Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die proportionale Bernfsklcrssenwcihl. des Bekenntnisses, können in unsrer materialistischen Zeit ebensowenig zur Ein¬ Dagegen zeigt sich uns in der Klassifizirnng nach Berufsständen ein Uuter- Die Vernfsklassenwahl, deren Vorzüge weiter unten im einzelnen nachgewiesen Die proportionale Bernfsklcrssenwcihl. des Bekenntnisses, können in unsrer materialistischen Zeit ebensowenig zur Ein¬ Dagegen zeigt sich uns in der Klassifizirnng nach Berufsständen ein Uuter- Die Vernfsklassenwahl, deren Vorzüge weiter unten im einzelnen nachgewiesen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196758"/> <fw type="header" place="top"> Die proportionale Bernfsklcrssenwcihl.</fw><lb/> <p xml:id="ID_51" prev="#ID_50"> des Bekenntnisses, können in unsrer materialistischen Zeit ebensowenig zur Ein¬<lb/> teilung von Wählergruppen verwertet werde». Unser soziales und religiöses<lb/> Leben mit seinen unklaren Begrenzungen und für das Staatsrecht unbrauch¬<lb/> baren Gliederungen gewährt keine Stützpunkte für eine Reform des Repräsen¬<lb/> tativsystems.</p><lb/> <p xml:id="ID_52"> Dagegen zeigt sich uns in der Klassifizirnng nach Berufsständen ein Uuter-<lb/> fcheidungsmoment, das bisher noch in keinem Wahlsystem staatsrechtliche Be¬<lb/> deutung erlangt hat, dennoch aber wohl geeignet ist, einer Bildung neuer Wahl-<lb/> körper zur Basis zu dienen. Soviel uns bekannt, ist diese Frage überhaupt<lb/> noch nicht in den Bereich wissenschaftlicher Untersuchung gezogen oder öffentlich<lb/> in eingehender Weise diskutirt worden. Die Verwendbarkeit einer bcrufsständischen<lb/> Gliederung liegt auf der Hand, sie gründet sich darauf, daß jeder wahlberechtigte<lb/> Staatsbürger entweder einer bestimmten Verufsgenossenschcift oder der denselben<lb/> zu koordinircnden Gruppe der Berufslosen angehört. Über seiue Standschaft<lb/> besteht also kein Zweifel. Die Berufsregister des kaiserlichen statistischen Amtes<lb/> sichren einen genauen Nachweis darüber. Nachdem die alten Reichs- und<lb/> Landstände verschwunden, die politischen Privilegien des Grundbesitzes in den<lb/> meisten Bundesstaaten aufgehoben sind und die Unterschiede des religiösen Be¬<lb/> kenntnisses nicht standesamtlich beurkundet werden, bietet die Trennung nach<lb/> Berufsart oder Berufslosigkeit in unsrer heutigen Gesellschaftsordnung das<lb/> wichtigste Unterscheidungsmerkmal, das sich über alle Volksschichten erstreckt und<lb/> leinen einzigen Wähler von der Vcrbandszngehörigkeit ausschließt. Dieser seiner<lb/> allgemeinen Anwendbarkeit zufolge, sowie anderseits wegen der festen, gesetzlich<lb/> geregelten, amtlich kontrolirbaren Umgrenzung der Berufsgenossenschaften bietet<lb/> der berufsftäudische Organismus eine durchaus brauchbare Unterlage für die<lb/> Bildung von Interessentengruppen und Wahlkörpern.</p><lb/> <p xml:id="ID_53"> Die Vernfsklassenwahl, deren Vorzüge weiter unten im einzelnen nachgewiesen<lb/> werden sollen, erheischt keine durchgreifende Verfassungsänderung. Sie läßt die<lb/> wesentlichsten Bestimmungen des bisherigen Wahlsystems bestehen, welche der<lb/> Artikel 20 der Verfassung mit den Worten zusammenfaßt: „Der Reichstag geht<lb/> uns allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor."<lb/> Prinzipielle Bedenken, welche gegen das allgemeine Stimmrecht überhaupt oder<lb/> seine Einführung in Deutschland erhoben werden, bleiben von dieser Untersuchung<lb/> ausgeschlossen. Aber auch mit dieser Beschränkung bietet der jetzt geltende<lb/> Wahlmodus hinlänglichen Stoff zur Kritik und zur Begründung notwendiger<lb/> Reformen. (Fortsetzung folgt.)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
Die proportionale Bernfsklcrssenwcihl.
des Bekenntnisses, können in unsrer materialistischen Zeit ebensowenig zur Ein¬
teilung von Wählergruppen verwertet werde». Unser soziales und religiöses
Leben mit seinen unklaren Begrenzungen und für das Staatsrecht unbrauch¬
baren Gliederungen gewährt keine Stützpunkte für eine Reform des Repräsen¬
tativsystems.
Dagegen zeigt sich uns in der Klassifizirnng nach Berufsständen ein Uuter-
fcheidungsmoment, das bisher noch in keinem Wahlsystem staatsrechtliche Be¬
deutung erlangt hat, dennoch aber wohl geeignet ist, einer Bildung neuer Wahl-
körper zur Basis zu dienen. Soviel uns bekannt, ist diese Frage überhaupt
noch nicht in den Bereich wissenschaftlicher Untersuchung gezogen oder öffentlich
in eingehender Weise diskutirt worden. Die Verwendbarkeit einer bcrufsständischen
Gliederung liegt auf der Hand, sie gründet sich darauf, daß jeder wahlberechtigte
Staatsbürger entweder einer bestimmten Verufsgenossenschcift oder der denselben
zu koordinircnden Gruppe der Berufslosen angehört. Über seiue Standschaft
besteht also kein Zweifel. Die Berufsregister des kaiserlichen statistischen Amtes
sichren einen genauen Nachweis darüber. Nachdem die alten Reichs- und
Landstände verschwunden, die politischen Privilegien des Grundbesitzes in den
meisten Bundesstaaten aufgehoben sind und die Unterschiede des religiösen Be¬
kenntnisses nicht standesamtlich beurkundet werden, bietet die Trennung nach
Berufsart oder Berufslosigkeit in unsrer heutigen Gesellschaftsordnung das
wichtigste Unterscheidungsmerkmal, das sich über alle Volksschichten erstreckt und
leinen einzigen Wähler von der Vcrbandszngehörigkeit ausschließt. Dieser seiner
allgemeinen Anwendbarkeit zufolge, sowie anderseits wegen der festen, gesetzlich
geregelten, amtlich kontrolirbaren Umgrenzung der Berufsgenossenschaften bietet
der berufsftäudische Organismus eine durchaus brauchbare Unterlage für die
Bildung von Interessentengruppen und Wahlkörpern.
Die Vernfsklassenwahl, deren Vorzüge weiter unten im einzelnen nachgewiesen
werden sollen, erheischt keine durchgreifende Verfassungsänderung. Sie läßt die
wesentlichsten Bestimmungen des bisherigen Wahlsystems bestehen, welche der
Artikel 20 der Verfassung mit den Worten zusammenfaßt: „Der Reichstag geht
uns allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor."
Prinzipielle Bedenken, welche gegen das allgemeine Stimmrecht überhaupt oder
seine Einführung in Deutschland erhoben werden, bleiben von dieser Untersuchung
ausgeschlossen. Aber auch mit dieser Beschränkung bietet der jetzt geltende
Wahlmodus hinlänglichen Stoff zur Kritik und zur Begründung notwendiger
Reformen. (Fortsetzung folgt.)
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