Deshalb aber mit dem opportunistischen l'eroW zu frohlocken und zu be¬ haupten, der 18, Oktober habe den Monarchisten eine Lektion erteilt und die republikanischen Gesinnungen des Landes bestätigt, war wenig Ursache. Zunächst ist zu beachten, daß von etwa neun Millionen Wahlberechtigten 8 082 216 ihre Stimmen abgaben, daß davon 1986315 oder 24 Prozent auf radikale, 2193219 oder 27 Prozent auf opportunistische oder sonstige den Mittelpnrteieu ange- hörige, dagegen nicht weniger als 3471197 oder 43 Prozent auf reaktionäre Kandidaten fielen, und daß man den größten Teil der Wahlberechtigten, welche der Stimmurne fern blieben, den Monarchisten beizuzählen Grund hat. (431485 Stimmen oder 2 Prozent fielen auf solche Kandidaten, die gar keiner Partei angehörten.) Die Monarchisten serner sehen durch den Ausfall der Wahlen ihre Reihen sehr wesentlich verstärkt, und wenn sie an vielen Orten siegten, so geschah dies, weil die republikanische Gesinnung des Landes hier schwach war; denn sie hatten ja nicht die Macht in den Händen, nicht die Mittel der re¬ gierenden Partei, die den Republikanern zu Gebote standen. Die Opportunisten, die einzige Partei, welche infolge ihrer vergleichsweise maßvollen Denkart und Politik die Republik vor Wegen bewahren kann, welche sie in Übertreibungen und dnrch diese zum Untergange führen müssen, geht bedeutend geschwächt aus dem Wahlfeldzuge hervor. Sie hat viele Kammersitze an die Monarchisten ab¬ geben müssen, zugleich aber an die Radikalen, die Partei, welche jene verhäng¬ nisvollen Wege eingeschlagen wissen wollen. Diese Partei hat sich mit den ge¬ mäßigten Republikanern für die Stichwahlen verbunden, aber sicherlich nur sür diese. Sie bekämpfte die Opportunisten in der vorigen Kammer und in ihrer Presse leidenschaftlich, und wird den Kampf gewiß nicht aufgeben, weil ihre Gegner schwächer geworden sind. Sogar die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß Radikale und Monarchisten bei Gelegenheit für einige Zeit zusammentreten, um den Sturz der herrschenden Opportunisten, der mit den Wahlen begonnen hat, zu beschleunigen und so die Bahn zu ihrem eignen letzten Ziele freier zu machen. Clemenceaus Republik wird bald unerträglich und daun bald keine Republik mehr sein, also helfen wir Clemeneeau und Genossen in die Minister¬ sessel, könnten die Monarchisten sagen, und Clemeneeau und Genossen würden sich vermutlich kein Gewissen daraus machen, sich helfen zu lassen. Daraus ergiebt sich allerdings für die nächste Zeit noch keine unmittelbare Gefahr für die Republik, wohl aber die Unmöglichkeit, eine feste und berechenbare Negierung zu bilden, die bisher schon fehlte und in Zukunft noch weniger herzustellen sein wird. Nach außen hin muß diese Verschlimmerung der Dinge zunächst die Wirkung haben, daß die Republik noch unzuverlässiger und daß ein Bündnis mit ihr noch weniger ratsam erscheinen wird als in dem letzten Jahrzehnt, und was sie für eine Wirkung auf die innern Angelegenheiten haben wird, entzieht sich vor der Hand jeder Voraussage. Wahrscheinlich ist nur, daß die neue Deputirtenkammer nicht von langer Dauer sein wird. Auch das Ministerium
Das Ergebnis der französischen Wahlen.
Deshalb aber mit dem opportunistischen l'eroW zu frohlocken und zu be¬ haupten, der 18, Oktober habe den Monarchisten eine Lektion erteilt und die republikanischen Gesinnungen des Landes bestätigt, war wenig Ursache. Zunächst ist zu beachten, daß von etwa neun Millionen Wahlberechtigten 8 082 216 ihre Stimmen abgaben, daß davon 1986315 oder 24 Prozent auf radikale, 2193219 oder 27 Prozent auf opportunistische oder sonstige den Mittelpnrteieu ange- hörige, dagegen nicht weniger als 3471197 oder 43 Prozent auf reaktionäre Kandidaten fielen, und daß man den größten Teil der Wahlberechtigten, welche der Stimmurne fern blieben, den Monarchisten beizuzählen Grund hat. (431485 Stimmen oder 2 Prozent fielen auf solche Kandidaten, die gar keiner Partei angehörten.) Die Monarchisten serner sehen durch den Ausfall der Wahlen ihre Reihen sehr wesentlich verstärkt, und wenn sie an vielen Orten siegten, so geschah dies, weil die republikanische Gesinnung des Landes hier schwach war; denn sie hatten ja nicht die Macht in den Händen, nicht die Mittel der re¬ gierenden Partei, die den Republikanern zu Gebote standen. Die Opportunisten, die einzige Partei, welche infolge ihrer vergleichsweise maßvollen Denkart und Politik die Republik vor Wegen bewahren kann, welche sie in Übertreibungen und dnrch diese zum Untergange führen müssen, geht bedeutend geschwächt aus dem Wahlfeldzuge hervor. Sie hat viele Kammersitze an die Monarchisten ab¬ geben müssen, zugleich aber an die Radikalen, die Partei, welche jene verhäng¬ nisvollen Wege eingeschlagen wissen wollen. Diese Partei hat sich mit den ge¬ mäßigten Republikanern für die Stichwahlen verbunden, aber sicherlich nur sür diese. Sie bekämpfte die Opportunisten in der vorigen Kammer und in ihrer Presse leidenschaftlich, und wird den Kampf gewiß nicht aufgeben, weil ihre Gegner schwächer geworden sind. Sogar die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß Radikale und Monarchisten bei Gelegenheit für einige Zeit zusammentreten, um den Sturz der herrschenden Opportunisten, der mit den Wahlen begonnen hat, zu beschleunigen und so die Bahn zu ihrem eignen letzten Ziele freier zu machen. Clemenceaus Republik wird bald unerträglich und daun bald keine Republik mehr sein, also helfen wir Clemeneeau und Genossen in die Minister¬ sessel, könnten die Monarchisten sagen, und Clemeneeau und Genossen würden sich vermutlich kein Gewissen daraus machen, sich helfen zu lassen. Daraus ergiebt sich allerdings für die nächste Zeit noch keine unmittelbare Gefahr für die Republik, wohl aber die Unmöglichkeit, eine feste und berechenbare Negierung zu bilden, die bisher schon fehlte und in Zukunft noch weniger herzustellen sein wird. Nach außen hin muß diese Verschlimmerung der Dinge zunächst die Wirkung haben, daß die Republik noch unzuverlässiger und daß ein Bündnis mit ihr noch weniger ratsam erscheinen wird als in dem letzten Jahrzehnt, und was sie für eine Wirkung auf die innern Angelegenheiten haben wird, entzieht sich vor der Hand jeder Voraussage. Wahrscheinlich ist nur, daß die neue Deputirtenkammer nicht von langer Dauer sein wird. Auch das Ministerium
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Das Ergebnis der französischen Wahlen.
Deshalb aber mit dem opportunistischen l'eroW zu frohlocken und zu be¬
haupten, der 18, Oktober habe den Monarchisten eine Lektion erteilt und die
republikanischen Gesinnungen des Landes bestätigt, war wenig Ursache. Zunächst
ist zu beachten, daß von etwa neun Millionen Wahlberechtigten 8 082 216 ihre
Stimmen abgaben, daß davon 1986315 oder 24 Prozent auf radikale, 2193219
oder 27 Prozent auf opportunistische oder sonstige den Mittelpnrteieu ange-
hörige, dagegen nicht weniger als 3471197 oder 43 Prozent auf reaktionäre
Kandidaten fielen, und daß man den größten Teil der Wahlberechtigten, welche
der Stimmurne fern blieben, den Monarchisten beizuzählen Grund hat. (431485
Stimmen oder 2 Prozent fielen auf solche Kandidaten, die gar keiner Partei
angehörten.) Die Monarchisten serner sehen durch den Ausfall der Wahlen
ihre Reihen sehr wesentlich verstärkt, und wenn sie an vielen Orten siegten, so
geschah dies, weil die republikanische Gesinnung des Landes hier schwach war;
denn sie hatten ja nicht die Macht in den Händen, nicht die Mittel der re¬
gierenden Partei, die den Republikanern zu Gebote standen. Die Opportunisten,
die einzige Partei, welche infolge ihrer vergleichsweise maßvollen Denkart und
Politik die Republik vor Wegen bewahren kann, welche sie in Übertreibungen
und dnrch diese zum Untergange führen müssen, geht bedeutend geschwächt aus
dem Wahlfeldzuge hervor. Sie hat viele Kammersitze an die Monarchisten ab¬
geben müssen, zugleich aber an die Radikalen, die Partei, welche jene verhäng¬
nisvollen Wege eingeschlagen wissen wollen. Diese Partei hat sich mit den ge¬
mäßigten Republikanern für die Stichwahlen verbunden, aber sicherlich nur sür
diese. Sie bekämpfte die Opportunisten in der vorigen Kammer und in ihrer
Presse leidenschaftlich, und wird den Kampf gewiß nicht aufgeben, weil ihre
Gegner schwächer geworden sind. Sogar die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen,
daß Radikale und Monarchisten bei Gelegenheit für einige Zeit zusammentreten,
um den Sturz der herrschenden Opportunisten, der mit den Wahlen begonnen
hat, zu beschleunigen und so die Bahn zu ihrem eignen letzten Ziele freier zu
machen. Clemenceaus Republik wird bald unerträglich und daun bald keine
Republik mehr sein, also helfen wir Clemeneeau und Genossen in die Minister¬
sessel, könnten die Monarchisten sagen, und Clemeneeau und Genossen würden
sich vermutlich kein Gewissen daraus machen, sich helfen zu lassen. Daraus
ergiebt sich allerdings für die nächste Zeit noch keine unmittelbare Gefahr für
die Republik, wohl aber die Unmöglichkeit, eine feste und berechenbare Negierung
zu bilden, die bisher schon fehlte und in Zukunft noch weniger herzustellen sein
wird. Nach außen hin muß diese Verschlimmerung der Dinge zunächst die
Wirkung haben, daß die Republik noch unzuverlässiger und daß ein Bündnis
mit ihr noch weniger ratsam erscheinen wird als in dem letzten Jahrzehnt, und
was sie für eine Wirkung auf die innern Angelegenheiten haben wird, entzieht
sich vor der Hand jeder Voraussage. Wahrscheinlich ist nur, daß die neue
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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/231>, abgerufen am 24.01.2025.
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