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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Joch.

Privatschülerinnen eintrug, da die Thätigkeit der jungen Damen in bunten
Stiften und Farben eine neue, für die Ausbildung des weiblichen Geschlechts
notwendige Spezialität wurde und immer mehr in Aufschwung kam.

Und nicht minder als das Wesen der Anstalt zog der Unterricht selbst den
Geist unsers armen Freundes mit gewuchtiger Schwere von allen Himmeln zur
Erde herab. Zunächst war es Vorschrift im Institut -- und gerade darin sah
man von gewissen Seiten einen besondern Vorzug --, daß dem Unterrichte eines
Lehrers die Jnstitntsvorsteheriu selbst beiwohnte. So schlimm war es bereits
mit den Anschauungen über die Sittlichkeit geworden, daß man in dem un¬
beaufsichtigter Verkehr des Lehrers in der Schule eine Gefahr für die Mädchen
erblickte, deren Harmlosigkeit man gerade durch diese Aufsicht zerstörte. Diese
Anwesenheit von Frau von Flinsberg machte aber dem Lehrer keineswegs seine
Aufgabe leichter, denn die Vorsteherin redete überall hinein, übte eine übel an¬
gebrachte Disziplin und scheute sich uicht, auch den Lehrer zu rektifizireu, wenn
er sich einmal beikommen ließ, eine Schülerin, deren Eltern einflußreich waren,
ernsthaft zu tadeln.

Fräulein Vroni, Sie zeichnen ja nicht, Sie starren ja in die Luft!

Sie sieht wieder einmal Herrn Stolberg an.

Ich bitte, Fräulein Alice, uicht so unziemliche Bemerkungen zu machen; ich
muß Ihnen dies ernstlich verweisen.

Es ist aber doch die Wahrheit.

Fräulein Alice, ich schreibe Ihnen einen Tadel wegen unziemlicher Be¬
merkungen ein. Aber Fräulein Anna Wolf (hier mußte der Zunamen hinzu¬
gefügt werden, denn trotz des Grassirens exotischer und ungewöhnlicher Vornamen
fanden sich doch immer noch in der Menge ein paar deutschbürgerliche Annen
und Marien), warum weinen Sie denn wieder?

Unter Schluchzen bekannte Anna, daß die ihrer Busenfrenndin Alice zu-
diktirte Strafe ihr Mitgefühl geweckt habe.

Frau von Flinsberg benutzte diesen Anlaß, um eine schöne Rede über die
Freundschaft zu halten, gleichzeitig aber ein gewisses Maß bei Uebung dieser
Tugend anzuempfehlen.

Während dieser ganzen Episode stand Harald still in seinem Unmut, und
die Urheberin des Zwischeufalles blickte träumerisch, wie in sich verloren, in
d (Fortsetzung folgt.) as edle Gesicht des Malers.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Auf dem Stilfser Joch.

Privatschülerinnen eintrug, da die Thätigkeit der jungen Damen in bunten
Stiften und Farben eine neue, für die Ausbildung des weiblichen Geschlechts
notwendige Spezialität wurde und immer mehr in Aufschwung kam.

Und nicht minder als das Wesen der Anstalt zog der Unterricht selbst den
Geist unsers armen Freundes mit gewuchtiger Schwere von allen Himmeln zur
Erde herab. Zunächst war es Vorschrift im Institut — und gerade darin sah
man von gewissen Seiten einen besondern Vorzug —, daß dem Unterrichte eines
Lehrers die Jnstitntsvorsteheriu selbst beiwohnte. So schlimm war es bereits
mit den Anschauungen über die Sittlichkeit geworden, daß man in dem un¬
beaufsichtigter Verkehr des Lehrers in der Schule eine Gefahr für die Mädchen
erblickte, deren Harmlosigkeit man gerade durch diese Aufsicht zerstörte. Diese
Anwesenheit von Frau von Flinsberg machte aber dem Lehrer keineswegs seine
Aufgabe leichter, denn die Vorsteherin redete überall hinein, übte eine übel an¬
gebrachte Disziplin und scheute sich uicht, auch den Lehrer zu rektifizireu, wenn
er sich einmal beikommen ließ, eine Schülerin, deren Eltern einflußreich waren,
ernsthaft zu tadeln.

Fräulein Vroni, Sie zeichnen ja nicht, Sie starren ja in die Luft!

Sie sieht wieder einmal Herrn Stolberg an.

Ich bitte, Fräulein Alice, uicht so unziemliche Bemerkungen zu machen; ich
muß Ihnen dies ernstlich verweisen.

Es ist aber doch die Wahrheit.

Fräulein Alice, ich schreibe Ihnen einen Tadel wegen unziemlicher Be¬
merkungen ein. Aber Fräulein Anna Wolf (hier mußte der Zunamen hinzu¬
gefügt werden, denn trotz des Grassirens exotischer und ungewöhnlicher Vornamen
fanden sich doch immer noch in der Menge ein paar deutschbürgerliche Annen
und Marien), warum weinen Sie denn wieder?

Unter Schluchzen bekannte Anna, daß die ihrer Busenfrenndin Alice zu-
diktirte Strafe ihr Mitgefühl geweckt habe.

Frau von Flinsberg benutzte diesen Anlaß, um eine schöne Rede über die
Freundschaft zu halten, gleichzeitig aber ein gewisses Maß bei Uebung dieser
Tugend anzuempfehlen.

Während dieser ganzen Episode stand Harald still in seinem Unmut, und
die Urheberin des Zwischeufalles blickte träumerisch, wie in sich verloren, in
d (Fortsetzung folgt.) as edle Gesicht des Malers.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0176] Auf dem Stilfser Joch. Privatschülerinnen eintrug, da die Thätigkeit der jungen Damen in bunten Stiften und Farben eine neue, für die Ausbildung des weiblichen Geschlechts notwendige Spezialität wurde und immer mehr in Aufschwung kam. Und nicht minder als das Wesen der Anstalt zog der Unterricht selbst den Geist unsers armen Freundes mit gewuchtiger Schwere von allen Himmeln zur Erde herab. Zunächst war es Vorschrift im Institut — und gerade darin sah man von gewissen Seiten einen besondern Vorzug —, daß dem Unterrichte eines Lehrers die Jnstitntsvorsteheriu selbst beiwohnte. So schlimm war es bereits mit den Anschauungen über die Sittlichkeit geworden, daß man in dem un¬ beaufsichtigter Verkehr des Lehrers in der Schule eine Gefahr für die Mädchen erblickte, deren Harmlosigkeit man gerade durch diese Aufsicht zerstörte. Diese Anwesenheit von Frau von Flinsberg machte aber dem Lehrer keineswegs seine Aufgabe leichter, denn die Vorsteherin redete überall hinein, übte eine übel an¬ gebrachte Disziplin und scheute sich uicht, auch den Lehrer zu rektifizireu, wenn er sich einmal beikommen ließ, eine Schülerin, deren Eltern einflußreich waren, ernsthaft zu tadeln. Fräulein Vroni, Sie zeichnen ja nicht, Sie starren ja in die Luft! Sie sieht wieder einmal Herrn Stolberg an. Ich bitte, Fräulein Alice, uicht so unziemliche Bemerkungen zu machen; ich muß Ihnen dies ernstlich verweisen. Es ist aber doch die Wahrheit. Fräulein Alice, ich schreibe Ihnen einen Tadel wegen unziemlicher Be¬ merkungen ein. Aber Fräulein Anna Wolf (hier mußte der Zunamen hinzu¬ gefügt werden, denn trotz des Grassirens exotischer und ungewöhnlicher Vornamen fanden sich doch immer noch in der Menge ein paar deutschbürgerliche Annen und Marien), warum weinen Sie denn wieder? Unter Schluchzen bekannte Anna, daß die ihrer Busenfrenndin Alice zu- diktirte Strafe ihr Mitgefühl geweckt habe. Frau von Flinsberg benutzte diesen Anlaß, um eine schöne Rede über die Freundschaft zu halten, gleichzeitig aber ein gewisses Maß bei Uebung dieser Tugend anzuempfehlen. Während dieser ganzen Episode stand Harald still in seinem Unmut, und die Urheberin des Zwischeufalles blickte träumerisch, wie in sich verloren, in d (Fortsetzung folgt.) as edle Gesicht des Malers. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/176>, abgerufen am 15.01.2025.