Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Vie Klagen und Ansprüche der Serben und Griechen. Besitze bekomme". Die serbische Behauptung ist besonders komisch. Wenn Alles scheint jetzt davon abzuhängen, ob Oesterreich-Ungarn eine Aktion Zum Schlüsse sei auf eine wichtige Aeußerung des Mrä hingewiesen, den Vie Klagen und Ansprüche der Serben und Griechen. Besitze bekomme». Die serbische Behauptung ist besonders komisch. Wenn Alles scheint jetzt davon abzuhängen, ob Oesterreich-Ungarn eine Aktion Zum Schlüsse sei auf eine wichtige Aeußerung des Mrä hingewiesen, den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196936"/> <fw type="header" place="top"> Vie Klagen und Ansprüche der Serben und Griechen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_637" prev="#ID_636"> Besitze bekomme». Die serbische Behauptung ist besonders komisch. Wenn<lb/> früher irgendein Volk oder ein Stamm sich gegen den Sultan auflehnte, so sagte<lb/> man, die Insurgenten hätten ein gutes Recht dazu; denn alle Christen in der<lb/> Türkei wären befugt, sich selbst zu regieren. Man sagte uns serner, daß alle<lb/> Völker der Balkanhalbinsel, Rumänen, Serben, Bulgaren, Montenegriner und<lb/> Griechen, durch ihr religiöses Bekenntnis Verwandte, Bundesgenossen, gleichsam<lb/> eine einzige Nation seien, und daß sie tief mit einander in dem Wunsche sym-<lb/> pathisirten, das Joch, das ihnen in Gestalt des Halbmondes auferlegt sei, abzu¬<lb/> werfen. Jetzt schallt es aus einem ganz andern Horne, und wir sehen statt der<lb/> Einmütigkeit nichts als Zwietracht, Selbstsucht, Mißgunst und Haß vor uns.</p><lb/> <p xml:id="ID_638"> Alles scheint jetzt davon abzuhängen, ob Oesterreich-Ungarn eine Aktion<lb/> Serbiens zulassen kann und will. Eine Zeit lang lagen die Dinge so, daß<lb/> man die Frage zu bejahen hatte. Jetzt ist man auf andre Gedanken gekommen.<lb/> Wenn Rußland und Deutschland darin übereinstimmen, daß die Veränderung in<lb/> Bulgarien den Berliner Frieden möglichst wenig verletzen und daß die Pforte<lb/> keine weitere Gebietsschmälernng erleiden soll, so wird Osterreich nicht dagegen<lb/> handeln. Die Staatsmänner in Wien werden keine orientalische Politik treiben,<lb/> die nicht im Einklange mit den Überzeugungen des deutschen Reichskanzlers sein<lb/> und das gute Einvernehmen mit Petersburg in Frage stellen würde. Manchen<lb/> wird es schon bedenklich vorkommen, daß Graf Kalnolh dem Könige Milan<lb/> gestattet hat, Geld für Rüstungen auszugeben, ein Juvasionsheer aufzustellen<lb/> und den kriegerischen Enthusiasmus des Serbenvolkes in Wallung zu bringen,<lb/> Oesterreich wird sich unzweifelhaft, wenn dies in diesem Augenblicke nicht schon<lb/> geschehen ist, den Mächten anschließen, die in Belgrad und Athen dahin wirken,<lb/> daß Friede gehalten werde, und die der vstrumelischcn Veränderung eine Gestalt<lb/> geben werden, in der sie auf ein Minimum reduzirt ist. Fürst Alexander wird,<lb/> wenn er sich nicht unter der starken Abneigung des Zaren gegen ihn wieder<lb/> in einen Prinzen von Ballenberg verwandeln sollte, sich mit einer Art von<lb/> Personalunion, wie sie einst die Bewohner der Moldau und Walachei eine<lb/> Zeit lang befriedigte, vielleicht auch mit weniger begnügen müssen. Thun er<lb/> und seine Bulgaren dies nicht, so werden die Türken Ostrumelien vklupiren,<lb/> und die Mächte werden sie nicht daran hindern. Eine moralische Intervention<lb/> Rußlands wie 1876 in Serbien, eine militärische wie 1877 ebendaselbst wird<lb/> kaum stattfinden. Die Serben und die Griechen werden, wenn sie den Ab¬<lb/> machungen der Mächte nicht Folge leisten, die Türken allein bekämpfen müssen<lb/> und wenigstens nicht schnell siegen, und lange Krieg zu führen, erlauben ihnen<lb/> ihre schwächlichen Finanzen nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_639"> Zum Schlüsse sei auf eine wichtige Aeußerung des Mrä hingewiesen, den<lb/> die russische Politik als Vertreter ihrer Meinungen und Absichten zu benutzen<lb/> pflegt. Derselbe bemerkt, wenn der Türke heutzutage nicht in Europa wäre,<lb/> so müßte man ihn erfinden. Ostrumelien dürfe nicht ein einheitliches Staats¬<lb/> wesen mit Bulgarien bilden, die Ansprüche der Serben und Griechen müßten<lb/> zurückgewiesen werden, damit die Türkei als Hauptbestandteil der Balkanhalbinsel<lb/> und Gegengewicht gegenüber den übrigen Staaten derselben erhalten bleibe. In<lb/> Ostrumelien und Bulgarien sei ein Zustand zu schaffen, der, wenn auch nicht<lb/> ganz genau dem Buchstaben, so doch dem Geiste des Berliner Vertrages ent¬<lb/> spreche. Wir haben Ursache zu glauben, daß sich schließlich die Anstrengungen<lb/> aller Mächte in dieser Richtung bewegen werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
Vie Klagen und Ansprüche der Serben und Griechen.
Besitze bekomme». Die serbische Behauptung ist besonders komisch. Wenn
früher irgendein Volk oder ein Stamm sich gegen den Sultan auflehnte, so sagte
man, die Insurgenten hätten ein gutes Recht dazu; denn alle Christen in der
Türkei wären befugt, sich selbst zu regieren. Man sagte uns serner, daß alle
Völker der Balkanhalbinsel, Rumänen, Serben, Bulgaren, Montenegriner und
Griechen, durch ihr religiöses Bekenntnis Verwandte, Bundesgenossen, gleichsam
eine einzige Nation seien, und daß sie tief mit einander in dem Wunsche sym-
pathisirten, das Joch, das ihnen in Gestalt des Halbmondes auferlegt sei, abzu¬
werfen. Jetzt schallt es aus einem ganz andern Horne, und wir sehen statt der
Einmütigkeit nichts als Zwietracht, Selbstsucht, Mißgunst und Haß vor uns.
Alles scheint jetzt davon abzuhängen, ob Oesterreich-Ungarn eine Aktion
Serbiens zulassen kann und will. Eine Zeit lang lagen die Dinge so, daß
man die Frage zu bejahen hatte. Jetzt ist man auf andre Gedanken gekommen.
Wenn Rußland und Deutschland darin übereinstimmen, daß die Veränderung in
Bulgarien den Berliner Frieden möglichst wenig verletzen und daß die Pforte
keine weitere Gebietsschmälernng erleiden soll, so wird Osterreich nicht dagegen
handeln. Die Staatsmänner in Wien werden keine orientalische Politik treiben,
die nicht im Einklange mit den Überzeugungen des deutschen Reichskanzlers sein
und das gute Einvernehmen mit Petersburg in Frage stellen würde. Manchen
wird es schon bedenklich vorkommen, daß Graf Kalnolh dem Könige Milan
gestattet hat, Geld für Rüstungen auszugeben, ein Juvasionsheer aufzustellen
und den kriegerischen Enthusiasmus des Serbenvolkes in Wallung zu bringen,
Oesterreich wird sich unzweifelhaft, wenn dies in diesem Augenblicke nicht schon
geschehen ist, den Mächten anschließen, die in Belgrad und Athen dahin wirken,
daß Friede gehalten werde, und die der vstrumelischcn Veränderung eine Gestalt
geben werden, in der sie auf ein Minimum reduzirt ist. Fürst Alexander wird,
wenn er sich nicht unter der starken Abneigung des Zaren gegen ihn wieder
in einen Prinzen von Ballenberg verwandeln sollte, sich mit einer Art von
Personalunion, wie sie einst die Bewohner der Moldau und Walachei eine
Zeit lang befriedigte, vielleicht auch mit weniger begnügen müssen. Thun er
und seine Bulgaren dies nicht, so werden die Türken Ostrumelien vklupiren,
und die Mächte werden sie nicht daran hindern. Eine moralische Intervention
Rußlands wie 1876 in Serbien, eine militärische wie 1877 ebendaselbst wird
kaum stattfinden. Die Serben und die Griechen werden, wenn sie den Ab¬
machungen der Mächte nicht Folge leisten, die Türken allein bekämpfen müssen
und wenigstens nicht schnell siegen, und lange Krieg zu führen, erlauben ihnen
ihre schwächlichen Finanzen nicht.
Zum Schlüsse sei auf eine wichtige Aeußerung des Mrä hingewiesen, den
die russische Politik als Vertreter ihrer Meinungen und Absichten zu benutzen
pflegt. Derselbe bemerkt, wenn der Türke heutzutage nicht in Europa wäre,
so müßte man ihn erfinden. Ostrumelien dürfe nicht ein einheitliches Staats¬
wesen mit Bulgarien bilden, die Ansprüche der Serben und Griechen müßten
zurückgewiesen werden, damit die Türkei als Hauptbestandteil der Balkanhalbinsel
und Gegengewicht gegenüber den übrigen Staaten derselben erhalten bleibe. In
Ostrumelien und Bulgarien sei ein Zustand zu schaffen, der, wenn auch nicht
ganz genau dem Buchstaben, so doch dem Geiste des Berliner Vertrages ent¬
spreche. Wir haben Ursache zu glauben, daß sich schließlich die Anstrengungen
aller Mächte in dieser Richtung bewegen werden.
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