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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Klagen und Ansprüche der Sorben und Griechen.

Beschuldigung liegt in der Thatsache, daß sie wenige Monate nach der Schöpfung
Bulgariens trotz der Anwesenheit von Agenten der Mächte, welche den Berliner
Vertrag festgestellt hatten, gegen dessen ausdrückliche Bestimmung fast alle Muha-
medaner des Landes aus ihren Besitze und über die Grenze vertrieben haben.

Die Mächte werden die Union nicht rückgängig machen, und wenn sie uns
keine Kompensation gewähren, die uns die Pläne der Bulgaren zu vereiteln in
den Stand setzt, so muß das Königreich Griechenland bereit sein, alle Opfer
zu bringen, um die Interessen nicht bloß des Königreiches selbst, sondern der
gesamten hellenischen Nationalität, deren Fürsprecher und Beschützer dieses ist,
mit Erfolg wahrzunehmen. Wenn man uns fragt, was Griechenland in dieser
Beziehung zu erwarten ein Recht hat, so antworten wir: Die Union ist das
volle Maß dessen, was die Anwälte' der Bulgaren auf dem Berliner Kongresse
verlangten, und so ist es uur billig, daß die Mächte jetzt den Griechen ebenfalls
voll gewähren, was Waddington dort für sie forderte, d. h. den Nest von
Epirus und Thessalien. Was die Ausdehnung unsrer Grenzen in andern
Richtungen betrifft, so würde das eine Frage sein, die nach den Umständen zu
entscheiden wäre und davon abzuhängen hätte, ob die Bulgaren Makedonien in
Ruhe ließen oder nicht. Bräche dort ein Aufstand aus, so würde es unab¬
weisbar Pflicht für uns werden, zu sorgen, daß der griechische Teil dieser
Provinz, welcher der größte und wichtigste derselben ist, nicht der Gnade der
Bulgaren überlassen bliebe. Was wir den griechischen Teil Macedoniens nennen,
umfaßt den ganzen Süden der Provinz und dehut sich nach Norden hinauf bis
Serres, Sromnitzci und zum See von Ochris. Die Bevölkerung von Salonik
ist wie die aller größern Städte der Türkei sehr gemischt, und ihr Hauptelement
bilden Juden. Aber die türkischen Juden beanspruchen nirgends politische oder
nationale Rechte, und so vermindern die in Salonik in keiner Weise das
griechische Gepräge dieser Stadt, zumal da sie mit den dortigen Hellenen stets
auf dem besten Fuße lebten und ohne Ausnahme griechisch verstehen, anch sich
dieser Sprache im öffentlichen Verkehre vorwiegend bedienen. I'Jhre Haus- und
Familiensprache ist ein verdorbenes Spanisch; denn sie sind Sephardim, d. h.
Nachkommen aus Spanien vertriebener Juden,^ Null steht Österreich im Ver¬
dachte, nach Salonik vorrücken und sich desselben bemächtigen zu wollen, aber
es hat mehr als einmal amtlich in Abrede gestellt, einen derartigen Gedanken
zu hegen, und so dürfen wir davon absehen, mit ihm zu rechnen.

Noch eine Frage der Gegenwart ist zu beantworten: Welche Stellung wird
das Königreich Hellas einnehmen, wenn der wahrscheinliche Fall eintritt, daß
die Insel Kreta sich gegen die Pforte erhebt, um sich die Unabhängigkeit und
die Vereinigung mit jenem zu erkämpfen? Wir sind der Meinung, daß es
demselben aus vielen Gründen unmöglich sein würde, den Kretern seine Unter¬
stützung zu versagen. Die Bewohner der Insel sind mit geringen Ausnahmen
Hellenen. Sie haben sich bis aus die neueste Zeit nicht ein- oder zweimal,


Die Klagen und Ansprüche der Sorben und Griechen.

Beschuldigung liegt in der Thatsache, daß sie wenige Monate nach der Schöpfung
Bulgariens trotz der Anwesenheit von Agenten der Mächte, welche den Berliner
Vertrag festgestellt hatten, gegen dessen ausdrückliche Bestimmung fast alle Muha-
medaner des Landes aus ihren Besitze und über die Grenze vertrieben haben.

Die Mächte werden die Union nicht rückgängig machen, und wenn sie uns
keine Kompensation gewähren, die uns die Pläne der Bulgaren zu vereiteln in
den Stand setzt, so muß das Königreich Griechenland bereit sein, alle Opfer
zu bringen, um die Interessen nicht bloß des Königreiches selbst, sondern der
gesamten hellenischen Nationalität, deren Fürsprecher und Beschützer dieses ist,
mit Erfolg wahrzunehmen. Wenn man uns fragt, was Griechenland in dieser
Beziehung zu erwarten ein Recht hat, so antworten wir: Die Union ist das
volle Maß dessen, was die Anwälte' der Bulgaren auf dem Berliner Kongresse
verlangten, und so ist es uur billig, daß die Mächte jetzt den Griechen ebenfalls
voll gewähren, was Waddington dort für sie forderte, d. h. den Nest von
Epirus und Thessalien. Was die Ausdehnung unsrer Grenzen in andern
Richtungen betrifft, so würde das eine Frage sein, die nach den Umständen zu
entscheiden wäre und davon abzuhängen hätte, ob die Bulgaren Makedonien in
Ruhe ließen oder nicht. Bräche dort ein Aufstand aus, so würde es unab¬
weisbar Pflicht für uns werden, zu sorgen, daß der griechische Teil dieser
Provinz, welcher der größte und wichtigste derselben ist, nicht der Gnade der
Bulgaren überlassen bliebe. Was wir den griechischen Teil Macedoniens nennen,
umfaßt den ganzen Süden der Provinz und dehut sich nach Norden hinauf bis
Serres, Sromnitzci und zum See von Ochris. Die Bevölkerung von Salonik
ist wie die aller größern Städte der Türkei sehr gemischt, und ihr Hauptelement
bilden Juden. Aber die türkischen Juden beanspruchen nirgends politische oder
nationale Rechte, und so vermindern die in Salonik in keiner Weise das
griechische Gepräge dieser Stadt, zumal da sie mit den dortigen Hellenen stets
auf dem besten Fuße lebten und ohne Ausnahme griechisch verstehen, anch sich
dieser Sprache im öffentlichen Verkehre vorwiegend bedienen. I'Jhre Haus- und
Familiensprache ist ein verdorbenes Spanisch; denn sie sind Sephardim, d. h.
Nachkommen aus Spanien vertriebener Juden,^ Null steht Österreich im Ver¬
dachte, nach Salonik vorrücken und sich desselben bemächtigen zu wollen, aber
es hat mehr als einmal amtlich in Abrede gestellt, einen derartigen Gedanken
zu hegen, und so dürfen wir davon absehen, mit ihm zu rechnen.

Noch eine Frage der Gegenwart ist zu beantworten: Welche Stellung wird
das Königreich Hellas einnehmen, wenn der wahrscheinliche Fall eintritt, daß
die Insel Kreta sich gegen die Pforte erhebt, um sich die Unabhängigkeit und
die Vereinigung mit jenem zu erkämpfen? Wir sind der Meinung, daß es
demselben aus vielen Gründen unmöglich sein würde, den Kretern seine Unter¬
stützung zu versagen. Die Bewohner der Insel sind mit geringen Ausnahmen
Hellenen. Sie haben sich bis aus die neueste Zeit nicht ein- oder zweimal,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/200>, abgerufen am 15.01.2025.