Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Notstand des Privatrapitals.

werten angelegt hat, wenn er nicht handelt und spekulirt, d. h. nicht sowohl
auf ruhige Anlage und regelmäßigen Zinsgenuß ausgeht, sondern, wie der Gro߬
kapitalist, auf Profit. Bei solcher Spekulation aber werden die Kleinen von
den Großen verschlungen, sie werden fast immer zu teuer kaufen und zu wohl¬
feil verkaufen, sie werden den richtigen Moment nicht finden, ein Zukunft ver¬
heißendes Papier anzuschaffen oder sich eines gefährdeten zu entledigen; sie -- die
Uneingeweihten -- werden immer einige Schritte zurück sein hinter den Hohen¬
priestern der Börse, die das Mysterium der Kursbewegung verwalten.

Diese Bemerkungen mögen genügen, um deu Unterschied und Gegensatz
zwischen Bankier und Kapitalist, zwischen Großkapital und unselbständigen
Privatkapital zu beleuchten.

Die Herrschaft des Großkapitals bewirkt jedoch nicht notwendigerweise eine
gedrückte Lage des Privatkapitals. Deal unter Umständen fällt auch für das
letztere etwas von der Beute ab. Es kann in den allgemeinen Verhältnissen
und im besondern Interesse der Bankiers liegen, daß der Zinsfuß steige, und
dann haben die Kapitalisten gute Tage. Gegenwärtig befinden wir uns in einer
Periode sinkenden Zinsfußes und weil das Kapital mit demselben Rechte auf
guten Zins wie der Arbeiter auf hohen Lohn ausgeht, in einer Periode, in
welcher das Kapital Not leidet.

Dies bedarf jedoch einer nähern Untersuchung, weil man im allgemeinen
geneigt ist, deu Prüfstein sür den Reichtum und das Gedeihen eines Landes in
einem niedrigen Zinsfuße zu erblicken. England und Holland mit ihrem niedrigen
Zinsfuß galten immer und zwar mit Recht für die reichsten Länder. Ob aber
der niedrige Zinsfuß die Quelle oder die Folge ihres Reichtums sei, oder ob
nicht vielmehr die Hohe des Zinsfußes in keinem notwendigen Zusammenhange
mit einem gedeihlichen Zustande der Wirtschaft stehe, das eben ist die Frage.

Wäre die gewöhnliche Meinung richtig, so müßte mit dem sinkenden Zinsfuß
die allgemeine Wohlfahrt steigen. Nun sehen wir aber in unsern Tagen, daß,
während der Zins überall unaufhaltsam zurückgeht, sich gleichwohl die tonan¬
gebenden Kulturländer, England, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutsch¬
land, Österreich u. s. w., keineswegs in beneidenswerter Lage befinden. Überall
wird Kapital in Masse angeboten, aber Handel und Industrie siud nicht imstande,
es zu beschäftigen. Es ist gewiß, daß niedriger Zins einen verhältnismäßigen
Reichtum an Kapital voraussetzt, d. h. bedeutende wirtschaftliche Erfolge, Über¬
schüsse der Vergangenheit. Wenn aber die Gegenwart nicht imstande ist, diese
Überschüsse nutzbringend zu verwenden, so liegt die Vergleichung nahe mit einem
Fabrikanten, der unablässig Waaren produzirt, aber sie nicht zu lohnendem Preise
zu veräußern vermag. Jedermann wird einem solchen Fabrikanten sagen, daß
dies auf die Dauer nicht angehe. Man wird also auch einsehen, daß der Zinsfuß
auf ein solches Maß zurückgehen kann, daß es nicht mehr sehr verlockend ist,
Geld anzulegen, daß also der Antrieb zum Sparen abnehmen und die Lust,


Der Notstand des Privatrapitals.

werten angelegt hat, wenn er nicht handelt und spekulirt, d. h. nicht sowohl
auf ruhige Anlage und regelmäßigen Zinsgenuß ausgeht, sondern, wie der Gro߬
kapitalist, auf Profit. Bei solcher Spekulation aber werden die Kleinen von
den Großen verschlungen, sie werden fast immer zu teuer kaufen und zu wohl¬
feil verkaufen, sie werden den richtigen Moment nicht finden, ein Zukunft ver¬
heißendes Papier anzuschaffen oder sich eines gefährdeten zu entledigen; sie — die
Uneingeweihten — werden immer einige Schritte zurück sein hinter den Hohen¬
priestern der Börse, die das Mysterium der Kursbewegung verwalten.

Diese Bemerkungen mögen genügen, um deu Unterschied und Gegensatz
zwischen Bankier und Kapitalist, zwischen Großkapital und unselbständigen
Privatkapital zu beleuchten.

Die Herrschaft des Großkapitals bewirkt jedoch nicht notwendigerweise eine
gedrückte Lage des Privatkapitals. Deal unter Umständen fällt auch für das
letztere etwas von der Beute ab. Es kann in den allgemeinen Verhältnissen
und im besondern Interesse der Bankiers liegen, daß der Zinsfuß steige, und
dann haben die Kapitalisten gute Tage. Gegenwärtig befinden wir uns in einer
Periode sinkenden Zinsfußes und weil das Kapital mit demselben Rechte auf
guten Zins wie der Arbeiter auf hohen Lohn ausgeht, in einer Periode, in
welcher das Kapital Not leidet.

Dies bedarf jedoch einer nähern Untersuchung, weil man im allgemeinen
geneigt ist, deu Prüfstein sür den Reichtum und das Gedeihen eines Landes in
einem niedrigen Zinsfuße zu erblicken. England und Holland mit ihrem niedrigen
Zinsfuß galten immer und zwar mit Recht für die reichsten Länder. Ob aber
der niedrige Zinsfuß die Quelle oder die Folge ihres Reichtums sei, oder ob
nicht vielmehr die Hohe des Zinsfußes in keinem notwendigen Zusammenhange
mit einem gedeihlichen Zustande der Wirtschaft stehe, das eben ist die Frage.

Wäre die gewöhnliche Meinung richtig, so müßte mit dem sinkenden Zinsfuß
die allgemeine Wohlfahrt steigen. Nun sehen wir aber in unsern Tagen, daß,
während der Zins überall unaufhaltsam zurückgeht, sich gleichwohl die tonan¬
gebenden Kulturländer, England, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutsch¬
land, Österreich u. s. w., keineswegs in beneidenswerter Lage befinden. Überall
wird Kapital in Masse angeboten, aber Handel und Industrie siud nicht imstande,
es zu beschäftigen. Es ist gewiß, daß niedriger Zins einen verhältnismäßigen
Reichtum an Kapital voraussetzt, d. h. bedeutende wirtschaftliche Erfolge, Über¬
schüsse der Vergangenheit. Wenn aber die Gegenwart nicht imstande ist, diese
Überschüsse nutzbringend zu verwenden, so liegt die Vergleichung nahe mit einem
Fabrikanten, der unablässig Waaren produzirt, aber sie nicht zu lohnendem Preise
zu veräußern vermag. Jedermann wird einem solchen Fabrikanten sagen, daß
dies auf die Dauer nicht angehe. Man wird also auch einsehen, daß der Zinsfuß
auf ein solches Maß zurückgehen kann, daß es nicht mehr sehr verlockend ist,
Geld anzulegen, daß also der Antrieb zum Sparen abnehmen und die Lust,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0594" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196694"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Notstand des Privatrapitals.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2225" prev="#ID_2224"> werten angelegt hat, wenn er nicht handelt und spekulirt, d. h. nicht sowohl<lb/>
auf ruhige Anlage und regelmäßigen Zinsgenuß ausgeht, sondern, wie der Gro߬<lb/>
kapitalist, auf Profit. Bei solcher Spekulation aber werden die Kleinen von<lb/>
den Großen verschlungen, sie werden fast immer zu teuer kaufen und zu wohl¬<lb/>
feil verkaufen, sie werden den richtigen Moment nicht finden, ein Zukunft ver¬<lb/>
heißendes Papier anzuschaffen oder sich eines gefährdeten zu entledigen; sie &#x2014; die<lb/>
Uneingeweihten &#x2014; werden immer einige Schritte zurück sein hinter den Hohen¬<lb/>
priestern der Börse, die das Mysterium der Kursbewegung verwalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2226"> Diese Bemerkungen mögen genügen, um deu Unterschied und Gegensatz<lb/>
zwischen Bankier und Kapitalist, zwischen Großkapital und unselbständigen<lb/>
Privatkapital zu beleuchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2227"> Die Herrschaft des Großkapitals bewirkt jedoch nicht notwendigerweise eine<lb/>
gedrückte Lage des Privatkapitals. Deal unter Umständen fällt auch für das<lb/>
letztere etwas von der Beute ab. Es kann in den allgemeinen Verhältnissen<lb/>
und im besondern Interesse der Bankiers liegen, daß der Zinsfuß steige, und<lb/>
dann haben die Kapitalisten gute Tage. Gegenwärtig befinden wir uns in einer<lb/>
Periode sinkenden Zinsfußes und weil das Kapital mit demselben Rechte auf<lb/>
guten Zins wie der Arbeiter auf hohen Lohn ausgeht, in einer Periode, in<lb/>
welcher das Kapital Not leidet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2228"> Dies bedarf jedoch einer nähern Untersuchung, weil man im allgemeinen<lb/>
geneigt ist, deu Prüfstein sür den Reichtum und das Gedeihen eines Landes in<lb/>
einem niedrigen Zinsfuße zu erblicken. England und Holland mit ihrem niedrigen<lb/>
Zinsfuß galten immer und zwar mit Recht für die reichsten Länder. Ob aber<lb/>
der niedrige Zinsfuß die Quelle oder die Folge ihres Reichtums sei, oder ob<lb/>
nicht vielmehr die Hohe des Zinsfußes in keinem notwendigen Zusammenhange<lb/>
mit einem gedeihlichen Zustande der Wirtschaft stehe, das eben ist die Frage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2229" next="#ID_2230"> Wäre die gewöhnliche Meinung richtig, so müßte mit dem sinkenden Zinsfuß<lb/>
die allgemeine Wohlfahrt steigen. Nun sehen wir aber in unsern Tagen, daß,<lb/>
während der Zins überall unaufhaltsam zurückgeht, sich gleichwohl die tonan¬<lb/>
gebenden Kulturländer, England, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutsch¬<lb/>
land, Österreich u. s. w., keineswegs in beneidenswerter Lage befinden. Überall<lb/>
wird Kapital in Masse angeboten, aber Handel und Industrie siud nicht imstande,<lb/>
es zu beschäftigen. Es ist gewiß, daß niedriger Zins einen verhältnismäßigen<lb/>
Reichtum an Kapital voraussetzt, d. h. bedeutende wirtschaftliche Erfolge, Über¬<lb/>
schüsse der Vergangenheit. Wenn aber die Gegenwart nicht imstande ist, diese<lb/>
Überschüsse nutzbringend zu verwenden, so liegt die Vergleichung nahe mit einem<lb/>
Fabrikanten, der unablässig Waaren produzirt, aber sie nicht zu lohnendem Preise<lb/>
zu veräußern vermag. Jedermann wird einem solchen Fabrikanten sagen, daß<lb/>
dies auf die Dauer nicht angehe. Man wird also auch einsehen, daß der Zinsfuß<lb/>
auf ein solches Maß zurückgehen kann, daß es nicht mehr sehr verlockend ist,<lb/>
Geld anzulegen, daß also der Antrieb zum Sparen abnehmen und die Lust,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0594] Der Notstand des Privatrapitals. werten angelegt hat, wenn er nicht handelt und spekulirt, d. h. nicht sowohl auf ruhige Anlage und regelmäßigen Zinsgenuß ausgeht, sondern, wie der Gro߬ kapitalist, auf Profit. Bei solcher Spekulation aber werden die Kleinen von den Großen verschlungen, sie werden fast immer zu teuer kaufen und zu wohl¬ feil verkaufen, sie werden den richtigen Moment nicht finden, ein Zukunft ver¬ heißendes Papier anzuschaffen oder sich eines gefährdeten zu entledigen; sie — die Uneingeweihten — werden immer einige Schritte zurück sein hinter den Hohen¬ priestern der Börse, die das Mysterium der Kursbewegung verwalten. Diese Bemerkungen mögen genügen, um deu Unterschied und Gegensatz zwischen Bankier und Kapitalist, zwischen Großkapital und unselbständigen Privatkapital zu beleuchten. Die Herrschaft des Großkapitals bewirkt jedoch nicht notwendigerweise eine gedrückte Lage des Privatkapitals. Deal unter Umständen fällt auch für das letztere etwas von der Beute ab. Es kann in den allgemeinen Verhältnissen und im besondern Interesse der Bankiers liegen, daß der Zinsfuß steige, und dann haben die Kapitalisten gute Tage. Gegenwärtig befinden wir uns in einer Periode sinkenden Zinsfußes und weil das Kapital mit demselben Rechte auf guten Zins wie der Arbeiter auf hohen Lohn ausgeht, in einer Periode, in welcher das Kapital Not leidet. Dies bedarf jedoch einer nähern Untersuchung, weil man im allgemeinen geneigt ist, deu Prüfstein sür den Reichtum und das Gedeihen eines Landes in einem niedrigen Zinsfuße zu erblicken. England und Holland mit ihrem niedrigen Zinsfuß galten immer und zwar mit Recht für die reichsten Länder. Ob aber der niedrige Zinsfuß die Quelle oder die Folge ihres Reichtums sei, oder ob nicht vielmehr die Hohe des Zinsfußes in keinem notwendigen Zusammenhange mit einem gedeihlichen Zustande der Wirtschaft stehe, das eben ist die Frage. Wäre die gewöhnliche Meinung richtig, so müßte mit dem sinkenden Zinsfuß die allgemeine Wohlfahrt steigen. Nun sehen wir aber in unsern Tagen, daß, während der Zins überall unaufhaltsam zurückgeht, sich gleichwohl die tonan¬ gebenden Kulturländer, England, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutsch¬ land, Österreich u. s. w., keineswegs in beneidenswerter Lage befinden. Überall wird Kapital in Masse angeboten, aber Handel und Industrie siud nicht imstande, es zu beschäftigen. Es ist gewiß, daß niedriger Zins einen verhältnismäßigen Reichtum an Kapital voraussetzt, d. h. bedeutende wirtschaftliche Erfolge, Über¬ schüsse der Vergangenheit. Wenn aber die Gegenwart nicht imstande ist, diese Überschüsse nutzbringend zu verwenden, so liegt die Vergleichung nahe mit einem Fabrikanten, der unablässig Waaren produzirt, aber sie nicht zu lohnendem Preise zu veräußern vermag. Jedermann wird einem solchen Fabrikanten sagen, daß dies auf die Dauer nicht angehe. Man wird also auch einsehen, daß der Zinsfuß auf ein solches Maß zurückgehen kann, daß es nicht mehr sehr verlockend ist, Geld anzulegen, daß also der Antrieb zum Sparen abnehmen und die Lust,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/594
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/594>, abgerufen am 25.11.2024.