Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.fortfuhr: "Heute ist jedermann zu der Erkenntnis gelangt, daß ein Beamter Dieses Vorgehen des Ministers des Innern that seine Wirkung, noch mehr fortfuhr: „Heute ist jedermann zu der Erkenntnis gelangt, daß ein Beamter Dieses Vorgehen des Ministers des Innern that seine Wirkung, noch mehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196964"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_727" prev="#ID_726"> fortfuhr: „Heute ist jedermann zu der Erkenntnis gelangt, daß ein Beamter<lb/> der Republik die Pflicht hat, sie zu verteidigen." Das Ministerium gab ihm<lb/> Recht und verfuhr darnach, indem es eine Reihe von Maires und Adjuukten<lb/> absetzte, die am 4. Oktober die Konservativen begünstigt hatte». Unter den<lb/> Gemaßregelteu befinden sich ein Maire, der die republikanischen Wahlaufrufe<lb/> von den Mauern abreißen ließ, ein Adjunkt, der den Befehl gab, royalistische<lb/> Wahlplakate auf das Bret zu heften, welches bloß für amtliche Bekanntmachungen<lb/> bestimmt war, ein bretonischer Beamter, der an der Thür des Abstimmungs-<lb/> lokals die reaktionäre Liste austeilte und deu Wählern in strengen Worten ver¬<lb/> bot, sür die republikanischen Kandidaten zu stimmen, und eine Anzahl korsika-<lb/> nischer Maires, die neben der Wahlurne den Ruf: „Es lebe der Kaiser!"<lb/> ausgestoßen hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_728"> Dieses Vorgehen des Ministers des Innern that seine Wirkung, noch mehr<lb/> aber der Umstand, daß die in Opportunisten, Leute des linken Zentrums und<lb/> Radikale gespaltenen Republikaner sich für die Stichwahlen wirklich einigten,<lb/> und daß die Arbeiterpartei und die Revolutionäre sich diesmal an der Wahl¬<lb/> schlacht nnr in geringer Zahl beteiligten. Es war nicht leicht, alle Anhänger<lb/> der Republik angesichts der Gefahr einer zweiten Niederlage unter einen Hut<lb/> zu bringen, aber es gelang wenigstens zum großen Teil, und so erlangten bei<lb/> der Abstimmung am 18. Oktober zwar nicht die Opportunisten, wohl aber die<lb/> Republikaner als Gesamtheit die entschiedene Mehrheit. Bei den 304 endgil-<lb/> tigen Wahlen des 4. Oktober hatten nur 127 republikanische Kandidaten gesiegt,<lb/> dagegen waren den Monarchisten 177 Mandate zugefallen, und nur 14 Depar¬<lb/> tements hatten lauter republikanische, 20 dagegen lauter monarchisch gesinnte<lb/> Abgeordnete gewählt. Von den 27 Departements, in denen nun Stichwahlen<lb/> bevorstanden, hatten 16 nur Republikanern, 8 nur Monarchisten, 3 dagegen einer<lb/> aus beiden Gruppen gemischten Vertretung ihre Stimmen gegeben. In den<lb/> übrigen Departements, wo die Stichwahl sämtlichen Deputirten galt, sollte an,<lb/> 18. Oktober über 166 Kammersitzc die Entscheidung fallen. Man rechnete dabei,<lb/> nach Herstellung der Eintracht unter den Hauptgruppen der Republikaner, auf<lb/> ein Gesamtergebnis der beiden Wahlhandlungen, welches 177 -j- 25 ----- 202<lb/> Konservativen oder Reaktionären 127 -j- 185 ----- 312 Republikaner gegenüber¬<lb/> stellen würde, sodaß letztere in der Deputirtenkammer über eine Mehrheit von<lb/> 110 Stimmen verfügen könnten, und das ist am 18. Oktober noch überboten<lb/> worden. Die Stichwahlen in Frankreich selbst ergaben 208 republikanische und<lb/> 26 konservative Abgeordnete, und die Wahlen in den Kolonie» werden die Zahl<lb/> der erster» wahrscheinlich auf 388 anwachsen lasse». I» der neuen Kammer<lb/> werden neben 203 Reaktionäre»? wenigstens 382 Republikaner sitzen, welche<lb/> letztern in etwa 230 Opportunisten und sonstige Gemäßigte und ungefähr<lb/> 1ö0 Radikale zerfallen. Die Wahlen haben also erheblich günstiger für die<lb/> Republikaner geendigt, als zwischen dem 4. und dem 18. Oktober erwartet wurde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
fortfuhr: „Heute ist jedermann zu der Erkenntnis gelangt, daß ein Beamter
der Republik die Pflicht hat, sie zu verteidigen." Das Ministerium gab ihm
Recht und verfuhr darnach, indem es eine Reihe von Maires und Adjuukten
absetzte, die am 4. Oktober die Konservativen begünstigt hatte». Unter den
Gemaßregelteu befinden sich ein Maire, der die republikanischen Wahlaufrufe
von den Mauern abreißen ließ, ein Adjunkt, der den Befehl gab, royalistische
Wahlplakate auf das Bret zu heften, welches bloß für amtliche Bekanntmachungen
bestimmt war, ein bretonischer Beamter, der an der Thür des Abstimmungs-
lokals die reaktionäre Liste austeilte und deu Wählern in strengen Worten ver¬
bot, sür die republikanischen Kandidaten zu stimmen, und eine Anzahl korsika-
nischer Maires, die neben der Wahlurne den Ruf: „Es lebe der Kaiser!"
ausgestoßen hatten.
Dieses Vorgehen des Ministers des Innern that seine Wirkung, noch mehr
aber der Umstand, daß die in Opportunisten, Leute des linken Zentrums und
Radikale gespaltenen Republikaner sich für die Stichwahlen wirklich einigten,
und daß die Arbeiterpartei und die Revolutionäre sich diesmal an der Wahl¬
schlacht nnr in geringer Zahl beteiligten. Es war nicht leicht, alle Anhänger
der Republik angesichts der Gefahr einer zweiten Niederlage unter einen Hut
zu bringen, aber es gelang wenigstens zum großen Teil, und so erlangten bei
der Abstimmung am 18. Oktober zwar nicht die Opportunisten, wohl aber die
Republikaner als Gesamtheit die entschiedene Mehrheit. Bei den 304 endgil-
tigen Wahlen des 4. Oktober hatten nur 127 republikanische Kandidaten gesiegt,
dagegen waren den Monarchisten 177 Mandate zugefallen, und nur 14 Depar¬
tements hatten lauter republikanische, 20 dagegen lauter monarchisch gesinnte
Abgeordnete gewählt. Von den 27 Departements, in denen nun Stichwahlen
bevorstanden, hatten 16 nur Republikanern, 8 nur Monarchisten, 3 dagegen einer
aus beiden Gruppen gemischten Vertretung ihre Stimmen gegeben. In den
übrigen Departements, wo die Stichwahl sämtlichen Deputirten galt, sollte an,
18. Oktober über 166 Kammersitzc die Entscheidung fallen. Man rechnete dabei,
nach Herstellung der Eintracht unter den Hauptgruppen der Republikaner, auf
ein Gesamtergebnis der beiden Wahlhandlungen, welches 177 -j- 25 ----- 202
Konservativen oder Reaktionären 127 -j- 185 ----- 312 Republikaner gegenüber¬
stellen würde, sodaß letztere in der Deputirtenkammer über eine Mehrheit von
110 Stimmen verfügen könnten, und das ist am 18. Oktober noch überboten
worden. Die Stichwahlen in Frankreich selbst ergaben 208 republikanische und
26 konservative Abgeordnete, und die Wahlen in den Kolonie» werden die Zahl
der erster» wahrscheinlich auf 388 anwachsen lasse». I» der neuen Kammer
werden neben 203 Reaktionäre»? wenigstens 382 Republikaner sitzen, welche
letztern in etwa 230 Opportunisten und sonstige Gemäßigte und ungefähr
1ö0 Radikale zerfallen. Die Wahlen haben also erheblich günstiger für die
Republikaner geendigt, als zwischen dem 4. und dem 18. Oktober erwartet wurde.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |