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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem ^tilfser Joch.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
Zweites Kapitel.

le ersten Tage dieses neuen Lebens gingen angenehmer vorüber,
als es sich Harald gedacht hatte. Die Geschwister mit der
Tante waren eingetroffen, und die bis dahin stille Wohnung
hallte nunmehr von dem geschäftigen Himmdher wieder. Da
gab es noch manche Lücken und Mangel in der neuen Wirt¬
schaft zu beseitigen -- und der Spür- und Ordnungssinn von Tante
Atome kannte in dieser Hinsicht keine Grenzen --, da war auch für die
Kinder die kurze Freiheit bis zum Beginn der Schule auszunutzen, um den
neuen Ankömmlingen wenigstens die hervorragendsten Schönheiten der Re¬
sidenz zu zeigen und zwischen ihrem bisher so ruhigen Leben und dem Be¬
ginn eines erregterem in der Großstadt eine Vermittlung zu schaffen. Kurzum,
es gab eine lebhafte körperliche und geistige Bewegung, in der Harald sich
selbst vergaß; er fühlte sich wohl und behaglich, und der Höhepunkt der
Annehmlichkeit schien erreicht, wenn er der kleinen Mittagstafel prcisidirte
und sich plötzlich in ein Familienleben versetzt sah, das er in den letzten
Jahren seines Akademie- und Wanderlebens garnicht gekannt hatte. Es that
ihm besonders wohl, daß die Kinder sich an ihn schmiegten und durch fort¬
währende Bezeugung ihrer Zärtlichkeiten eine lange entbehrte und zurück¬
gehaltene Liebe nachzuholen strebten. Axel, ein sechzehnjähriger Knabe, fühlte
sich in seiner Würde als Primaner; von lebhaftem Temperament, fortwährend
in seinem Geiste beschäftigt, bestürmte er den Bruder mit Fragen und Pläne",
sodaß Harald nicht selten, in die Enge getrieben, scherzend drohte, von seinein
Mitbewohner das Trappistengeliibde des Schweigens verlangen zu müssen. Das
Gegenteil war die nur um ein Jahr jüngere Edles, ein stilles, sanftes Kind,




Auf dem ^tilfser Joch.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
Zweites Kapitel.

le ersten Tage dieses neuen Lebens gingen angenehmer vorüber,
als es sich Harald gedacht hatte. Die Geschwister mit der
Tante waren eingetroffen, und die bis dahin stille Wohnung
hallte nunmehr von dem geschäftigen Himmdher wieder. Da
gab es noch manche Lücken und Mangel in der neuen Wirt¬
schaft zu beseitigen — und der Spür- und Ordnungssinn von Tante
Atome kannte in dieser Hinsicht keine Grenzen —, da war auch für die
Kinder die kurze Freiheit bis zum Beginn der Schule auszunutzen, um den
neuen Ankömmlingen wenigstens die hervorragendsten Schönheiten der Re¬
sidenz zu zeigen und zwischen ihrem bisher so ruhigen Leben und dem Be¬
ginn eines erregterem in der Großstadt eine Vermittlung zu schaffen. Kurzum,
es gab eine lebhafte körperliche und geistige Bewegung, in der Harald sich
selbst vergaß; er fühlte sich wohl und behaglich, und der Höhepunkt der
Annehmlichkeit schien erreicht, wenn er der kleinen Mittagstafel prcisidirte
und sich plötzlich in ein Familienleben versetzt sah, das er in den letzten
Jahren seines Akademie- und Wanderlebens garnicht gekannt hatte. Es that
ihm besonders wohl, daß die Kinder sich an ihn schmiegten und durch fort¬
währende Bezeugung ihrer Zärtlichkeiten eine lange entbehrte und zurück¬
gehaltene Liebe nachzuholen strebten. Axel, ein sechzehnjähriger Knabe, fühlte
sich in seiner Würde als Primaner; von lebhaftem Temperament, fortwährend
in seinem Geiste beschäftigt, bestürmte er den Bruder mit Fragen und Pläne»,
sodaß Harald nicht selten, in die Enge getrieben, scherzend drohte, von seinein
Mitbewohner das Trappistengeliibde des Schweigens verlangen zu müssen. Das
Gegenteil war die nur um ein Jahr jüngere Edles, ein stilles, sanftes Kind,


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[0115] [Abbildung] Auf dem ^tilfser Joch. von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.) Zweites Kapitel. le ersten Tage dieses neuen Lebens gingen angenehmer vorüber, als es sich Harald gedacht hatte. Die Geschwister mit der Tante waren eingetroffen, und die bis dahin stille Wohnung hallte nunmehr von dem geschäftigen Himmdher wieder. Da gab es noch manche Lücken und Mangel in der neuen Wirt¬ schaft zu beseitigen — und der Spür- und Ordnungssinn von Tante Atome kannte in dieser Hinsicht keine Grenzen —, da war auch für die Kinder die kurze Freiheit bis zum Beginn der Schule auszunutzen, um den neuen Ankömmlingen wenigstens die hervorragendsten Schönheiten der Re¬ sidenz zu zeigen und zwischen ihrem bisher so ruhigen Leben und dem Be¬ ginn eines erregterem in der Großstadt eine Vermittlung zu schaffen. Kurzum, es gab eine lebhafte körperliche und geistige Bewegung, in der Harald sich selbst vergaß; er fühlte sich wohl und behaglich, und der Höhepunkt der Annehmlichkeit schien erreicht, wenn er der kleinen Mittagstafel prcisidirte und sich plötzlich in ein Familienleben versetzt sah, das er in den letzten Jahren seines Akademie- und Wanderlebens garnicht gekannt hatte. Es that ihm besonders wohl, daß die Kinder sich an ihn schmiegten und durch fort¬ währende Bezeugung ihrer Zärtlichkeiten eine lange entbehrte und zurück¬ gehaltene Liebe nachzuholen strebten. Axel, ein sechzehnjähriger Knabe, fühlte sich in seiner Würde als Primaner; von lebhaftem Temperament, fortwährend in seinem Geiste beschäftigt, bestürmte er den Bruder mit Fragen und Pläne», sodaß Harald nicht selten, in die Enge getrieben, scherzend drohte, von seinein Mitbewohner das Trappistengeliibde des Schweigens verlangen zu müssen. Das Gegenteil war die nur um ein Jahr jüngere Edles, ein stilles, sanftes Kind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/115>, abgerufen am 15.01.2025.