Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die proportionale Bernfsklcissenwcchl. welche die verfassungsmäßigen Grundpfeiler des allgemeinen Stimmrechts un¬ Es soll hier unerörtert bleiben, ob die Einführung des allgemeinen Stünm- Gehen wir also auf die innere Struktur des deutschen Parlamentarismus Die proportionale Bernfsklcissenwcchl. welche die verfassungsmäßigen Grundpfeiler des allgemeinen Stimmrechts un¬ Es soll hier unerörtert bleiben, ob die Einführung des allgemeinen Stünm- Gehen wir also auf die innere Struktur des deutschen Parlamentarismus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196749"/> <fw type="header" place="top"> Die proportionale Bernfsklcissenwcchl.</fw><lb/> <p xml:id="ID_29" prev="#ID_28"> welche die verfassungsmäßigen Grundpfeiler des allgemeinen Stimmrechts un¬<lb/> angetastet laßt. Diese Reform wird mehr auf eine Abänderung des Wahl¬<lb/> modus als auf eine Beschränkung des Wahlrechts hinauslaufen. Auch wird<lb/> eine Form gefunden werden müssen, welche sich den gegenwärtigen Verhältnissen<lb/> ohne Schwierigkeit anpassen läßt. In dieser Begrenzung, die freilich schon einen<lb/> Verzicht in sich schließt, mögen diejenigen unsrer Leser ein Moment der Be¬<lb/> ruhigung finden, welche von der Partcistcllung des Autors möglicherweise die<lb/> Entwicklung eines reaktionären Programms befürchten. Wir werden das Ge¬<lb/> biet vager Hoffnungen und aussichtsloser Projekte nicht betreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_30"> Es soll hier unerörtert bleiben, ob die Einführung des allgemeinen Stünm-<lb/> rcchtes bei der Begründung des Norddeutschen Bundes eine politische Notwendig¬<lb/> keit war, ohne welche der Ausbau des Bundes und später des Reiches nicht<lb/> das feste Gefüge erhalten hätte, dessen er zur Abwehr innerer wie äußerer Feinde<lb/> bedürfte. Wir wollen nicht untersuchen, ob es in jener Zeit des Ringens und<lb/> Kämpfens möglich gewesen wäre, aus dem innern Wesen der in Deutschland<lb/> historisch sich entwickelnden Stände eine Verfassung zu bilden, welche den libe¬<lb/> ralen Anschauungen unsrer Epoche Rechnung getragen hätte, ohne deshalb mit<lb/> allen Traditionen unsrer Geschichte zu brechen. Zu kritischen Rückblicken haben<lb/> wir keine Zeit. Wir müssen uns mit der bedauerlichen Thatsache zurechtfinden,<lb/> daß unser deutscher Konstitutionalismus unter schweren politischen Zuckungen<lb/> geboren wurde, und daß sich unter dem großen Vorrat neuer Staatsformen, mit<lb/> denen uns jene Epoche überschwemmte, viel ausländische Jmportwaare von<lb/> zweifelhaftem Wert befindet. Deutschland hat nicht das Glück gehabt, die Ver¬<lb/> teilung politischer Freiheiten und Rechte allmählich und systematisch aus den<lb/> Bedürfnissen des Volkes herausbilden zu können. Wir stecken nicht in einem<lb/> Rock, der uns paßt, weil wir ihn selbst gemacht haben, wie die Engländer den<lb/> ihrigen. Wir teilen vielmehr mit vielen andern Staaten Europas das Schicksal,<lb/> daß uns der französische Parlamentarismus fix und fertig ins Haus geschickt<lb/> wurde. Der schablonenmäßige Zuschnitt dieser to»A virilis ist aber das gerade<lb/> Gegenteil einer Nationaltracht. Suchen wir also, um im Bilde zu bleiben, ein<lb/> Gewand, das wir nicht ablegen können und wollen, anders zu schürzen und zu<lb/> fallen, daß es uns in unsern Bewegungen nicht hindere und unserm Körperbau<lb/> besser anstehe. Dies Verlangen entspringt nicht etwa reaktionären Gelüsten<lb/> oder einem nörgelnden Doktrinarismus, es ist einfach eine Frage der Zweck¬<lb/> mäßigkeit. Keine der extremen Parteien soll besonders bedacht oder betroffen<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_31" next="#ID_32"> Gehen wir also auf die innere Struktur des deutschen Parlamentarismus<lb/> ein und untersuchen wir, ob ein nach dein heutigen Wahlsystem gebildeter Reichs¬<lb/> tag ausschließlich oder doch vorzugsweise befähigt sei, die ihm gestellten legis¬<lb/> latorischen Aufgaben zu erledigen. Unsrer Ansicht nach ist dies nicht der Fall.<lb/> DaS aus Frankreich importirte allgemeine Stimmrecht geht von der Voraus-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Die proportionale Bernfsklcissenwcchl.
welche die verfassungsmäßigen Grundpfeiler des allgemeinen Stimmrechts un¬
angetastet laßt. Diese Reform wird mehr auf eine Abänderung des Wahl¬
modus als auf eine Beschränkung des Wahlrechts hinauslaufen. Auch wird
eine Form gefunden werden müssen, welche sich den gegenwärtigen Verhältnissen
ohne Schwierigkeit anpassen läßt. In dieser Begrenzung, die freilich schon einen
Verzicht in sich schließt, mögen diejenigen unsrer Leser ein Moment der Be¬
ruhigung finden, welche von der Partcistcllung des Autors möglicherweise die
Entwicklung eines reaktionären Programms befürchten. Wir werden das Ge¬
biet vager Hoffnungen und aussichtsloser Projekte nicht betreten.
Es soll hier unerörtert bleiben, ob die Einführung des allgemeinen Stünm-
rcchtes bei der Begründung des Norddeutschen Bundes eine politische Notwendig¬
keit war, ohne welche der Ausbau des Bundes und später des Reiches nicht
das feste Gefüge erhalten hätte, dessen er zur Abwehr innerer wie äußerer Feinde
bedürfte. Wir wollen nicht untersuchen, ob es in jener Zeit des Ringens und
Kämpfens möglich gewesen wäre, aus dem innern Wesen der in Deutschland
historisch sich entwickelnden Stände eine Verfassung zu bilden, welche den libe¬
ralen Anschauungen unsrer Epoche Rechnung getragen hätte, ohne deshalb mit
allen Traditionen unsrer Geschichte zu brechen. Zu kritischen Rückblicken haben
wir keine Zeit. Wir müssen uns mit der bedauerlichen Thatsache zurechtfinden,
daß unser deutscher Konstitutionalismus unter schweren politischen Zuckungen
geboren wurde, und daß sich unter dem großen Vorrat neuer Staatsformen, mit
denen uns jene Epoche überschwemmte, viel ausländische Jmportwaare von
zweifelhaftem Wert befindet. Deutschland hat nicht das Glück gehabt, die Ver¬
teilung politischer Freiheiten und Rechte allmählich und systematisch aus den
Bedürfnissen des Volkes herausbilden zu können. Wir stecken nicht in einem
Rock, der uns paßt, weil wir ihn selbst gemacht haben, wie die Engländer den
ihrigen. Wir teilen vielmehr mit vielen andern Staaten Europas das Schicksal,
daß uns der französische Parlamentarismus fix und fertig ins Haus geschickt
wurde. Der schablonenmäßige Zuschnitt dieser to»A virilis ist aber das gerade
Gegenteil einer Nationaltracht. Suchen wir also, um im Bilde zu bleiben, ein
Gewand, das wir nicht ablegen können und wollen, anders zu schürzen und zu
fallen, daß es uns in unsern Bewegungen nicht hindere und unserm Körperbau
besser anstehe. Dies Verlangen entspringt nicht etwa reaktionären Gelüsten
oder einem nörgelnden Doktrinarismus, es ist einfach eine Frage der Zweck¬
mäßigkeit. Keine der extremen Parteien soll besonders bedacht oder betroffen
werden.
Gehen wir also auf die innere Struktur des deutschen Parlamentarismus
ein und untersuchen wir, ob ein nach dein heutigen Wahlsystem gebildeter Reichs¬
tag ausschließlich oder doch vorzugsweise befähigt sei, die ihm gestellten legis¬
latorischen Aufgaben zu erledigen. Unsrer Ansicht nach ist dies nicht der Fall.
DaS aus Frankreich importirte allgemeine Stimmrecht geht von der Voraus-
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