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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Notizen.
Geistlicher und Politiker.

Den Bemerkungen, welche in Ur. 27 dieser
Zeitschrift zu der Fassung des Urteils in Sachen Stöckers gegen die "Freie
Zeitung" gemacht werden, wird unbedingt zustimmen, wer imstande ist, die An¬
gelegenheit unparteiisch zu betrachten. Leider trifft man diese Fähigkeit ziemlich
selten an. Wenn Organe der äußersten Rechten es als Ehrenpflicht auffassen, den
Mann nicht fallen zu lassen, welchen die Gegner mit allen, schlechthin allen Mitteln
zu vernichten trachten, so ist das zu begreifen; aber auch sie schießen zum Teil
über das Ziel hinaus, drücken die Augen gegen Dinge zu, welche deshalb doch
aufrecht bleiben, und damit schädigen sie wieder nur ihre Sache. Kein Wort
braucht verloren zu werden über das Toben und Jubeln der semitischen Presse,
welche hartnäckig an dem Glauben festhält, die heute auf dem ganzen Erdboden zu
konstatirende Erhebung gegen das Uebergewicht der jüdischen Nasse sei das Werk
einiger wenigen und würde ohne diese garnicht eingetreten sein. Aber wohin
sind wir geraten, wenn Sachwalter es wagen dürfen, mit dem Hinweis auf Stöcker
(dem einen wissentlich abgelegten falschen Schwur niemand hat vorwerfen können)
Schuldlosigkeit für meineidige Verbrecher zu verlangen! Antipathie gegen den
Hofprediger besteht auch in zahlreichen Kreisen, welche sich gegen jede Gemeinschaft
mit dem zu unverdienter Berühmtheit gelangten Herrn Bäcker und dessen Anhang
ernstlich verwahren würden; und sympathisch ist auch uns die Agitationsweise
Stöckers nicht. Doch darf uns das nicht zur Ungerechtigkeit gegen ihn und zum
Generalisiren verleiten. Weil Stöcker seine Sache häufig ungeschickt vertritt, ist
seine Sache noch keine einfach verwerfliche, und am allermeisten sollte man sich
bedenken, den Geistlichen die Berechtigung zu praktischer politischer Thätigkeit gänzlich
abzusprechen.

Wo beginnt die politische Thätigkeit? Soll der Geistliche teilnahmlos bleiben
für alles, was außerhalb der Kirchenwändc und seines Studirzimmers sich abspielt?
Darf er das Wahlrecht nicht ausüben oder wenigstens von dem passiven keinen
Gebrauch machen? Das ist wohl noch nirgends verlangt worden, Geistliche aller
Konfessionen sitzen als Gewählte oder Ernannte oder ausdrücklich kraft ihres Amtes
in den Unter- und Oberhäusern der verschiednen Länder, stehen mithin im. poli¬
tischen Leben und genießen, wie sich das von selbst versteht, in ihrer politischen
Eigenschaft eben nur den Schutz, auf welchen diese Anspruch giebt. Oder will
man sie auf parlamentarische Thätigkeit in diesem spezifischen Sinne beschränken?
Die katholische Geistlichkeit von dem Bischof angefangen, welcher Hirtenbriefe erläßt,
bis zu dem Kaplan, welcher in der Predigt, im Beichtstuhl, am Sterbelager, im
Wirtshaus und im "Blättchen" die Tagesfragen bespricht, hat sich eine derartige
Beschränkung niemals auferlegen lassen, und ebenso ist allbekannt, eine wie viel¬
seitige Thätigkeit von manchen Rabbinern entwickelt wird. So bliebe das Verbot
nur für den protestantischen Geistlichen aufrecht? Nicht doch, wir sehen Pastoren
ini freisinnigen Lager agitiren, und man rechnet ihnen das als Verdienst an.
Mithin Wird wieder das doppelte Maß angewandt, nur deu konservativen Geist-


Notizen.
Geistlicher und Politiker.

Den Bemerkungen, welche in Ur. 27 dieser
Zeitschrift zu der Fassung des Urteils in Sachen Stöckers gegen die „Freie
Zeitung" gemacht werden, wird unbedingt zustimmen, wer imstande ist, die An¬
gelegenheit unparteiisch zu betrachten. Leider trifft man diese Fähigkeit ziemlich
selten an. Wenn Organe der äußersten Rechten es als Ehrenpflicht auffassen, den
Mann nicht fallen zu lassen, welchen die Gegner mit allen, schlechthin allen Mitteln
zu vernichten trachten, so ist das zu begreifen; aber auch sie schießen zum Teil
über das Ziel hinaus, drücken die Augen gegen Dinge zu, welche deshalb doch
aufrecht bleiben, und damit schädigen sie wieder nur ihre Sache. Kein Wort
braucht verloren zu werden über das Toben und Jubeln der semitischen Presse,
welche hartnäckig an dem Glauben festhält, die heute auf dem ganzen Erdboden zu
konstatirende Erhebung gegen das Uebergewicht der jüdischen Nasse sei das Werk
einiger wenigen und würde ohne diese garnicht eingetreten sein. Aber wohin
sind wir geraten, wenn Sachwalter es wagen dürfen, mit dem Hinweis auf Stöcker
(dem einen wissentlich abgelegten falschen Schwur niemand hat vorwerfen können)
Schuldlosigkeit für meineidige Verbrecher zu verlangen! Antipathie gegen den
Hofprediger besteht auch in zahlreichen Kreisen, welche sich gegen jede Gemeinschaft
mit dem zu unverdienter Berühmtheit gelangten Herrn Bäcker und dessen Anhang
ernstlich verwahren würden; und sympathisch ist auch uns die Agitationsweise
Stöckers nicht. Doch darf uns das nicht zur Ungerechtigkeit gegen ihn und zum
Generalisiren verleiten. Weil Stöcker seine Sache häufig ungeschickt vertritt, ist
seine Sache noch keine einfach verwerfliche, und am allermeisten sollte man sich
bedenken, den Geistlichen die Berechtigung zu praktischer politischer Thätigkeit gänzlich
abzusprechen.

Wo beginnt die politische Thätigkeit? Soll der Geistliche teilnahmlos bleiben
für alles, was außerhalb der Kirchenwändc und seines Studirzimmers sich abspielt?
Darf er das Wahlrecht nicht ausüben oder wenigstens von dem passiven keinen
Gebrauch machen? Das ist wohl noch nirgends verlangt worden, Geistliche aller
Konfessionen sitzen als Gewählte oder Ernannte oder ausdrücklich kraft ihres Amtes
in den Unter- und Oberhäusern der verschiednen Länder, stehen mithin im. poli¬
tischen Leben und genießen, wie sich das von selbst versteht, in ihrer politischen
Eigenschaft eben nur den Schutz, auf welchen diese Anspruch giebt. Oder will
man sie auf parlamentarische Thätigkeit in diesem spezifischen Sinne beschränken?
Die katholische Geistlichkeit von dem Bischof angefangen, welcher Hirtenbriefe erläßt,
bis zu dem Kaplan, welcher in der Predigt, im Beichtstuhl, am Sterbelager, im
Wirtshaus und im „Blättchen" die Tagesfragen bespricht, hat sich eine derartige
Beschränkung niemals auferlegen lassen, und ebenso ist allbekannt, eine wie viel¬
seitige Thätigkeit von manchen Rabbinern entwickelt wird. So bliebe das Verbot
nur für den protestantischen Geistlichen aufrecht? Nicht doch, wir sehen Pastoren
ini freisinnigen Lager agitiren, und man rechnet ihnen das als Verdienst an.
Mithin Wird wieder das doppelte Maß angewandt, nur deu konservativen Geist-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/100>, abgerufen am 22.11.2024.