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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Bildung und fachmännischer Gelehrsamkeit, suchen die Jesuiten ihr Ziel zu er¬
reichen; ihre Herrschaft geht zu Ende, als Mathematik und Naturwissenschaften
auf die Anschauungen der Menschen bestimmenden Einfluß erlangen, welche der
Orden nicht in sich aufgenommen hatte. Die Entwicklung der wissenschaftlichen
Erkenntnis ist von den jesuitischen Unterrichtsanstalten wenig gefördert worden,
da die ganze Richtung des Ordens wenig geeignet war, zu eigentlich wissen¬
schaftlichen Forschungen zu ermutigen; eng zusammen hängt damit die Einrich-
tung, daß der Unterricht, und im besondern der wissenschaftlich-philosophische
Unterricht, nicht Lebensaufgabe eines Mannes, sondern ein Stück seines eignen
Vvrbereitungskursus war. Die Lehrer an den Jesuitengymnasien wechseln un¬
aufhörlich, und wenn auch die Lehrer der protestantischen Gymnasien und Uni¬
versitäten ihr Amt nicht als Lebensaufgabe betrachteten, so war der Wechsel
doch ein viel langsamerer. Das Interesse an eigentlich wissenschaftlicher For¬
schung wurde durch die Zersplitterung in Landeskirchen und durch die Rivalität
der Laudesuuiversitüten nur begünstigt.

Der Humanismus ist also seinem Geiste und seiner innersten Tendenz nach
zwar nicht durchgerungen, aber der gelehrte Unterricht hat in diesem Zeitalter
eine Gestalt empfangen, welche in ihrer Anlage von dem Ideal, das dem Erasmus
vorschwebte, sich nicht weit entfernt, in der Durchführung freilich hinter der Ab¬
sicht erheblich zurückbleibt.

Zwei Richtungen erheben sich gegen den humanistischen Schulbetrieb: die
christliche und die modern-nationale. Alle drei Richtungen haben sich vielfältig
gemischt, sie sind die drei Grundkräfte, durch deren Zusammen- und Entgegen¬
wirken die Entwicklung des gelehrten Unterrichtswesens seitdem bestimmt worden ist.

Wir müssen es uns versagen, auf die im zweiten Buche gegebene Dar¬
stellung hier näher einzugehen, sie bringt die Geschichte des gelehrten Unter¬
richtswesens unter dem Einflüsse des Nationalismus und des Pietismus. Das
Endresultat ist, daß sich am Ende des achtzehnten Jahrhunderts das katholische
und protestantische Deutschland ans dem Boden der Ausklärung nach langer
Trennung wieder zusammengefunden hatten.

Dem Neuhumcmismus ist das dritte Buch gewidmet, welches bis in die
Gegenwart hereinführt. Wir beschränken uns darauf, eine Übersicht des Unter¬
richtswesens in Preußen zu geben, welches ja von jetzt ab mehr und mehr als
der maßgebende Staat auch auf diesem Gebiete hervortritt.

Hatte die Aufklärung den Wert der Dinge nach dem Nutzen bemessen, so
ist dem neuen Zeitalter das an sich selbst Wertvolle das allein schätzenswerte.
Von dieser neuen Anschauung wird auch Pädagogik und Erziehungswesen durch¬
drungen: auf das, was den Menschen an sich besser und schöner mache, nicht
auf das, was ihn brauchbarer mache, müsse die Erziehung ihr Augenmerk richten.

Von den Männern der Literatur hat Herder dem Erziehungswesen am
nächsten gestanden, er hat für das neue Erziehungsideal auch zuerst die Formel


Bildung und fachmännischer Gelehrsamkeit, suchen die Jesuiten ihr Ziel zu er¬
reichen; ihre Herrschaft geht zu Ende, als Mathematik und Naturwissenschaften
auf die Anschauungen der Menschen bestimmenden Einfluß erlangen, welche der
Orden nicht in sich aufgenommen hatte. Die Entwicklung der wissenschaftlichen
Erkenntnis ist von den jesuitischen Unterrichtsanstalten wenig gefördert worden,
da die ganze Richtung des Ordens wenig geeignet war, zu eigentlich wissen¬
schaftlichen Forschungen zu ermutigen; eng zusammen hängt damit die Einrich-
tung, daß der Unterricht, und im besondern der wissenschaftlich-philosophische
Unterricht, nicht Lebensaufgabe eines Mannes, sondern ein Stück seines eignen
Vvrbereitungskursus war. Die Lehrer an den Jesuitengymnasien wechseln un¬
aufhörlich, und wenn auch die Lehrer der protestantischen Gymnasien und Uni¬
versitäten ihr Amt nicht als Lebensaufgabe betrachteten, so war der Wechsel
doch ein viel langsamerer. Das Interesse an eigentlich wissenschaftlicher For¬
schung wurde durch die Zersplitterung in Landeskirchen und durch die Rivalität
der Laudesuuiversitüten nur begünstigt.

Der Humanismus ist also seinem Geiste und seiner innersten Tendenz nach
zwar nicht durchgerungen, aber der gelehrte Unterricht hat in diesem Zeitalter
eine Gestalt empfangen, welche in ihrer Anlage von dem Ideal, das dem Erasmus
vorschwebte, sich nicht weit entfernt, in der Durchführung freilich hinter der Ab¬
sicht erheblich zurückbleibt.

Zwei Richtungen erheben sich gegen den humanistischen Schulbetrieb: die
christliche und die modern-nationale. Alle drei Richtungen haben sich vielfältig
gemischt, sie sind die drei Grundkräfte, durch deren Zusammen- und Entgegen¬
wirken die Entwicklung des gelehrten Unterrichtswesens seitdem bestimmt worden ist.

Wir müssen es uns versagen, auf die im zweiten Buche gegebene Dar¬
stellung hier näher einzugehen, sie bringt die Geschichte des gelehrten Unter¬
richtswesens unter dem Einflüsse des Nationalismus und des Pietismus. Das
Endresultat ist, daß sich am Ende des achtzehnten Jahrhunderts das katholische
und protestantische Deutschland ans dem Boden der Ausklärung nach langer
Trennung wieder zusammengefunden hatten.

Dem Neuhumcmismus ist das dritte Buch gewidmet, welches bis in die
Gegenwart hereinführt. Wir beschränken uns darauf, eine Übersicht des Unter¬
richtswesens in Preußen zu geben, welches ja von jetzt ab mehr und mehr als
der maßgebende Staat auch auf diesem Gebiete hervortritt.

Hatte die Aufklärung den Wert der Dinge nach dem Nutzen bemessen, so
ist dem neuen Zeitalter das an sich selbst Wertvolle das allein schätzenswerte.
Von dieser neuen Anschauung wird auch Pädagogik und Erziehungswesen durch¬
drungen: auf das, was den Menschen an sich besser und schöner mache, nicht
auf das, was ihn brauchbarer mache, müsse die Erziehung ihr Augenmerk richten.

Von den Männern der Literatur hat Herder dem Erziehungswesen am
nächsten gestanden, er hat für das neue Erziehungsideal auch zuerst die Formel


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[0252] Bildung und fachmännischer Gelehrsamkeit, suchen die Jesuiten ihr Ziel zu er¬ reichen; ihre Herrschaft geht zu Ende, als Mathematik und Naturwissenschaften auf die Anschauungen der Menschen bestimmenden Einfluß erlangen, welche der Orden nicht in sich aufgenommen hatte. Die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis ist von den jesuitischen Unterrichtsanstalten wenig gefördert worden, da die ganze Richtung des Ordens wenig geeignet war, zu eigentlich wissen¬ schaftlichen Forschungen zu ermutigen; eng zusammen hängt damit die Einrich- tung, daß der Unterricht, und im besondern der wissenschaftlich-philosophische Unterricht, nicht Lebensaufgabe eines Mannes, sondern ein Stück seines eignen Vvrbereitungskursus war. Die Lehrer an den Jesuitengymnasien wechseln un¬ aufhörlich, und wenn auch die Lehrer der protestantischen Gymnasien und Uni¬ versitäten ihr Amt nicht als Lebensaufgabe betrachteten, so war der Wechsel doch ein viel langsamerer. Das Interesse an eigentlich wissenschaftlicher For¬ schung wurde durch die Zersplitterung in Landeskirchen und durch die Rivalität der Laudesuuiversitüten nur begünstigt. Der Humanismus ist also seinem Geiste und seiner innersten Tendenz nach zwar nicht durchgerungen, aber der gelehrte Unterricht hat in diesem Zeitalter eine Gestalt empfangen, welche in ihrer Anlage von dem Ideal, das dem Erasmus vorschwebte, sich nicht weit entfernt, in der Durchführung freilich hinter der Ab¬ sicht erheblich zurückbleibt. Zwei Richtungen erheben sich gegen den humanistischen Schulbetrieb: die christliche und die modern-nationale. Alle drei Richtungen haben sich vielfältig gemischt, sie sind die drei Grundkräfte, durch deren Zusammen- und Entgegen¬ wirken die Entwicklung des gelehrten Unterrichtswesens seitdem bestimmt worden ist. Wir müssen es uns versagen, auf die im zweiten Buche gegebene Dar¬ stellung hier näher einzugehen, sie bringt die Geschichte des gelehrten Unter¬ richtswesens unter dem Einflüsse des Nationalismus und des Pietismus. Das Endresultat ist, daß sich am Ende des achtzehnten Jahrhunderts das katholische und protestantische Deutschland ans dem Boden der Ausklärung nach langer Trennung wieder zusammengefunden hatten. Dem Neuhumcmismus ist das dritte Buch gewidmet, welches bis in die Gegenwart hereinführt. Wir beschränken uns darauf, eine Übersicht des Unter¬ richtswesens in Preußen zu geben, welches ja von jetzt ab mehr und mehr als der maßgebende Staat auch auf diesem Gebiete hervortritt. Hatte die Aufklärung den Wert der Dinge nach dem Nutzen bemessen, so ist dem neuen Zeitalter das an sich selbst Wertvolle das allein schätzenswerte. Von dieser neuen Anschauung wird auch Pädagogik und Erziehungswesen durch¬ drungen: auf das, was den Menschen an sich besser und schöner mache, nicht auf das, was ihn brauchbarer mache, müsse die Erziehung ihr Augenmerk richten. Von den Männern der Literatur hat Herder dem Erziehungswesen am nächsten gestanden, er hat für das neue Erziehungsideal auch zuerst die Formel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/252>, abgerufen am 15.01.2025.