Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Vie proportionale Berufsklassonwcchl. Gesamtheit aufgefaßt werden -- auf dem realen Boden der Tagesfragen wird Daß vor einer bloß fiktiven Gesamtvertretung die aus Verbänden hervor¬ Vie proportionale Berufsklassonwcchl. Gesamtheit aufgefaßt werden — auf dem realen Boden der Tagesfragen wird Daß vor einer bloß fiktiven Gesamtvertretung die aus Verbänden hervor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196757"/> <fw type="header" place="top"> Vie proportionale Berufsklassonwcchl.</fw><lb/> <p xml:id="ID_49" prev="#ID_48"> Gesamtheit aufgefaßt werden — auf dem realen Boden der Tagesfragen wird<lb/> der Abgeordnete stets der Repräsentant seiner Wählerschaft bleiben und eine in¬<lb/> direkte Einwirkung der seine Wahl bestimmenden Wünsche und Rücksichten fort¬<lb/> bestehen. Wenn demnach jene Bestimmung des Artikel 29 aus der Verfassung<lb/> verschwände, so würde damit nur eine irrtümliche Vorstellung, nicht etwa ein<lb/> Grundrecht der Nation aufgegeben und die Aufhebung eines innern Wider¬<lb/> spruches zwischen dem Wortlaut der staatsrechtlichen Grundlage und den fak¬<lb/> tischen Zuständen angebahnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_50" next="#ID_51"> Daß vor einer bloß fiktiven Gesamtvertretung die aus Verbänden hervor¬<lb/> gehende Interessenvertretung unbedingt den Vorzug verdient, ist wissenschaftlich<lb/> häufig nachgewiesen worden. In Deutschland haben bedeutende Staatsrechts¬<lb/> lehrer wie Ahrens, Bluntschli und Mohl, in England die politischen Publizisten<lb/> Lord Grey und James Lorimer, in Belgien neuerdings Professor Prius und<lb/> Senator Pcmtaleoni an die Kritik des allgemeinen Stimmrechts die Begründung<lb/> neuer Vorschläge geknüpft. Aber während sie in der Negation übereinstimmen,<lb/> gehen ihre Reformvorschläge ziemlich weit auseinander. Sie suchen das Heil<lb/> größtenteils in der Neaktivirung des alten Ständewesens und betonen die<lb/> Sonderung der ländlichen Bezirke von den Stadtgemeinden. Auch Maecmlcch<lb/> ist für ein Klassenwahlsystem; er verlangt von einem Parlament, daß es nicht<lb/> Zahlen, sondern Klassen repräsentire. Thatsächlich finden wir das Prinzip der<lb/> Vertretung nach Verbänden in vielen Staats-, Kreis- und Kommunalverfassungen<lb/> verwirklicht, so in den Senaten, Pairs- und Reichsratskammern der meisten euro¬<lb/> päischen Staaten, der rumänischen Deputirtenkammer, dem britischen Parlament<lb/> und dem norwegischen Storthing, den Provinziallandtagen in Preußen, Sachsen,<lb/> Baiern, Baden ?c., den städtischen Verfassungen von Hamburg und Bremen, den<lb/> Landständen in den Großherzogtümern Mecklenburg, in Finnland und in den<lb/> baltischen Provinzen ?e. Wo es nicht gelang, die alten historischen Verbände<lb/> zu erhalten, hat man neue Kategorien geschaffen, indem man die Ausübung des<lb/> Wahlrechts abhängig machte von dem Nachweis einer gewissen Steuerleistung,<lb/> der Seßhaftigkeit oder selbst einer elementaren Schulbildung. Die Abstufung<lb/> nach Steuerklassen, wie sie die preußische Verfassung vorschreibt, kann als eine<lb/> Verbesserung des Reichswahlsystems schon deshalb nicht angesehen werden, weil<lb/> sie den Nachteil unvertretener Minoritäten in der zweimaligen Jnstanzwahl noch<lb/> verstärkt zum Ausdruck bringt. Auch giebt sie aus audern Gründen nicht ge¬<lb/> nügende Bürgschaft, daß durch sie die staatserhaltenden Kräfte zur Geltung ge¬<lb/> langen. Die Vermischung widerstreitender Interessen bei der Auswahl von<lb/> Wahlmänncrn und Abgeordneten führt dahin, daß letztere ebensowenig wie die<lb/> Neichstagsmitglieder als Vertreter einer gleich gesinnten Wählerschaft angesehen<lb/> werden können. Es muß nach einer andern Gliederung gesucht werden, als die<lb/> ist, welche der Unterschied des Vermögens darbietet. Die alten Stände sind<lb/> dafür nicht brauchbar. Rein ethische Gesichtspunkte, wie etwa der Unterschied</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Vie proportionale Berufsklassonwcchl.
Gesamtheit aufgefaßt werden — auf dem realen Boden der Tagesfragen wird
der Abgeordnete stets der Repräsentant seiner Wählerschaft bleiben und eine in¬
direkte Einwirkung der seine Wahl bestimmenden Wünsche und Rücksichten fort¬
bestehen. Wenn demnach jene Bestimmung des Artikel 29 aus der Verfassung
verschwände, so würde damit nur eine irrtümliche Vorstellung, nicht etwa ein
Grundrecht der Nation aufgegeben und die Aufhebung eines innern Wider¬
spruches zwischen dem Wortlaut der staatsrechtlichen Grundlage und den fak¬
tischen Zuständen angebahnt.
Daß vor einer bloß fiktiven Gesamtvertretung die aus Verbänden hervor¬
gehende Interessenvertretung unbedingt den Vorzug verdient, ist wissenschaftlich
häufig nachgewiesen worden. In Deutschland haben bedeutende Staatsrechts¬
lehrer wie Ahrens, Bluntschli und Mohl, in England die politischen Publizisten
Lord Grey und James Lorimer, in Belgien neuerdings Professor Prius und
Senator Pcmtaleoni an die Kritik des allgemeinen Stimmrechts die Begründung
neuer Vorschläge geknüpft. Aber während sie in der Negation übereinstimmen,
gehen ihre Reformvorschläge ziemlich weit auseinander. Sie suchen das Heil
größtenteils in der Neaktivirung des alten Ständewesens und betonen die
Sonderung der ländlichen Bezirke von den Stadtgemeinden. Auch Maecmlcch
ist für ein Klassenwahlsystem; er verlangt von einem Parlament, daß es nicht
Zahlen, sondern Klassen repräsentire. Thatsächlich finden wir das Prinzip der
Vertretung nach Verbänden in vielen Staats-, Kreis- und Kommunalverfassungen
verwirklicht, so in den Senaten, Pairs- und Reichsratskammern der meisten euro¬
päischen Staaten, der rumänischen Deputirtenkammer, dem britischen Parlament
und dem norwegischen Storthing, den Provinziallandtagen in Preußen, Sachsen,
Baiern, Baden ?c., den städtischen Verfassungen von Hamburg und Bremen, den
Landständen in den Großherzogtümern Mecklenburg, in Finnland und in den
baltischen Provinzen ?e. Wo es nicht gelang, die alten historischen Verbände
zu erhalten, hat man neue Kategorien geschaffen, indem man die Ausübung des
Wahlrechts abhängig machte von dem Nachweis einer gewissen Steuerleistung,
der Seßhaftigkeit oder selbst einer elementaren Schulbildung. Die Abstufung
nach Steuerklassen, wie sie die preußische Verfassung vorschreibt, kann als eine
Verbesserung des Reichswahlsystems schon deshalb nicht angesehen werden, weil
sie den Nachteil unvertretener Minoritäten in der zweimaligen Jnstanzwahl noch
verstärkt zum Ausdruck bringt. Auch giebt sie aus audern Gründen nicht ge¬
nügende Bürgschaft, daß durch sie die staatserhaltenden Kräfte zur Geltung ge¬
langen. Die Vermischung widerstreitender Interessen bei der Auswahl von
Wahlmänncrn und Abgeordneten führt dahin, daß letztere ebensowenig wie die
Neichstagsmitglieder als Vertreter einer gleich gesinnten Wählerschaft angesehen
werden können. Es muß nach einer andern Gliederung gesucht werden, als die
ist, welche der Unterschied des Vermögens darbietet. Die alten Stände sind
dafür nicht brauchbar. Rein ethische Gesichtspunkte, wie etwa der Unterschied
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