Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Um eine perle.

Mit einem Knixe führte sie das Glas an die Lippen, setzte es aber wieder
ab, um nach ihrem Heimatsbrauche dem Kredenztrunke die segnenden Worte:
vuong, SÄnitö.! vorausgehen zu lassen.

In demselben Augenblicke hatte Giuseppes Hand ihr das Glas entrissen
und es in der Richtung des Fensters fortgeschleudert. Klirrend zerschellte es
an einer der Eisenstangen. Der Inhalt überschwemmte die Fensterbank. Die
Tauben waren ängstlich flatternd entflogen.

Ruchlose! stöhnte Giuseppe; so jung, so schön und so verworfen! Geh!

Das Mädchen stand sprachlos da.

Geh. Elende! wiederholte der Kranke; sind meine Tage nicht ohnehin ge¬
zählt? Wie konntest du dich zu einem so schmählichen Geschäfte dingen lassen!
'Il-Ääitriov! Sieh mich an! Beichte! Du wußtest, daß ich vergiftet werden
sollte! .Ixooriw! O weg mit der Miene gekränkter Unschuld, du täuschest mich
nicht, du hättest nur zum Scheine kredenzt! Oder du warst mit Gegengift für
dich versehen worden. es! ^. es! Welch ein edler Herr ist dieser Francesco,
uno wie stolz muß minds machen, sein Vetter zu sein! Beichte, Unselige!

Und so strömten Verwünschungen und vernichtende Anklagen über seine fast
blutlos gewordenen Lippen, bis er vor Erschöpfung verstummte.

Mit verwirrten Blicken hatte die Neapolitanerin dagestanden. Der Ge¬
danke, das Glas habe Gift enthalten, war wie ein Blitz bei ihr eingeschlagen,
und sie horchte, während der Kranke redete, nach der Seite des langen, finstern
Ganges, ob sich nicht draußen der Schritt des Entsetzlichen vernehmen lassen
würde, daß sie wie eine Furie über ihn herfallen und ihn vor den Augen Giu¬
seppes erdrosseln könne.

Dann glaubte sie das Geräusch seines Nähens von dem Fenster her zu
hören. Aber es waren die schon wieder zutraulich auf die Fensterbank geflo¬
genen Tauben, und Giacinta sah sie mit gierigen Schnabel einander beim Auf¬
schlürfen des Gifttranks den Rang streitig machen.

Finster und verschlossen war ihre Miene, als sie die unschuldigen Tierlein
so mit flatternden Flügeln sich den Weg zu grausigen Untergange bahnen sah.
Trinkt, brach sie schluchzend in Jammerlauten aus, ja trinkt euch nur den Tod!
Was ist das Leben, als ein bunt übertünchtes Sterben! O wär' ich selber
schon tot!

Sie sank auf den Estrich nieder und raufte sich verzweifelnd das Haar.
Das Ringlein war ihrer Hand entglitten und tanzte auf den Marmor-
Platten dahin.

Giuseppe sah es rollen und verfolgte es mechanisch mit den Augen.

.Verlaß mich, befahl er, oder liegt in deinem Busen etwa noch ein Stilettv
für mich auf der Lauer, so mach' ein Ende. Ich bin kraftlos. Ein Kind kann
mir das Lebenslicht ausblasen.

Sein Atem versagte.

(Fortsetzung folgt.)




Um eine perle.

Mit einem Knixe führte sie das Glas an die Lippen, setzte es aber wieder
ab, um nach ihrem Heimatsbrauche dem Kredenztrunke die segnenden Worte:
vuong, SÄnitö.! vorausgehen zu lassen.

In demselben Augenblicke hatte Giuseppes Hand ihr das Glas entrissen
und es in der Richtung des Fensters fortgeschleudert. Klirrend zerschellte es
an einer der Eisenstangen. Der Inhalt überschwemmte die Fensterbank. Die
Tauben waren ängstlich flatternd entflogen.

Ruchlose! stöhnte Giuseppe; so jung, so schön und so verworfen! Geh!

Das Mädchen stand sprachlos da.

Geh. Elende! wiederholte der Kranke; sind meine Tage nicht ohnehin ge¬
zählt? Wie konntest du dich zu einem so schmählichen Geschäfte dingen lassen!
'Il-Ääitriov! Sieh mich an! Beichte! Du wußtest, daß ich vergiftet werden
sollte! .Ixooriw! O weg mit der Miene gekränkter Unschuld, du täuschest mich
nicht, du hättest nur zum Scheine kredenzt! Oder du warst mit Gegengift für
dich versehen worden. es! ^. es! Welch ein edler Herr ist dieser Francesco,
uno wie stolz muß minds machen, sein Vetter zu sein! Beichte, Unselige!

Und so strömten Verwünschungen und vernichtende Anklagen über seine fast
blutlos gewordenen Lippen, bis er vor Erschöpfung verstummte.

Mit verwirrten Blicken hatte die Neapolitanerin dagestanden. Der Ge¬
danke, das Glas habe Gift enthalten, war wie ein Blitz bei ihr eingeschlagen,
und sie horchte, während der Kranke redete, nach der Seite des langen, finstern
Ganges, ob sich nicht draußen der Schritt des Entsetzlichen vernehmen lassen
würde, daß sie wie eine Furie über ihn herfallen und ihn vor den Augen Giu¬
seppes erdrosseln könne.

Dann glaubte sie das Geräusch seines Nähens von dem Fenster her zu
hören. Aber es waren die schon wieder zutraulich auf die Fensterbank geflo¬
genen Tauben, und Giacinta sah sie mit gierigen Schnabel einander beim Auf¬
schlürfen des Gifttranks den Rang streitig machen.

Finster und verschlossen war ihre Miene, als sie die unschuldigen Tierlein
so mit flatternden Flügeln sich den Weg zu grausigen Untergange bahnen sah.
Trinkt, brach sie schluchzend in Jammerlauten aus, ja trinkt euch nur den Tod!
Was ist das Leben, als ein bunt übertünchtes Sterben! O wär' ich selber
schon tot!

Sie sank auf den Estrich nieder und raufte sich verzweifelnd das Haar.
Das Ringlein war ihrer Hand entglitten und tanzte auf den Marmor-
Platten dahin.

Giuseppe sah es rollen und verfolgte es mechanisch mit den Augen.

.Verlaß mich, befahl er, oder liegt in deinem Busen etwa noch ein Stilettv
für mich auf der Lauer, so mach' ein Ende. Ich bin kraftlos. Ein Kind kann
mir das Lebenslicht ausblasen.

Sein Atem versagte.

(Fortsetzung folgt.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196199"/>
            <fw type="header" place="top"> Um eine perle.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_350"> Mit einem Knixe führte sie das Glas an die Lippen, setzte es aber wieder<lb/>
ab, um nach ihrem Heimatsbrauche dem Kredenztrunke die segnenden Worte:<lb/>
vuong, SÄnitö.! vorausgehen zu lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_351"> In demselben Augenblicke hatte Giuseppes Hand ihr das Glas entrissen<lb/>
und es in der Richtung des Fensters fortgeschleudert. Klirrend zerschellte es<lb/>
an einer der Eisenstangen. Der Inhalt überschwemmte die Fensterbank. Die<lb/>
Tauben waren ängstlich flatternd entflogen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_352"> Ruchlose! stöhnte Giuseppe; so jung, so schön und so verworfen! Geh!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_353"> Das Mädchen stand sprachlos da.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_354"> Geh. Elende! wiederholte der Kranke; sind meine Tage nicht ohnehin ge¬<lb/>
zählt? Wie konntest du dich zu einem so schmählichen Geschäfte dingen lassen!<lb/>
'Il-Ääitriov! Sieh mich an! Beichte! Du wußtest, daß ich vergiftet werden<lb/>
sollte! .Ixooriw! O weg mit der Miene gekränkter Unschuld, du täuschest mich<lb/>
nicht, du hättest nur zum Scheine kredenzt! Oder du warst mit Gegengift für<lb/>
dich versehen worden. es! ^. es! Welch ein edler Herr ist dieser Francesco,<lb/>
uno wie stolz muß minds machen, sein Vetter zu sein!  Beichte, Unselige!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_355"> Und so strömten Verwünschungen und vernichtende Anklagen über seine fast<lb/>
blutlos gewordenen Lippen, bis er vor Erschöpfung verstummte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_356"> Mit verwirrten Blicken hatte die Neapolitanerin dagestanden. Der Ge¬<lb/>
danke, das Glas habe Gift enthalten, war wie ein Blitz bei ihr eingeschlagen,<lb/>
und sie horchte, während der Kranke redete, nach der Seite des langen, finstern<lb/>
Ganges, ob sich nicht draußen der Schritt des Entsetzlichen vernehmen lassen<lb/>
würde, daß sie wie eine Furie über ihn herfallen und ihn vor den Augen Giu¬<lb/>
seppes erdrosseln könne.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_357"> Dann glaubte sie das Geräusch seines Nähens von dem Fenster her zu<lb/>
hören. Aber es waren die schon wieder zutraulich auf die Fensterbank geflo¬<lb/>
genen Tauben, und Giacinta sah sie mit gierigen Schnabel einander beim Auf¬<lb/>
schlürfen des Gifttranks den Rang streitig machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_358"> Finster und verschlossen war ihre Miene, als sie die unschuldigen Tierlein<lb/>
so mit flatternden Flügeln sich den Weg zu grausigen Untergange bahnen sah.<lb/>
Trinkt, brach sie schluchzend in Jammerlauten aus, ja trinkt euch nur den Tod!<lb/>
Was ist das Leben, als ein bunt übertünchtes Sterben! O wär' ich selber<lb/>
schon tot!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_359"> Sie sank auf den Estrich nieder und raufte sich verzweifelnd das Haar.<lb/>
Das Ringlein war ihrer Hand entglitten und tanzte auf den Marmor-<lb/>
Platten dahin.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_360"> Giuseppe sah es rollen und verfolgte es mechanisch mit den Augen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_361"> .Verlaß mich, befahl er, oder liegt in deinem Busen etwa noch ein Stilettv<lb/>
für mich auf der Lauer, so mach' ein Ende. Ich bin kraftlos. Ein Kind kann<lb/>
mir das Lebenslicht ausblasen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_362"> Sein Atem versagte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_363"> (Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] Um eine perle. Mit einem Knixe führte sie das Glas an die Lippen, setzte es aber wieder ab, um nach ihrem Heimatsbrauche dem Kredenztrunke die segnenden Worte: vuong, SÄnitö.! vorausgehen zu lassen. In demselben Augenblicke hatte Giuseppes Hand ihr das Glas entrissen und es in der Richtung des Fensters fortgeschleudert. Klirrend zerschellte es an einer der Eisenstangen. Der Inhalt überschwemmte die Fensterbank. Die Tauben waren ängstlich flatternd entflogen. Ruchlose! stöhnte Giuseppe; so jung, so schön und so verworfen! Geh! Das Mädchen stand sprachlos da. Geh. Elende! wiederholte der Kranke; sind meine Tage nicht ohnehin ge¬ zählt? Wie konntest du dich zu einem so schmählichen Geschäfte dingen lassen! 'Il-Ääitriov! Sieh mich an! Beichte! Du wußtest, daß ich vergiftet werden sollte! .Ixooriw! O weg mit der Miene gekränkter Unschuld, du täuschest mich nicht, du hättest nur zum Scheine kredenzt! Oder du warst mit Gegengift für dich versehen worden. es! ^. es! Welch ein edler Herr ist dieser Francesco, uno wie stolz muß minds machen, sein Vetter zu sein! Beichte, Unselige! Und so strömten Verwünschungen und vernichtende Anklagen über seine fast blutlos gewordenen Lippen, bis er vor Erschöpfung verstummte. Mit verwirrten Blicken hatte die Neapolitanerin dagestanden. Der Ge¬ danke, das Glas habe Gift enthalten, war wie ein Blitz bei ihr eingeschlagen, und sie horchte, während der Kranke redete, nach der Seite des langen, finstern Ganges, ob sich nicht draußen der Schritt des Entsetzlichen vernehmen lassen würde, daß sie wie eine Furie über ihn herfallen und ihn vor den Augen Giu¬ seppes erdrosseln könne. Dann glaubte sie das Geräusch seines Nähens von dem Fenster her zu hören. Aber es waren die schon wieder zutraulich auf die Fensterbank geflo¬ genen Tauben, und Giacinta sah sie mit gierigen Schnabel einander beim Auf¬ schlürfen des Gifttranks den Rang streitig machen. Finster und verschlossen war ihre Miene, als sie die unschuldigen Tierlein so mit flatternden Flügeln sich den Weg zu grausigen Untergange bahnen sah. Trinkt, brach sie schluchzend in Jammerlauten aus, ja trinkt euch nur den Tod! Was ist das Leben, als ein bunt übertünchtes Sterben! O wär' ich selber schon tot! Sie sank auf den Estrich nieder und raufte sich verzweifelnd das Haar. Das Ringlein war ihrer Hand entglitten und tanzte auf den Marmor- Platten dahin. Giuseppe sah es rollen und verfolgte es mechanisch mit den Augen. .Verlaß mich, befahl er, oder liegt in deinem Busen etwa noch ein Stilettv für mich auf der Lauer, so mach' ein Ende. Ich bin kraftlos. Ein Kind kann mir das Lebenslicht ausblasen. Sein Atem versagte. (Fortsetzung folgt.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/99>, abgerufen am 01.09.2024.