Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

daß dies in Wahrheit nicht der Fall sein kann. Denn heute liegt die englische
Volkswirtschaft darnieder, obwohl das Parlament sich zu einem Gesetze veranlaßt
gesehen hat, nach welchem seine drciprozentigen Kvnsols in einem .Kapitalbetrage
von nicht weniger als 712^ Millionen Pfund Sterling oder 14 Millionen
Mark auf 2'^ und 2''/^ Prozent herabgesetzt werden sollen.

Diese Bemerkungen mögen genügen, um nachzuweisen, daß niedriger Zins
und blühende Volkswirtschaft in keinem ursächlichen Zusammenhange stehen. Es
ist nur zu verwundern, daß die entgegenstehende Ansicht, die von der Erfahrung
so entschieden widerlegt wird, eine so weite Verbreitung finden konnte. Der
Grund davon ist indessen nicht schwer zu entdecken. Ein Irrtum erzeugt eben
immer deu andern. Wenn man Kapital und Arbeit als die Elemente der
Gütererzeugung annimmt, und weiter, daß die Funktion des Kapitals darin
bestehe, den Lohn für die Arbeit zu liefern, so folgt allerdings ziemlich natürlich
der Schluß, daß, weil es an Arbeitern niemals fehlt, die Produktion nur von
der Menge der vorhandnen Kapitalien und in ihrem Gedeihen also von niedrigem
Zinsfuße abhängig sei. Allein Kapital und Arbeit sind, wie bereits oben erwähnt,
zwar Elemente der Produktion, allein sie vermögen für sich allein nichts, wenn
sie nicht vom Unternehmer gerufen werden. Der Unternehmer ist der Vater der
Produktion. Hat er Geld und Kraft genug, so bedarf er weder der Arbeiter noch
der Kapitalisten, und wenn dies nicht der Fall ist, so hängt es eben von seiner
Lage ab, ob und wie weit er Hilfe von Arbeitern oder Kapitalisten in Anspruch
nehmen und überhaupt etwas unternehmen wird. Immer wird das Streben
der Unternehmer dahin gerichtet sei", sich von der Hilfe des Kapitalisten und
des Arbeiters möglichst zu befreien, d. h. nnr mit eignem Kapital zu wirtschaften
und die Arbeit möglichst dnrch Maschinen und nicht durch Menschen verrichten
zu lassen.

Beide daher, .Kapital sowohl als Arbeit, leiden gelegentlich unter dem
Stillstande der Unternehmungslust oder der Selbstsucht des Unternehmers, sind
abhängig von seiner Thätigkeit oder Unthätigkeit, und wenn der Staat einmal
die Pflicht anerkennt, in Notständen zu intervenircn und sich nicht nur auf den
sogenannten Nachtwächterdicnst zu beschränken, so ist kein Grund vorhanden, daß
er nicht auch die Kapitalisten gelegentlich unter seine Obhut nehme, daß er zum
wenigsten seinerseits alles unterlasse, was die Lage des Kapitals mehr als es
die allgemeinen Verhältnisse erfordern in seinem berechtigten Interesse nach an¬
gemessenen Zins beeinträchtigen kann.*)



*) Der Finanzminister Scholz äußerte sich im Februar d, I. in der Kammer dahin,
man müsse (bei Zinsrednktivnen) Rücksicht nehmen auf die zahlreichen Personen, welche ge¬
nötigt seien, ihr Geld sicher anzulegen, und welche nichts von ihrer kleinen Einnahme entbehren
könnten. Auch liege es nicht im Staatsinteresse, die Kapitalisten durch Beschränkung des Zins¬
fußes vielleicht zu unsicheren Anlagen in der Fremde zu veranlassen, die Inländer würden
damit mehr und mehr an das Schicksal auswärtiger Staaten gekettet.

daß dies in Wahrheit nicht der Fall sein kann. Denn heute liegt die englische
Volkswirtschaft darnieder, obwohl das Parlament sich zu einem Gesetze veranlaßt
gesehen hat, nach welchem seine drciprozentigen Kvnsols in einem .Kapitalbetrage
von nicht weniger als 712^ Millionen Pfund Sterling oder 14 Millionen
Mark auf 2'^ und 2''/^ Prozent herabgesetzt werden sollen.

Diese Bemerkungen mögen genügen, um nachzuweisen, daß niedriger Zins
und blühende Volkswirtschaft in keinem ursächlichen Zusammenhange stehen. Es
ist nur zu verwundern, daß die entgegenstehende Ansicht, die von der Erfahrung
so entschieden widerlegt wird, eine so weite Verbreitung finden konnte. Der
Grund davon ist indessen nicht schwer zu entdecken. Ein Irrtum erzeugt eben
immer deu andern. Wenn man Kapital und Arbeit als die Elemente der
Gütererzeugung annimmt, und weiter, daß die Funktion des Kapitals darin
bestehe, den Lohn für die Arbeit zu liefern, so folgt allerdings ziemlich natürlich
der Schluß, daß, weil es an Arbeitern niemals fehlt, die Produktion nur von
der Menge der vorhandnen Kapitalien und in ihrem Gedeihen also von niedrigem
Zinsfuße abhängig sei. Allein Kapital und Arbeit sind, wie bereits oben erwähnt,
zwar Elemente der Produktion, allein sie vermögen für sich allein nichts, wenn
sie nicht vom Unternehmer gerufen werden. Der Unternehmer ist der Vater der
Produktion. Hat er Geld und Kraft genug, so bedarf er weder der Arbeiter noch
der Kapitalisten, und wenn dies nicht der Fall ist, so hängt es eben von seiner
Lage ab, ob und wie weit er Hilfe von Arbeitern oder Kapitalisten in Anspruch
nehmen und überhaupt etwas unternehmen wird. Immer wird das Streben
der Unternehmer dahin gerichtet sei», sich von der Hilfe des Kapitalisten und
des Arbeiters möglichst zu befreien, d. h. nnr mit eignem Kapital zu wirtschaften
und die Arbeit möglichst dnrch Maschinen und nicht durch Menschen verrichten
zu lassen.

Beide daher, .Kapital sowohl als Arbeit, leiden gelegentlich unter dem
Stillstande der Unternehmungslust oder der Selbstsucht des Unternehmers, sind
abhängig von seiner Thätigkeit oder Unthätigkeit, und wenn der Staat einmal
die Pflicht anerkennt, in Notständen zu intervenircn und sich nicht nur auf den
sogenannten Nachtwächterdicnst zu beschränken, so ist kein Grund vorhanden, daß
er nicht auch die Kapitalisten gelegentlich unter seine Obhut nehme, daß er zum
wenigsten seinerseits alles unterlasse, was die Lage des Kapitals mehr als es
die allgemeinen Verhältnisse erfordern in seinem berechtigten Interesse nach an¬
gemessenen Zins beeinträchtigen kann.*)



*) Der Finanzminister Scholz äußerte sich im Februar d, I. in der Kammer dahin,
man müsse (bei Zinsrednktivnen) Rücksicht nehmen auf die zahlreichen Personen, welche ge¬
nötigt seien, ihr Geld sicher anzulegen, und welche nichts von ihrer kleinen Einnahme entbehren
könnten. Auch liege es nicht im Staatsinteresse, die Kapitalisten durch Beschränkung des Zins¬
fußes vielleicht zu unsicheren Anlagen in der Fremde zu veranlassen, die Inländer würden
damit mehr und mehr an das Schicksal auswärtiger Staaten gekettet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196696"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2234" prev="#ID_2233"> daß dies in Wahrheit nicht der Fall sein kann. Denn heute liegt die englische<lb/>
Volkswirtschaft darnieder, obwohl das Parlament sich zu einem Gesetze veranlaßt<lb/>
gesehen hat, nach welchem seine drciprozentigen Kvnsols in einem .Kapitalbetrage<lb/>
von nicht weniger als 712^ Millionen Pfund Sterling oder 14 Millionen<lb/>
Mark auf 2'^ und 2''/^ Prozent herabgesetzt werden sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2235"> Diese Bemerkungen mögen genügen, um nachzuweisen, daß niedriger Zins<lb/>
und blühende Volkswirtschaft in keinem ursächlichen Zusammenhange stehen. Es<lb/>
ist nur zu verwundern, daß die entgegenstehende Ansicht, die von der Erfahrung<lb/>
so entschieden widerlegt wird, eine so weite Verbreitung finden konnte. Der<lb/>
Grund davon ist indessen nicht schwer zu entdecken. Ein Irrtum erzeugt eben<lb/>
immer deu andern. Wenn man Kapital und Arbeit als die Elemente der<lb/>
Gütererzeugung annimmt, und weiter, daß die Funktion des Kapitals darin<lb/>
bestehe, den Lohn für die Arbeit zu liefern, so folgt allerdings ziemlich natürlich<lb/>
der Schluß, daß, weil es an Arbeitern niemals fehlt, die Produktion nur von<lb/>
der Menge der vorhandnen Kapitalien und in ihrem Gedeihen also von niedrigem<lb/>
Zinsfuße abhängig sei. Allein Kapital und Arbeit sind, wie bereits oben erwähnt,<lb/>
zwar Elemente der Produktion, allein sie vermögen für sich allein nichts, wenn<lb/>
sie nicht vom Unternehmer gerufen werden. Der Unternehmer ist der Vater der<lb/>
Produktion. Hat er Geld und Kraft genug, so bedarf er weder der Arbeiter noch<lb/>
der Kapitalisten, und wenn dies nicht der Fall ist, so hängt es eben von seiner<lb/>
Lage ab, ob und wie weit er Hilfe von Arbeitern oder Kapitalisten in Anspruch<lb/>
nehmen und überhaupt etwas unternehmen wird. Immer wird das Streben<lb/>
der Unternehmer dahin gerichtet sei», sich von der Hilfe des Kapitalisten und<lb/>
des Arbeiters möglichst zu befreien, d. h. nnr mit eignem Kapital zu wirtschaften<lb/>
und die Arbeit möglichst dnrch Maschinen und nicht durch Menschen verrichten<lb/>
zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2236"> Beide daher, .Kapital sowohl als Arbeit, leiden gelegentlich unter dem<lb/>
Stillstande der Unternehmungslust oder der Selbstsucht des Unternehmers, sind<lb/>
abhängig von seiner Thätigkeit oder Unthätigkeit, und wenn der Staat einmal<lb/>
die Pflicht anerkennt, in Notständen zu intervenircn und sich nicht nur auf den<lb/>
sogenannten Nachtwächterdicnst zu beschränken, so ist kein Grund vorhanden, daß<lb/>
er nicht auch die Kapitalisten gelegentlich unter seine Obhut nehme, daß er zum<lb/>
wenigsten seinerseits alles unterlasse, was die Lage des Kapitals mehr als es<lb/>
die allgemeinen Verhältnisse erfordern in seinem berechtigten Interesse nach an¬<lb/>
gemessenen Zins beeinträchtigen kann.*)</p><lb/>
          <note xml:id="FID_40" place="foot"> *) Der Finanzminister Scholz äußerte sich im Februar d, I. in der Kammer dahin,<lb/>
man müsse (bei Zinsrednktivnen) Rücksicht nehmen auf die zahlreichen Personen, welche ge¬<lb/>
nötigt seien, ihr Geld sicher anzulegen, und welche nichts von ihrer kleinen Einnahme entbehren<lb/>
könnten. Auch liege es nicht im Staatsinteresse, die Kapitalisten durch Beschränkung des Zins¬<lb/>
fußes vielleicht zu unsicheren Anlagen in der Fremde zu veranlassen, die Inländer würden<lb/>
damit mehr und mehr an das Schicksal auswärtiger Staaten gekettet.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] daß dies in Wahrheit nicht der Fall sein kann. Denn heute liegt die englische Volkswirtschaft darnieder, obwohl das Parlament sich zu einem Gesetze veranlaßt gesehen hat, nach welchem seine drciprozentigen Kvnsols in einem .Kapitalbetrage von nicht weniger als 712^ Millionen Pfund Sterling oder 14 Millionen Mark auf 2'^ und 2''/^ Prozent herabgesetzt werden sollen. Diese Bemerkungen mögen genügen, um nachzuweisen, daß niedriger Zins und blühende Volkswirtschaft in keinem ursächlichen Zusammenhange stehen. Es ist nur zu verwundern, daß die entgegenstehende Ansicht, die von der Erfahrung so entschieden widerlegt wird, eine so weite Verbreitung finden konnte. Der Grund davon ist indessen nicht schwer zu entdecken. Ein Irrtum erzeugt eben immer deu andern. Wenn man Kapital und Arbeit als die Elemente der Gütererzeugung annimmt, und weiter, daß die Funktion des Kapitals darin bestehe, den Lohn für die Arbeit zu liefern, so folgt allerdings ziemlich natürlich der Schluß, daß, weil es an Arbeitern niemals fehlt, die Produktion nur von der Menge der vorhandnen Kapitalien und in ihrem Gedeihen also von niedrigem Zinsfuße abhängig sei. Allein Kapital und Arbeit sind, wie bereits oben erwähnt, zwar Elemente der Produktion, allein sie vermögen für sich allein nichts, wenn sie nicht vom Unternehmer gerufen werden. Der Unternehmer ist der Vater der Produktion. Hat er Geld und Kraft genug, so bedarf er weder der Arbeiter noch der Kapitalisten, und wenn dies nicht der Fall ist, so hängt es eben von seiner Lage ab, ob und wie weit er Hilfe von Arbeitern oder Kapitalisten in Anspruch nehmen und überhaupt etwas unternehmen wird. Immer wird das Streben der Unternehmer dahin gerichtet sei», sich von der Hilfe des Kapitalisten und des Arbeiters möglichst zu befreien, d. h. nnr mit eignem Kapital zu wirtschaften und die Arbeit möglichst dnrch Maschinen und nicht durch Menschen verrichten zu lassen. Beide daher, .Kapital sowohl als Arbeit, leiden gelegentlich unter dem Stillstande der Unternehmungslust oder der Selbstsucht des Unternehmers, sind abhängig von seiner Thätigkeit oder Unthätigkeit, und wenn der Staat einmal die Pflicht anerkennt, in Notständen zu intervenircn und sich nicht nur auf den sogenannten Nachtwächterdicnst zu beschränken, so ist kein Grund vorhanden, daß er nicht auch die Kapitalisten gelegentlich unter seine Obhut nehme, daß er zum wenigsten seinerseits alles unterlasse, was die Lage des Kapitals mehr als es die allgemeinen Verhältnisse erfordern in seinem berechtigten Interesse nach an¬ gemessenen Zins beeinträchtigen kann.*) *) Der Finanzminister Scholz äußerte sich im Februar d, I. in der Kammer dahin, man müsse (bei Zinsrednktivnen) Rücksicht nehmen auf die zahlreichen Personen, welche ge¬ nötigt seien, ihr Geld sicher anzulegen, und welche nichts von ihrer kleinen Einnahme entbehren könnten. Auch liege es nicht im Staatsinteresse, die Kapitalisten durch Beschränkung des Zins¬ fußes vielleicht zu unsicheren Anlagen in der Fremde zu veranlassen, die Inländer würden damit mehr und mehr an das Schicksal auswärtiger Staaten gekettet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/596>, abgerufen am 25.11.2024.