, auch wenn er in
die Erwerbsbcruse übergehe. In dem Conradinum, an welcher Lehranstalt Passow
wirkte, wurde nun dem Griechischen der Hauptplatz eingeräumt. Direkt entgegen¬
gesetzte Anschauungen vertritt Herbart, der die formal bildende Kraft des Sprach¬
studiums vollständig leugnet; die Erlernung fremder Sprachen, meint er, könnte nur
durch die Notwendigkeit, sie zu verstehen, gerechtfertigt werden. Auch nach Schleier¬
macher, welcher die Altertumsstudieu überaus schätzte, sollen die, welche einen
bürgerlichen Beruf ergreifen, keinen Unterricht in den alten Sprachen genießen.

Zunächst gingen wichtige Veränderungen in den äußern Verhältnissen der
preußischen Gelehrtenschulen vor sich, aus der großen Zahl von Lateinschulen
ward eine kleine Zahl als „Gymnasien" auserwählt und dieser ausschließlich
die Vorbereitung für das Universitätsstudium in fest geregeltem Kursus vorbe¬
halten. Die Einführung des Abiturientenexamens, 1788, bildete hierzu den
einleitenden Schritt. Prüfungen der zum Studium übertretenden Schüler
hatten freilich schon lange stattgefunden, und zwar hauptsächlich derjenigen,
welche sich um Stipendien bewarben. Jetzt ordnete Preußen eine Prüfung
aller zur Universität abgehenden in allen Unterrichtsfächern an, und zwar
zweimal im Jahre, unter der Aufsicht eines Regieruugskommissars. Ein
Schüler, welcher kein Reifezeugnis erhalten hatte, war dadurch nur vom Genuß
vou Stipendien ausgeschlossen, aber weder von, Universitätsstudium noch von
den spätern Staatsprüfungen und der Anstellung im Staatsdienste; erst von
1834 ab wird das Bestehen des Maturitätscxamens für das Studium unbe¬
dingt gefordert. Die Zahl der „Gymnasien" war ziemlich gering, sie betrug


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/254>, abgerufen am 15.01.2025.