Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dein Stilfser Joch. schiednen Gründen nicht abschlagen konnte. Seinem Lchrergewissen gegenüber hielt Mit der Erteilung des Privatunterrichts hörten zwar diese fvrwährendeu Aber als diese gemeinste Sorge des Lebens ihn nicht mehr drückte, dann Auf dein Stilfser Joch. schiednen Gründen nicht abschlagen konnte. Seinem Lchrergewissen gegenüber hielt Mit der Erteilung des Privatunterrichts hörten zwar diese fvrwährendeu Aber als diese gemeinste Sorge des Lebens ihn nicht mehr drückte, dann <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196852"/> <fw type="header" place="top"> Auf dein Stilfser Joch.</fw><lb/> <p xml:id="ID_313" prev="#ID_312"> schiednen Gründen nicht abschlagen konnte. Seinem Lchrergewissen gegenüber hielt<lb/> er sich verpflichtet, seinen Schülern, welche Talent und Neigung zu der Kunst gezeigt<lb/> hatten, die ihnen erforderliche Unterstützung angedeihen zu lassen. Aber auch die<lb/> Bedürfnisse des Haushaltes waren größer, als sie hatten vorausgesehen werden<lb/> können. Seine kleine festbegrenzte Einnahme konnte nnr dann ausreichen, wenn<lb/> sich das Leben ohne ungewöhnliche Vorkommnisse entwickelte. Aber da wurde<lb/> erst Tante Atome einige Wochen krank, nud es mußte zu ihrer Unterstützung<lb/> und für die Besorgung des Hauswesens eine besondre Bedienung angenommen<lb/> werden. Dann konnte die zarte Natur Ediths dem herben Winter keinen Wider¬<lb/> stand leisten; ein Husten, den der Arzt nicht ohne Besorgnis betrachtete, nötigte<lb/> das Mädchen wochenlang unter ärztlicher Pflege und Wartung zu Hause zu<lb/> bleiben. Axels Neigung für exakte Wissenschaften sollte nicht brach liegen bleiben,<lb/> sondern machte Ausgaben für besondern Unterricht nötig. Endlich durfte Harald<lb/> selbst, ohne ernstliche Gcführduug seiner Zukunft, den Verkehr nicht aufgeben,<lb/> den er bei seiner Rückkehr nach Berlin angeknüpft hatte; so kam er häufig in<lb/> Gesellschaften, und alle die Einladungen machten mehr Ausgaben nötig, als er<lb/> bei der Aufstellung seines Budgets in Anschlag gebracht hatte. Alle die kleinen<lb/> Miseren eines auf ein knappes Einkommen gestellten Lebens kamen zum Vor¬<lb/> schein, und alle diese an sich nnr unbedeutenden Nadelstiche fingen an, da sie<lb/> täglich und vielfach fühlbar wurden, beengend auf die freie geistige Bewegung<lb/> des Malers zu wirken. Gegenüber den größern Sorgen, die er im Anfange seines<lb/> neuen Berliner Lebens gehabt, hätten diese kleinern eigentlich verschwinden sollen;<lb/> aber wie so oft ein größerer Schmerz leichter ertragen wird als kleine, aber<lb/> unausgesetzt prickelnde Stiche in die Haut, so verstimmte diese Unbequemlichkeit<lb/> den Künstler immer mehr und quälte ihn in jedem Augenblick, an dein er sich selbst<lb/> überlassen war. Wenn er aber daran dachte, wie er die Kosten eines längeren<lb/> Landaufenthaltes, den der Arzt schon im Frühjahr sür Edles als notwendig in<lb/> Aussicht genommen hatte, erschwingen sollte, dann überfiel ihn eine fieberhafte<lb/> Angst, und er glaubte in seiner Aufregung, daß kein andrer Ausweg ans diesem<lb/> Wirrsal für ihn übrig bleibe, als der Tod.</p><lb/> <p xml:id="ID_314"> Mit der Erteilung des Privatunterrichts hörten zwar diese fvrwährendeu<lb/> Sorgen auf; unser Freund konnte wieder frei atmen und brauchte keine Furcht<lb/> mehr zu haben, daß ihm die Balaneirstange aus den Händen gleiten würde,<lb/> mit welcher er sich in den letzten Monaten wie ein Seiltänzer über dem Abgrund<lb/> der Geldnot hatte aufrecht erhalten müssen. Harald war ein durchaus harnionisches<lb/> Gemüt, jede Unregelmäßigkeit wirkte niederdrückend auf ihn, und so wenig er anch<lb/> bei den reichsten Mitteln ein Verschwender geworden wäre, so wenig konnte er einen<lb/> fühlbaren Mangel mit Gleichmut ertragen oder sich durch Schuldenmachen ans<lb/> der Verlegenheit helfen, so lange ihm die sichere Aussicht zur Rückzahlung fehlte.</p><lb/> <p xml:id="ID_315" next="#ID_316"> Aber als diese gemeinste Sorge des Lebens ihn nicht mehr drückte, dann<lb/> brauchte er nur einen Blick auf die Staffelei zu werfen, um einen schmerzlichen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0118]
Auf dein Stilfser Joch.
schiednen Gründen nicht abschlagen konnte. Seinem Lchrergewissen gegenüber hielt
er sich verpflichtet, seinen Schülern, welche Talent und Neigung zu der Kunst gezeigt
hatten, die ihnen erforderliche Unterstützung angedeihen zu lassen. Aber auch die
Bedürfnisse des Haushaltes waren größer, als sie hatten vorausgesehen werden
können. Seine kleine festbegrenzte Einnahme konnte nnr dann ausreichen, wenn
sich das Leben ohne ungewöhnliche Vorkommnisse entwickelte. Aber da wurde
erst Tante Atome einige Wochen krank, nud es mußte zu ihrer Unterstützung
und für die Besorgung des Hauswesens eine besondre Bedienung angenommen
werden. Dann konnte die zarte Natur Ediths dem herben Winter keinen Wider¬
stand leisten; ein Husten, den der Arzt nicht ohne Besorgnis betrachtete, nötigte
das Mädchen wochenlang unter ärztlicher Pflege und Wartung zu Hause zu
bleiben. Axels Neigung für exakte Wissenschaften sollte nicht brach liegen bleiben,
sondern machte Ausgaben für besondern Unterricht nötig. Endlich durfte Harald
selbst, ohne ernstliche Gcführduug seiner Zukunft, den Verkehr nicht aufgeben,
den er bei seiner Rückkehr nach Berlin angeknüpft hatte; so kam er häufig in
Gesellschaften, und alle die Einladungen machten mehr Ausgaben nötig, als er
bei der Aufstellung seines Budgets in Anschlag gebracht hatte. Alle die kleinen
Miseren eines auf ein knappes Einkommen gestellten Lebens kamen zum Vor¬
schein, und alle diese an sich nnr unbedeutenden Nadelstiche fingen an, da sie
täglich und vielfach fühlbar wurden, beengend auf die freie geistige Bewegung
des Malers zu wirken. Gegenüber den größern Sorgen, die er im Anfange seines
neuen Berliner Lebens gehabt, hätten diese kleinern eigentlich verschwinden sollen;
aber wie so oft ein größerer Schmerz leichter ertragen wird als kleine, aber
unausgesetzt prickelnde Stiche in die Haut, so verstimmte diese Unbequemlichkeit
den Künstler immer mehr und quälte ihn in jedem Augenblick, an dein er sich selbst
überlassen war. Wenn er aber daran dachte, wie er die Kosten eines längeren
Landaufenthaltes, den der Arzt schon im Frühjahr sür Edles als notwendig in
Aussicht genommen hatte, erschwingen sollte, dann überfiel ihn eine fieberhafte
Angst, und er glaubte in seiner Aufregung, daß kein andrer Ausweg ans diesem
Wirrsal für ihn übrig bleibe, als der Tod.
Mit der Erteilung des Privatunterrichts hörten zwar diese fvrwährendeu
Sorgen auf; unser Freund konnte wieder frei atmen und brauchte keine Furcht
mehr zu haben, daß ihm die Balaneirstange aus den Händen gleiten würde,
mit welcher er sich in den letzten Monaten wie ein Seiltänzer über dem Abgrund
der Geldnot hatte aufrecht erhalten müssen. Harald war ein durchaus harnionisches
Gemüt, jede Unregelmäßigkeit wirkte niederdrückend auf ihn, und so wenig er anch
bei den reichsten Mitteln ein Verschwender geworden wäre, so wenig konnte er einen
fühlbaren Mangel mit Gleichmut ertragen oder sich durch Schuldenmachen ans
der Verlegenheit helfen, so lange ihm die sichere Aussicht zur Rückzahlung fehlte.
Aber als diese gemeinste Sorge des Lebens ihn nicht mehr drückte, dann
brauchte er nur einen Blick auf die Staffelei zu werfen, um einen schmerzlichen
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