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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

heit des Gcrichtssaalcs in die öffentliche Diskussion der Straße und der Presse
gezogen werden. Und daß dies geschehen, darin liegt ein Fehler nicht des Ver¬
fahrens, sondern derjenigen, die sich desselben bemächtigt haben. Wäre, wie
es von Rechtswegen hätte sein sollen, dieser Prozeß vor verschlossenen Thüren
verhandelt worden und auch dann noch eine Freisprechung eingetreten, dann
waren die Angeklagten viel eher in der Lage, ihre Stellung in der Gesellschaft
restituirt zu sehen; sie mögen sich bei dem Vorsitzenden und bei ihren Freunden
in der Presse bedanken, wenn ihnen eine solche Hoffnung -- wenigstens in den
bessern Kreisen -- in weite Ferne gerückt wird. Schon heute lesen wir in der
Zeitung, daß eine als Zeugin vernommene Freundin der einen Angeklagten
ihrer Stellung als Kassirerin eines Geschäftes enthoben wurde, weil durch den
Prozeß ihre Freundschaft den Inhabern bekannt geworden ist.

Doch es mag genug sein mit diesen Betrachtungen; sie konnten noch weiter
fortgesponnen werden, denn der Klagen gäbe es kein Ende.

Der Verfasser dieser Zeilen war während eines langen Lebens in großen
und kleinen Städten und in der Residenz Anwalt und Mitglied von Gerichten
und ist nur ungern aus einem Berufe geschieden, dem er heute noch sein volles
Interesse widmet. Ihm kommt es vor, als ob der Richter, der zu seiner Zeit
in dem bekannten, alten Leibrock zu Gerichte saß, durch innere Würde den Mangel
der äußern Erscheinung zu ersetzen gewußt habe, daß sein Ansehen deshalb nicht ge¬
ringer gwesen sei, und die Rechtspflege überall eine achtunggebietende Stellung ein¬
genommen habe. Er hat den Eindruck, als ob hier ein Wandel eingetreten sei, und
empfindet denselben mit Schmerz. Der jüngste Berliner Skandalprozeß wird nicht
zu den Ruhmestiteln der preußischen Rechtspflege gerechnet werden können, und
wenn wir bedenken, daß sich in der jüngsten Zeit diese negativen Titel ver¬
mehren, dann dürfte es für diejenigen, welche es angeht, Zeit sein, an Mittel
zur Abhilfe zu sinnen, damit die geachtete Stellung der preußischen Rechtspflege
nicht länger in Zweifel gezogen werde. Bei Besprechung der Mängel unsrer
Justizgesetze ist in diesen Blättern die Befürchtung ausgesprochen worden, daß
die Parteiagitation sich der Reform bemächtigen könnte. Ein Blick in die
Blätter der letzten Tage zeigt, daß diese Voraussicht sich zu verwirklichen an¬
schickt. Das Reformwerk der Regierungen wird, je länger es andauert, desto
schwerer.




Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

heit des Gcrichtssaalcs in die öffentliche Diskussion der Straße und der Presse
gezogen werden. Und daß dies geschehen, darin liegt ein Fehler nicht des Ver¬
fahrens, sondern derjenigen, die sich desselben bemächtigt haben. Wäre, wie
es von Rechtswegen hätte sein sollen, dieser Prozeß vor verschlossenen Thüren
verhandelt worden und auch dann noch eine Freisprechung eingetreten, dann
waren die Angeklagten viel eher in der Lage, ihre Stellung in der Gesellschaft
restituirt zu sehen; sie mögen sich bei dem Vorsitzenden und bei ihren Freunden
in der Presse bedanken, wenn ihnen eine solche Hoffnung — wenigstens in den
bessern Kreisen — in weite Ferne gerückt wird. Schon heute lesen wir in der
Zeitung, daß eine als Zeugin vernommene Freundin der einen Angeklagten
ihrer Stellung als Kassirerin eines Geschäftes enthoben wurde, weil durch den
Prozeß ihre Freundschaft den Inhabern bekannt geworden ist.

Doch es mag genug sein mit diesen Betrachtungen; sie konnten noch weiter
fortgesponnen werden, denn der Klagen gäbe es kein Ende.

Der Verfasser dieser Zeilen war während eines langen Lebens in großen
und kleinen Städten und in der Residenz Anwalt und Mitglied von Gerichten
und ist nur ungern aus einem Berufe geschieden, dem er heute noch sein volles
Interesse widmet. Ihm kommt es vor, als ob der Richter, der zu seiner Zeit
in dem bekannten, alten Leibrock zu Gerichte saß, durch innere Würde den Mangel
der äußern Erscheinung zu ersetzen gewußt habe, daß sein Ansehen deshalb nicht ge¬
ringer gwesen sei, und die Rechtspflege überall eine achtunggebietende Stellung ein¬
genommen habe. Er hat den Eindruck, als ob hier ein Wandel eingetreten sei, und
empfindet denselben mit Schmerz. Der jüngste Berliner Skandalprozeß wird nicht
zu den Ruhmestiteln der preußischen Rechtspflege gerechnet werden können, und
wenn wir bedenken, daß sich in der jüngsten Zeit diese negativen Titel ver¬
mehren, dann dürfte es für diejenigen, welche es angeht, Zeit sein, an Mittel
zur Abhilfe zu sinnen, damit die geachtete Stellung der preußischen Rechtspflege
nicht länger in Zweifel gezogen werde. Bei Besprechung der Mängel unsrer
Justizgesetze ist in diesen Blättern die Befürchtung ausgesprochen worden, daß
die Parteiagitation sich der Reform bemächtigen könnte. Ein Blick in die
Blätter der letzten Tage zeigt, daß diese Voraussicht sich zu verwirklichen an¬
schickt. Das Reformwerk der Regierungen wird, je länger es andauert, desto
schwerer.




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[0158] Der jüngste Berliner Skandalprozeß. heit des Gcrichtssaalcs in die öffentliche Diskussion der Straße und der Presse gezogen werden. Und daß dies geschehen, darin liegt ein Fehler nicht des Ver¬ fahrens, sondern derjenigen, die sich desselben bemächtigt haben. Wäre, wie es von Rechtswegen hätte sein sollen, dieser Prozeß vor verschlossenen Thüren verhandelt worden und auch dann noch eine Freisprechung eingetreten, dann waren die Angeklagten viel eher in der Lage, ihre Stellung in der Gesellschaft restituirt zu sehen; sie mögen sich bei dem Vorsitzenden und bei ihren Freunden in der Presse bedanken, wenn ihnen eine solche Hoffnung — wenigstens in den bessern Kreisen — in weite Ferne gerückt wird. Schon heute lesen wir in der Zeitung, daß eine als Zeugin vernommene Freundin der einen Angeklagten ihrer Stellung als Kassirerin eines Geschäftes enthoben wurde, weil durch den Prozeß ihre Freundschaft den Inhabern bekannt geworden ist. Doch es mag genug sein mit diesen Betrachtungen; sie konnten noch weiter fortgesponnen werden, denn der Klagen gäbe es kein Ende. Der Verfasser dieser Zeilen war während eines langen Lebens in großen und kleinen Städten und in der Residenz Anwalt und Mitglied von Gerichten und ist nur ungern aus einem Berufe geschieden, dem er heute noch sein volles Interesse widmet. Ihm kommt es vor, als ob der Richter, der zu seiner Zeit in dem bekannten, alten Leibrock zu Gerichte saß, durch innere Würde den Mangel der äußern Erscheinung zu ersetzen gewußt habe, daß sein Ansehen deshalb nicht ge¬ ringer gwesen sei, und die Rechtspflege überall eine achtunggebietende Stellung ein¬ genommen habe. Er hat den Eindruck, als ob hier ein Wandel eingetreten sei, und empfindet denselben mit Schmerz. Der jüngste Berliner Skandalprozeß wird nicht zu den Ruhmestiteln der preußischen Rechtspflege gerechnet werden können, und wenn wir bedenken, daß sich in der jüngsten Zeit diese negativen Titel ver¬ mehren, dann dürfte es für diejenigen, welche es angeht, Zeit sein, an Mittel zur Abhilfe zu sinnen, damit die geachtete Stellung der preußischen Rechtspflege nicht länger in Zweifel gezogen werde. Bei Besprechung der Mängel unsrer Justizgesetze ist in diesen Blättern die Befürchtung ausgesprochen worden, daß die Parteiagitation sich der Reform bemächtigen könnte. Ein Blick in die Blätter der letzten Tage zeigt, daß diese Voraussicht sich zu verwirklichen an¬ schickt. Das Reformwerk der Regierungen wird, je länger es andauert, desto schwerer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/158>, abgerufen am 15.01.2025.