Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Der Notstand des Privatkapitals. Diese Forderung lautet allerdings ungewöhnlich, vermessen, antisozial, Unser heutiger Staat ist weit entfernt, in Zeiten gedrückter Löhne mit dein Die preußischen Sparkassen zählten 1383 3 6S0 613 Einlagebüchcr, und wenn die
Zunahme derselben seitdem derjenigen von 1881 auf 1882 mit 271 934 gleichgeblieben ist, so würden die Bücher oder Einleger im Jahre 1885 4231000 betragen. Unter jenen 3 363 518 Büchern des Jahres 1882 befanden sich: Der Notstand des Privatkapitals. Diese Forderung lautet allerdings ungewöhnlich, vermessen, antisozial, Unser heutiger Staat ist weit entfernt, in Zeiten gedrückter Löhne mit dein Die preußischen Sparkassen zählten 1383 3 6S0 613 Einlagebüchcr, und wenn die
Zunahme derselben seitdem derjenigen von 1881 auf 1882 mit 271 934 gleichgeblieben ist, so würden die Bücher oder Einleger im Jahre 1885 4231000 betragen. Unter jenen 3 363 518 Büchern des Jahres 1882 befanden sich: <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196697"/> <fw type="header" place="top"> Der Notstand des Privatkapitals.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2237"> Diese Forderung lautet allerdings ungewöhnlich, vermessen, antisozial,<lb/> plntokratisch oder wie man sonst sagen will. Aber doch nur für diejenigen, welche<lb/> Kapital nicht vom Großkapital zu unterscheiden wissen, welche in dem doktrinären<lb/> Irrtum befangen sind, daß Kapital und Arbeit die alleinigen Elemente der<lb/> Produktion seien, welche in dem Wahne leben, die Kapitalisten seien eine be¬<lb/> vorzugte Klasse, welche vergessen, daß die Arbeit von gestern das Kapital<lb/> von heute ist und daß, wie wir oben zeigten, wohl eine starke Mehrheit der<lb/> Erwachsenen zur Klasse der Kapitalisten gehört. „Mau übersieht — sagt scholl<lb/> in seiner Berechnung des Volksvermvgcns in Würtemberg (in der Beschreibung<lb/> des Königreichs Wiirtcmberg, Bd. 2, Abt. 1) —, daß die wahren Vertreter des<lb/> Kapitals nicht die Großkapitalien und die Kapital sammelnden und Kapital<lb/> verwaltenden Kreditinstitute sind, so wenig wie die Großgrundbesitzer und Schlot-<lb/> jnnker die ausschließlichen Vertreter der Landwirtschaft und der Gewerbe sind,<lb/> oder die Viehhändler die Repräsentanten des Viehkapitals. Das Gcldknpital<lb/> ist vielmehr gerade die Volks- und arbeiterfreundlichste Form des Vermögcns-<lb/> besitzes, sofern sich nicht jeder ein Gut oder Hans erwerben, wohl aber etliche<lb/> Pfennige in die Sparkasse legen und damit Kapitalist werden kann. Nicht die¬<lb/> jenigen, welche von ihre» Renten leben können, sondern wer ausschließlich von<lb/> den Zinsen früherer Ersparnisse leben muß, die wegen hohen Alters oder<lb/> körperlichen Gebrechen von der aktiven Berufsthätigkeit zurückgetretenen, die<lb/> Witwen und Wulfen aller Berufsklassen sind die wahren Repräsentanten des<lb/> Kapitals." scholl hat aus den Steuerlisteu seines Landes ermittelt, daß in<lb/> Würtemberg vou 139844 kapitalrcuteustcucrpflichtigen Personen nur 3,17 Prozent<lb/> Renten über 2550 Mark hatten, während 96,70 Prozent weniger als 2550 Mark<lb/> bezogen und 76,4 Prozent nur 350 Mark und weniger. Das Kapital, sagt<lb/> er, ist keine Wucherpflanze, sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes<lb/> des Volkes und des kleinen Mannes in allen Berufszweigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2238" next="#ID_2239"> Unser heutiger Staat ist weit entfernt, in Zeiten gedrückter Löhne mit dein<lb/> Beispiel der Lohnabzüge voranzugehen; er denkt nicht daran, den Betrieb eines<lb/> Bergwerkes, in dem er Tausende oder auch nur Hunderte von Arbeitern be¬<lb/> schäftigt, einzustellen, weil es nicht rentirt; oder er wird doch bei der Einstellung,<lb/> wenn sie unvermeidlich ist, mit der größten Vorsicht und Rücksicht auf die Ar¬<lb/> beiter verfahren. Aus gleich gewichtigen Gründen sollte der Staat auch nicht<lb/> die Augen schließen, wenn das Kapital in gedrückter Lage ist. Es kann dem<lb/> Staate nicht gleichgiltig ffein, daß die nahezu 4 Millionen Einleger preußi¬<lb/> scher und 1 Million sächsischer Sparkassen u. s. w. seit 1880 einen halben und<lb/> teilweise über einen halbe» Prozent Zins weniger als vorher erhalten.*) Es</p><lb/> <note xml:id="FID_41" place="foot" next="#FID_42"> Die preußischen Sparkassen zählten 1383 3 6S0 613 Einlagebüchcr, und wenn die<lb/> Zunahme derselben seitdem derjenigen von 1881 auf 1882 mit 271 934 gleichgeblieben ist, so<lb/> würden die Bücher oder Einleger im Jahre 1885 4231000 betragen. Unter jenen 3 363 518<lb/> Büchern des Jahres 1882 befanden sich:</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0597]
Der Notstand des Privatkapitals.
Diese Forderung lautet allerdings ungewöhnlich, vermessen, antisozial,
plntokratisch oder wie man sonst sagen will. Aber doch nur für diejenigen, welche
Kapital nicht vom Großkapital zu unterscheiden wissen, welche in dem doktrinären
Irrtum befangen sind, daß Kapital und Arbeit die alleinigen Elemente der
Produktion seien, welche in dem Wahne leben, die Kapitalisten seien eine be¬
vorzugte Klasse, welche vergessen, daß die Arbeit von gestern das Kapital
von heute ist und daß, wie wir oben zeigten, wohl eine starke Mehrheit der
Erwachsenen zur Klasse der Kapitalisten gehört. „Mau übersieht — sagt scholl
in seiner Berechnung des Volksvermvgcns in Würtemberg (in der Beschreibung
des Königreichs Wiirtcmberg, Bd. 2, Abt. 1) —, daß die wahren Vertreter des
Kapitals nicht die Großkapitalien und die Kapital sammelnden und Kapital
verwaltenden Kreditinstitute sind, so wenig wie die Großgrundbesitzer und Schlot-
jnnker die ausschließlichen Vertreter der Landwirtschaft und der Gewerbe sind,
oder die Viehhändler die Repräsentanten des Viehkapitals. Das Gcldknpital
ist vielmehr gerade die Volks- und arbeiterfreundlichste Form des Vermögcns-
besitzes, sofern sich nicht jeder ein Gut oder Hans erwerben, wohl aber etliche
Pfennige in die Sparkasse legen und damit Kapitalist werden kann. Nicht die¬
jenigen, welche von ihre» Renten leben können, sondern wer ausschließlich von
den Zinsen früherer Ersparnisse leben muß, die wegen hohen Alters oder
körperlichen Gebrechen von der aktiven Berufsthätigkeit zurückgetretenen, die
Witwen und Wulfen aller Berufsklassen sind die wahren Repräsentanten des
Kapitals." scholl hat aus den Steuerlisteu seines Landes ermittelt, daß in
Würtemberg vou 139844 kapitalrcuteustcucrpflichtigen Personen nur 3,17 Prozent
Renten über 2550 Mark hatten, während 96,70 Prozent weniger als 2550 Mark
bezogen und 76,4 Prozent nur 350 Mark und weniger. Das Kapital, sagt
er, ist keine Wucherpflanze, sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes
des Volkes und des kleinen Mannes in allen Berufszweigen.
Unser heutiger Staat ist weit entfernt, in Zeiten gedrückter Löhne mit dein
Beispiel der Lohnabzüge voranzugehen; er denkt nicht daran, den Betrieb eines
Bergwerkes, in dem er Tausende oder auch nur Hunderte von Arbeitern be¬
schäftigt, einzustellen, weil es nicht rentirt; oder er wird doch bei der Einstellung,
wenn sie unvermeidlich ist, mit der größten Vorsicht und Rücksicht auf die Ar¬
beiter verfahren. Aus gleich gewichtigen Gründen sollte der Staat auch nicht
die Augen schließen, wenn das Kapital in gedrückter Lage ist. Es kann dem
Staate nicht gleichgiltig ffein, daß die nahezu 4 Millionen Einleger preußi¬
scher und 1 Million sächsischer Sparkassen u. s. w. seit 1880 einen halben und
teilweise über einen halbe» Prozent Zins weniger als vorher erhalten.*) Es
Die preußischen Sparkassen zählten 1383 3 6S0 613 Einlagebüchcr, und wenn die
Zunahme derselben seitdem derjenigen von 1881 auf 1882 mit 271 934 gleichgeblieben ist, so
würden die Bücher oder Einleger im Jahre 1885 4231000 betragen. Unter jenen 3 363 518
Büchern des Jahres 1882 befanden sich:
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |