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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Privatkapitals.

Diese Forderung lautet allerdings ungewöhnlich, vermessen, antisozial,
plntokratisch oder wie man sonst sagen will. Aber doch nur für diejenigen, welche
Kapital nicht vom Großkapital zu unterscheiden wissen, welche in dem doktrinären
Irrtum befangen sind, daß Kapital und Arbeit die alleinigen Elemente der
Produktion seien, welche in dem Wahne leben, die Kapitalisten seien eine be¬
vorzugte Klasse, welche vergessen, daß die Arbeit von gestern das Kapital
von heute ist und daß, wie wir oben zeigten, wohl eine starke Mehrheit der
Erwachsenen zur Klasse der Kapitalisten gehört. "Mau übersieht -- sagt scholl
in seiner Berechnung des Volksvermvgcns in Würtemberg (in der Beschreibung
des Königreichs Wiirtcmberg, Bd. 2, Abt. 1) --, daß die wahren Vertreter des
Kapitals nicht die Großkapitalien und die Kapital sammelnden und Kapital
verwaltenden Kreditinstitute sind, so wenig wie die Großgrundbesitzer und Schlot-
jnnker die ausschließlichen Vertreter der Landwirtschaft und der Gewerbe sind,
oder die Viehhändler die Repräsentanten des Viehkapitals. Das Gcldknpital
ist vielmehr gerade die Volks- und arbeiterfreundlichste Form des Vermögcns-
besitzes, sofern sich nicht jeder ein Gut oder Hans erwerben, wohl aber etliche
Pfennige in die Sparkasse legen und damit Kapitalist werden kann. Nicht die¬
jenigen, welche von ihre" Renten leben können, sondern wer ausschließlich von
den Zinsen früherer Ersparnisse leben muß, die wegen hohen Alters oder
körperlichen Gebrechen von der aktiven Berufsthätigkeit zurückgetretenen, die
Witwen und Wulfen aller Berufsklassen sind die wahren Repräsentanten des
Kapitals." scholl hat aus den Steuerlisteu seines Landes ermittelt, daß in
Würtemberg vou 139844 kapitalrcuteustcucrpflichtigen Personen nur 3,17 Prozent
Renten über 2550 Mark hatten, während 96,70 Prozent weniger als 2550 Mark
bezogen und 76,4 Prozent nur 350 Mark und weniger. Das Kapital, sagt
er, ist keine Wucherpflanze, sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes
des Volkes und des kleinen Mannes in allen Berufszweigen.

Unser heutiger Staat ist weit entfernt, in Zeiten gedrückter Löhne mit dein
Beispiel der Lohnabzüge voranzugehen; er denkt nicht daran, den Betrieb eines
Bergwerkes, in dem er Tausende oder auch nur Hunderte von Arbeitern be¬
schäftigt, einzustellen, weil es nicht rentirt; oder er wird doch bei der Einstellung,
wenn sie unvermeidlich ist, mit der größten Vorsicht und Rücksicht auf die Ar¬
beiter verfahren. Aus gleich gewichtigen Gründen sollte der Staat auch nicht
die Augen schließen, wenn das Kapital in gedrückter Lage ist. Es kann dem
Staate nicht gleichgiltig ffein, daß die nahezu 4 Millionen Einleger preußi¬
scher und 1 Million sächsischer Sparkassen u. s. w. seit 1880 einen halben und
teilweise über einen halbe" Prozent Zins weniger als vorher erhalten.*) Es



Die preußischen Sparkassen zählten 1383 3 6S0 613 Einlagebüchcr, und wenn die
Zunahme derselben seitdem derjenigen von 1881 auf 1882 mit 271 934 gleichgeblieben ist, so
würden die Bücher oder Einleger im Jahre 1885 4231000 betragen. Unter jenen 3 363 518
Büchern des Jahres 1882 befanden sich:
Der Notstand des Privatkapitals.

Diese Forderung lautet allerdings ungewöhnlich, vermessen, antisozial,
plntokratisch oder wie man sonst sagen will. Aber doch nur für diejenigen, welche
Kapital nicht vom Großkapital zu unterscheiden wissen, welche in dem doktrinären
Irrtum befangen sind, daß Kapital und Arbeit die alleinigen Elemente der
Produktion seien, welche in dem Wahne leben, die Kapitalisten seien eine be¬
vorzugte Klasse, welche vergessen, daß die Arbeit von gestern das Kapital
von heute ist und daß, wie wir oben zeigten, wohl eine starke Mehrheit der
Erwachsenen zur Klasse der Kapitalisten gehört. „Mau übersieht — sagt scholl
in seiner Berechnung des Volksvermvgcns in Würtemberg (in der Beschreibung
des Königreichs Wiirtcmberg, Bd. 2, Abt. 1) —, daß die wahren Vertreter des
Kapitals nicht die Großkapitalien und die Kapital sammelnden und Kapital
verwaltenden Kreditinstitute sind, so wenig wie die Großgrundbesitzer und Schlot-
jnnker die ausschließlichen Vertreter der Landwirtschaft und der Gewerbe sind,
oder die Viehhändler die Repräsentanten des Viehkapitals. Das Gcldknpital
ist vielmehr gerade die Volks- und arbeiterfreundlichste Form des Vermögcns-
besitzes, sofern sich nicht jeder ein Gut oder Hans erwerben, wohl aber etliche
Pfennige in die Sparkasse legen und damit Kapitalist werden kann. Nicht die¬
jenigen, welche von ihre» Renten leben können, sondern wer ausschließlich von
den Zinsen früherer Ersparnisse leben muß, die wegen hohen Alters oder
körperlichen Gebrechen von der aktiven Berufsthätigkeit zurückgetretenen, die
Witwen und Wulfen aller Berufsklassen sind die wahren Repräsentanten des
Kapitals." scholl hat aus den Steuerlisteu seines Landes ermittelt, daß in
Würtemberg vou 139844 kapitalrcuteustcucrpflichtigen Personen nur 3,17 Prozent
Renten über 2550 Mark hatten, während 96,70 Prozent weniger als 2550 Mark
bezogen und 76,4 Prozent nur 350 Mark und weniger. Das Kapital, sagt
er, ist keine Wucherpflanze, sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes
des Volkes und des kleinen Mannes in allen Berufszweigen.

Unser heutiger Staat ist weit entfernt, in Zeiten gedrückter Löhne mit dein
Beispiel der Lohnabzüge voranzugehen; er denkt nicht daran, den Betrieb eines
Bergwerkes, in dem er Tausende oder auch nur Hunderte von Arbeitern be¬
schäftigt, einzustellen, weil es nicht rentirt; oder er wird doch bei der Einstellung,
wenn sie unvermeidlich ist, mit der größten Vorsicht und Rücksicht auf die Ar¬
beiter verfahren. Aus gleich gewichtigen Gründen sollte der Staat auch nicht
die Augen schließen, wenn das Kapital in gedrückter Lage ist. Es kann dem
Staate nicht gleichgiltig ffein, daß die nahezu 4 Millionen Einleger preußi¬
scher und 1 Million sächsischer Sparkassen u. s. w. seit 1880 einen halben und
teilweise über einen halbe» Prozent Zins weniger als vorher erhalten.*) Es



Die preußischen Sparkassen zählten 1383 3 6S0 613 Einlagebüchcr, und wenn die
Zunahme derselben seitdem derjenigen von 1881 auf 1882 mit 271 934 gleichgeblieben ist, so
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[0597] Der Notstand des Privatkapitals. Diese Forderung lautet allerdings ungewöhnlich, vermessen, antisozial, plntokratisch oder wie man sonst sagen will. Aber doch nur für diejenigen, welche Kapital nicht vom Großkapital zu unterscheiden wissen, welche in dem doktrinären Irrtum befangen sind, daß Kapital und Arbeit die alleinigen Elemente der Produktion seien, welche in dem Wahne leben, die Kapitalisten seien eine be¬ vorzugte Klasse, welche vergessen, daß die Arbeit von gestern das Kapital von heute ist und daß, wie wir oben zeigten, wohl eine starke Mehrheit der Erwachsenen zur Klasse der Kapitalisten gehört. „Mau übersieht — sagt scholl in seiner Berechnung des Volksvermvgcns in Würtemberg (in der Beschreibung des Königreichs Wiirtcmberg, Bd. 2, Abt. 1) —, daß die wahren Vertreter des Kapitals nicht die Großkapitalien und die Kapital sammelnden und Kapital verwaltenden Kreditinstitute sind, so wenig wie die Großgrundbesitzer und Schlot- jnnker die ausschließlichen Vertreter der Landwirtschaft und der Gewerbe sind, oder die Viehhändler die Repräsentanten des Viehkapitals. Das Gcldknpital ist vielmehr gerade die Volks- und arbeiterfreundlichste Form des Vermögcns- besitzes, sofern sich nicht jeder ein Gut oder Hans erwerben, wohl aber etliche Pfennige in die Sparkasse legen und damit Kapitalist werden kann. Nicht die¬ jenigen, welche von ihre» Renten leben können, sondern wer ausschließlich von den Zinsen früherer Ersparnisse leben muß, die wegen hohen Alters oder körperlichen Gebrechen von der aktiven Berufsthätigkeit zurückgetretenen, die Witwen und Wulfen aller Berufsklassen sind die wahren Repräsentanten des Kapitals." scholl hat aus den Steuerlisteu seines Landes ermittelt, daß in Würtemberg vou 139844 kapitalrcuteustcucrpflichtigen Personen nur 3,17 Prozent Renten über 2550 Mark hatten, während 96,70 Prozent weniger als 2550 Mark bezogen und 76,4 Prozent nur 350 Mark und weniger. Das Kapital, sagt er, ist keine Wucherpflanze, sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes des Volkes und des kleinen Mannes in allen Berufszweigen. Unser heutiger Staat ist weit entfernt, in Zeiten gedrückter Löhne mit dein Beispiel der Lohnabzüge voranzugehen; er denkt nicht daran, den Betrieb eines Bergwerkes, in dem er Tausende oder auch nur Hunderte von Arbeitern be¬ schäftigt, einzustellen, weil es nicht rentirt; oder er wird doch bei der Einstellung, wenn sie unvermeidlich ist, mit der größten Vorsicht und Rücksicht auf die Ar¬ beiter verfahren. Aus gleich gewichtigen Gründen sollte der Staat auch nicht die Augen schließen, wenn das Kapital in gedrückter Lage ist. Es kann dem Staate nicht gleichgiltig ffein, daß die nahezu 4 Millionen Einleger preußi¬ scher und 1 Million sächsischer Sparkassen u. s. w. seit 1880 einen halben und teilweise über einen halbe» Prozent Zins weniger als vorher erhalten.*) Es Die preußischen Sparkassen zählten 1383 3 6S0 613 Einlagebüchcr, und wenn die Zunahme derselben seitdem derjenigen von 1881 auf 1882 mit 271 934 gleichgeblieben ist, so würden die Bücher oder Einleger im Jahre 1885 4231000 betragen. Unter jenen 3 363 518 Büchern des Jahres 1882 befanden sich:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/597>, abgerufen am 25.11.2024.