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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Joch.

Stich ins Herz zu erhalten; denn es war keine Aussicht mehr, das Bild bis
zum Einlieferungstage für die Ausstellung zu vollenden, ja unter den obwal¬
tenden Verhältnissen schwand sogar jede Hoffnung, daß das Bild überhaupt
einmal zu Ende gebracht werden könnte. Denn gerade in der Zeit, in welcher
er die höchste Schaffenslust in sich fühlte, war er verurteilt, sich von der Arbeit,
zu der ihn sein Herz drängte, fern zu halten, und während er in der Schule
oder beim Privatunterricht die ersten Versuche der Anfänger zu leiten und zu
überwachen hatte, drängten sich ihm für sein Bild unaufhörlich neue Gedanken
in den Kopf, deren Verwirklichung immer mehr in die Ferne rückte. Keine
größere Qual giebt es für das wirkliche Talent, als das Pfund, mit dein es
wuchern könnte, begraben zu sehen. Dieser Gedanke, daß nur eine kurze Zeit
genügen würde, um in Freiheit das schaffen zu können, was in der Seele ver¬
borgen nur der Auferstehung harrte -- dieser Gedanke verfolgte den Ärmsten
bei Tag und bei Nacht; er fand ihn bei den Vorlagen seiner Schüler, er hörte
sein Mahnen im Gespräch mit andern, er befaßte sich mit ihm in den ruhe¬
losen, von Träumen geängsteten Nächten. Und da war niemand, dem er sein
volles Herz ausschütten, von dem er ein tröstendes Wort hätte empfangen können.
Taute Atome hatte für diese Seite des Lebens kein Verständnis; ihr Ideal
war die Wirtschaft, in der sie wacker Haus hielt und in möglichster Sparsam¬
keit alle unnützen Ausgaben von dem Künstler fernzuhalten verstand. Für sie
war derselbe nur so lange Gegenstand des Mitgefühls, als sie merkte, daß er
sich durch seine mageren Einnahmen beengt fühlte. Als sie aber sah, daß ihm
in Folge des Privatunterrichtes die Quellen des Erwerbes leichter und reich¬
licher flössen, da war sie völlig überzeugt, daß er sich überhaupt nichts mehr
wünschen könnte und daß es streng genommen ans der ganzen Welt keinen
glücklichern Menschen als Harald Stolberg geben dürfte. Zwar wunderte sie
sich, daß Harald, obgleich ein Grund zur Verstimmung nach ihrer Meinung nicht
mehr vorlag, immer einsilbiger wurde und sich immer mehr aus dem Fami-
lienkreise zurückzog. Aber sie erklärte sich sein absonderliches Benehmen aus
einer vorübergehenden Künstlerlauue und hielt an dieser sie befriedigenden
Auffassung selbst dann noch unerschütterlich fest, als diese sogenannte Laune nicht
vorüberging, sondern sich zu einer bleibenden Eigenschaft zu entwickeln drohte.

Von den Geschwistern hatte zunächst Axel weder eine Ahnung noch ein
Verständnis von den Seelenqualen des Bruders, denn er ging ganz in den
Arbeiten für seine Schule auf; es lag in seiner Art ein gewisser Egoismus,
der den Gedankenkreis, in welchem er sich bewegte, für den allein und aus¬
schließlich berechtigten hielt -- ein unbewußter Egoismus, dem es garnicht mög¬
lich schien, daß außer jenem Kreise noch andre ebenfalls berechtigte vorhanden
seien. Sein ganzes Interesse war das Studium, die Ereignisse der Schule be¬
wegten ihn ganz und gar, und er hatte nicht einmal das Verständnis dafür,
daß seine Erzählungen teils die andern nicht interessiren konnten, teils den Bruder,


Auf dem Stilfser Joch.

Stich ins Herz zu erhalten; denn es war keine Aussicht mehr, das Bild bis
zum Einlieferungstage für die Ausstellung zu vollenden, ja unter den obwal¬
tenden Verhältnissen schwand sogar jede Hoffnung, daß das Bild überhaupt
einmal zu Ende gebracht werden könnte. Denn gerade in der Zeit, in welcher
er die höchste Schaffenslust in sich fühlte, war er verurteilt, sich von der Arbeit,
zu der ihn sein Herz drängte, fern zu halten, und während er in der Schule
oder beim Privatunterricht die ersten Versuche der Anfänger zu leiten und zu
überwachen hatte, drängten sich ihm für sein Bild unaufhörlich neue Gedanken
in den Kopf, deren Verwirklichung immer mehr in die Ferne rückte. Keine
größere Qual giebt es für das wirkliche Talent, als das Pfund, mit dein es
wuchern könnte, begraben zu sehen. Dieser Gedanke, daß nur eine kurze Zeit
genügen würde, um in Freiheit das schaffen zu können, was in der Seele ver¬
borgen nur der Auferstehung harrte — dieser Gedanke verfolgte den Ärmsten
bei Tag und bei Nacht; er fand ihn bei den Vorlagen seiner Schüler, er hörte
sein Mahnen im Gespräch mit andern, er befaßte sich mit ihm in den ruhe¬
losen, von Träumen geängsteten Nächten. Und da war niemand, dem er sein
volles Herz ausschütten, von dem er ein tröstendes Wort hätte empfangen können.
Taute Atome hatte für diese Seite des Lebens kein Verständnis; ihr Ideal
war die Wirtschaft, in der sie wacker Haus hielt und in möglichster Sparsam¬
keit alle unnützen Ausgaben von dem Künstler fernzuhalten verstand. Für sie
war derselbe nur so lange Gegenstand des Mitgefühls, als sie merkte, daß er
sich durch seine mageren Einnahmen beengt fühlte. Als sie aber sah, daß ihm
in Folge des Privatunterrichtes die Quellen des Erwerbes leichter und reich¬
licher flössen, da war sie völlig überzeugt, daß er sich überhaupt nichts mehr
wünschen könnte und daß es streng genommen ans der ganzen Welt keinen
glücklichern Menschen als Harald Stolberg geben dürfte. Zwar wunderte sie
sich, daß Harald, obgleich ein Grund zur Verstimmung nach ihrer Meinung nicht
mehr vorlag, immer einsilbiger wurde und sich immer mehr aus dem Fami-
lienkreise zurückzog. Aber sie erklärte sich sein absonderliches Benehmen aus
einer vorübergehenden Künstlerlauue und hielt an dieser sie befriedigenden
Auffassung selbst dann noch unerschütterlich fest, als diese sogenannte Laune nicht
vorüberging, sondern sich zu einer bleibenden Eigenschaft zu entwickeln drohte.

Von den Geschwistern hatte zunächst Axel weder eine Ahnung noch ein
Verständnis von den Seelenqualen des Bruders, denn er ging ganz in den
Arbeiten für seine Schule auf; es lag in seiner Art ein gewisser Egoismus,
der den Gedankenkreis, in welchem er sich bewegte, für den allein und aus¬
schließlich berechtigten hielt — ein unbewußter Egoismus, dem es garnicht mög¬
lich schien, daß außer jenem Kreise noch andre ebenfalls berechtigte vorhanden
seien. Sein ganzes Interesse war das Studium, die Ereignisse der Schule be¬
wegten ihn ganz und gar, und er hatte nicht einmal das Verständnis dafür,
daß seine Erzählungen teils die andern nicht interessiren konnten, teils den Bruder,


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[0119] Auf dem Stilfser Joch. Stich ins Herz zu erhalten; denn es war keine Aussicht mehr, das Bild bis zum Einlieferungstage für die Ausstellung zu vollenden, ja unter den obwal¬ tenden Verhältnissen schwand sogar jede Hoffnung, daß das Bild überhaupt einmal zu Ende gebracht werden könnte. Denn gerade in der Zeit, in welcher er die höchste Schaffenslust in sich fühlte, war er verurteilt, sich von der Arbeit, zu der ihn sein Herz drängte, fern zu halten, und während er in der Schule oder beim Privatunterricht die ersten Versuche der Anfänger zu leiten und zu überwachen hatte, drängten sich ihm für sein Bild unaufhörlich neue Gedanken in den Kopf, deren Verwirklichung immer mehr in die Ferne rückte. Keine größere Qual giebt es für das wirkliche Talent, als das Pfund, mit dein es wuchern könnte, begraben zu sehen. Dieser Gedanke, daß nur eine kurze Zeit genügen würde, um in Freiheit das schaffen zu können, was in der Seele ver¬ borgen nur der Auferstehung harrte — dieser Gedanke verfolgte den Ärmsten bei Tag und bei Nacht; er fand ihn bei den Vorlagen seiner Schüler, er hörte sein Mahnen im Gespräch mit andern, er befaßte sich mit ihm in den ruhe¬ losen, von Träumen geängsteten Nächten. Und da war niemand, dem er sein volles Herz ausschütten, von dem er ein tröstendes Wort hätte empfangen können. Taute Atome hatte für diese Seite des Lebens kein Verständnis; ihr Ideal war die Wirtschaft, in der sie wacker Haus hielt und in möglichster Sparsam¬ keit alle unnützen Ausgaben von dem Künstler fernzuhalten verstand. Für sie war derselbe nur so lange Gegenstand des Mitgefühls, als sie merkte, daß er sich durch seine mageren Einnahmen beengt fühlte. Als sie aber sah, daß ihm in Folge des Privatunterrichtes die Quellen des Erwerbes leichter und reich¬ licher flössen, da war sie völlig überzeugt, daß er sich überhaupt nichts mehr wünschen könnte und daß es streng genommen ans der ganzen Welt keinen glücklichern Menschen als Harald Stolberg geben dürfte. Zwar wunderte sie sich, daß Harald, obgleich ein Grund zur Verstimmung nach ihrer Meinung nicht mehr vorlag, immer einsilbiger wurde und sich immer mehr aus dem Fami- lienkreise zurückzog. Aber sie erklärte sich sein absonderliches Benehmen aus einer vorübergehenden Künstlerlauue und hielt an dieser sie befriedigenden Auffassung selbst dann noch unerschütterlich fest, als diese sogenannte Laune nicht vorüberging, sondern sich zu einer bleibenden Eigenschaft zu entwickeln drohte. Von den Geschwistern hatte zunächst Axel weder eine Ahnung noch ein Verständnis von den Seelenqualen des Bruders, denn er ging ganz in den Arbeiten für seine Schule auf; es lag in seiner Art ein gewisser Egoismus, der den Gedankenkreis, in welchem er sich bewegte, für den allein und aus¬ schließlich berechtigten hielt — ein unbewußter Egoismus, dem es garnicht mög¬ lich schien, daß außer jenem Kreise noch andre ebenfalls berechtigte vorhanden seien. Sein ganzes Interesse war das Studium, die Ereignisse der Schule be¬ wegten ihn ganz und gar, und er hatte nicht einmal das Verständnis dafür, daß seine Erzählungen teils die andern nicht interessiren konnten, teils den Bruder,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/119>, abgerufen am 15.01.2025.