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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gstxreußische Skizzen.

harte Sache -- doppelt hart, wo es sich um Leute von mangelhafter Er¬
ziehung und geringen geistigen Hilfsquellen handelt. Rechnet man dazu, daß
die beiden großen Königsberger Blätter den geistigen Gesichtskreis der weitaus
meisten größern Besitzer gefangenhalten, da letztere aus geschäftlichen Gründen
auf diese Blätter (trotz deren fortwährenden, rücksichtslosen Schnupfens gegen
den Großgrundbesitz) uicht verzichten zu können glauben, und daß außerdem in
Tilsit und Jnsterburg einige ganz hervorragend bösartige fortschrittliche Organe
erscheinen, so wird man sich vieles zurechtlegen können, was sonst als eine un¬
faßbare Verirrung erscheinen müßte.

Die Leser mögen sich nicht wundern, daß hier immer nur von den Guts¬
besitzern und niemals von ihren Leuten gesprochen wird. Hinsichtlich dieser
aber gilt in der That heute noch, und zwar in vollem, buchstäblichem Umfange,
das Wort: Lujus rsgio, ejus reliAo. Geradezu lächerlich ist es, wenn man Wohl
gelegentlich auf liberaler Seite so thut, als fände eine Beeinflussung der Jnst-
leute und Arbeiter nur auf konservativer Seite statt; das ist alles, wie man
am Oberrhein sagt, "gehopst wie gesprungen." In jedem Wahlkreise fragt
man sich bei Beginn eines Wahlkampfes, welche Veränderungen im Güterbesitz
stattgefunden haben, und zieht darnach im beiderseitigen Voranschlag hier fünfzig
Stimmen ab, dort zählt man fünfzig Stimmen zu -- jedermann weiß, daß
über diese Folge der eingetretenen Veränderung gar kein Zweifel obwalten kann.
Auch muß man sagen, daß (angesichts der rücksichtslosen Schärfe unsrer gegen¬
wärtigen Parteikämpfe) hiergegen nicht einmal viel einzuwenden ist; wie kann
ein Gutsherr dulden, daß seine Leute diejenige Meinung über ihn haben, die
von der Gegenpartei über die Männer seiner Partei verbreitet wird? Bei dem
Maße von persönlichem Vertrauen, welches dem ländlichen Arbeiter aus Schritt
und Tritt geschenkt werden muß, ist dies schlechterdings unzulässig. Weiterhin
ist es eine Thatsache, die nur der leugnen kann, der nicht sehen will, daß
überhaupt unsre geringere Landbevölkerung ein selbständiges Urteil über poli¬
tische Fragen nicht hat, das Resultat der sogenannten "unbeeinflußten Wahl"
also uicht eine Meinungsäußerung der Leute sein, sondern nur einen Ausdruck
für die Stärke und Geschicklichkeit der von den verschiednen Parteien entfalteten
Agitation bilden würde. Manche Leute wollen behaupten, selbst in den Städten
sei es nicht anders; lassen wir diesen Punkt auf sich beruhen. Jedenfalls gilt
unser Satz von ländlichen Arbeitern, und ganz besonders von den in der
Kultur noch so zurückstehender ostpreußischen, die ja zum ansehnlichen Teile
kaum wissen, was eine Zeitung ist, und zum weitern ansehnlichen Teile eine
Sprache reden, die sie von dem öffentlichen Leben Deutschlands nahezu aus¬
schließt. Wollte der Gutsherr, dessen Einfluß doch noch ein ganz naturgemäßer
und bis zu einem gewissen Punkte legitimer ist, keinen Druck ausüben, so würde
die Folge einfach die sein, daß der nächste thätige Geistliche oder Lehrer die
Leute auf seine Seite zöge, sei dieselbe was sie für eine wolle; würde auch


Gstxreußische Skizzen.

harte Sache — doppelt hart, wo es sich um Leute von mangelhafter Er¬
ziehung und geringen geistigen Hilfsquellen handelt. Rechnet man dazu, daß
die beiden großen Königsberger Blätter den geistigen Gesichtskreis der weitaus
meisten größern Besitzer gefangenhalten, da letztere aus geschäftlichen Gründen
auf diese Blätter (trotz deren fortwährenden, rücksichtslosen Schnupfens gegen
den Großgrundbesitz) uicht verzichten zu können glauben, und daß außerdem in
Tilsit und Jnsterburg einige ganz hervorragend bösartige fortschrittliche Organe
erscheinen, so wird man sich vieles zurechtlegen können, was sonst als eine un¬
faßbare Verirrung erscheinen müßte.

Die Leser mögen sich nicht wundern, daß hier immer nur von den Guts¬
besitzern und niemals von ihren Leuten gesprochen wird. Hinsichtlich dieser
aber gilt in der That heute noch, und zwar in vollem, buchstäblichem Umfange,
das Wort: Lujus rsgio, ejus reliAo. Geradezu lächerlich ist es, wenn man Wohl
gelegentlich auf liberaler Seite so thut, als fände eine Beeinflussung der Jnst-
leute und Arbeiter nur auf konservativer Seite statt; das ist alles, wie man
am Oberrhein sagt, „gehopst wie gesprungen." In jedem Wahlkreise fragt
man sich bei Beginn eines Wahlkampfes, welche Veränderungen im Güterbesitz
stattgefunden haben, und zieht darnach im beiderseitigen Voranschlag hier fünfzig
Stimmen ab, dort zählt man fünfzig Stimmen zu — jedermann weiß, daß
über diese Folge der eingetretenen Veränderung gar kein Zweifel obwalten kann.
Auch muß man sagen, daß (angesichts der rücksichtslosen Schärfe unsrer gegen¬
wärtigen Parteikämpfe) hiergegen nicht einmal viel einzuwenden ist; wie kann
ein Gutsherr dulden, daß seine Leute diejenige Meinung über ihn haben, die
von der Gegenpartei über die Männer seiner Partei verbreitet wird? Bei dem
Maße von persönlichem Vertrauen, welches dem ländlichen Arbeiter aus Schritt
und Tritt geschenkt werden muß, ist dies schlechterdings unzulässig. Weiterhin
ist es eine Thatsache, die nur der leugnen kann, der nicht sehen will, daß
überhaupt unsre geringere Landbevölkerung ein selbständiges Urteil über poli¬
tische Fragen nicht hat, das Resultat der sogenannten „unbeeinflußten Wahl"
also uicht eine Meinungsäußerung der Leute sein, sondern nur einen Ausdruck
für die Stärke und Geschicklichkeit der von den verschiednen Parteien entfalteten
Agitation bilden würde. Manche Leute wollen behaupten, selbst in den Städten
sei es nicht anders; lassen wir diesen Punkt auf sich beruhen. Jedenfalls gilt
unser Satz von ländlichen Arbeitern, und ganz besonders von den in der
Kultur noch so zurückstehender ostpreußischen, die ja zum ansehnlichen Teile
kaum wissen, was eine Zeitung ist, und zum weitern ansehnlichen Teile eine
Sprache reden, die sie von dem öffentlichen Leben Deutschlands nahezu aus¬
schließt. Wollte der Gutsherr, dessen Einfluß doch noch ein ganz naturgemäßer
und bis zu einem gewissen Punkte legitimer ist, keinen Druck ausüben, so würde
die Folge einfach die sein, daß der nächste thätige Geistliche oder Lehrer die
Leute auf seine Seite zöge, sei dieselbe was sie für eine wolle; würde auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/62>, abgerufen am 01.09.2024.